Berlinale 2018 – Forum

Begleiterscheinung

Einen Weg gemeinsam gehen: Ludwig Wüst zeigt in Aufbruch das Kino als meditative Kunst

Zwei Personen, ein Mann (Ludwig Wüst) und eine Frau (Claudia Martini), die intuitiv leicht zu begreifen sind, aber kaum zu erklären. Die ­ihren eigenen Logiken folgen, welche für ein paar Stunden auf mysteriöse Art doch völlig selbstverständlich ineinandergreifen. Zwei Menschen, die sich gegenseitig begleiten für einen bestimmten Weg, für ein gewisses Stück.

Aufbruch
Fotos Kamera Klemens Koscher

„Aufbruch“ ereignet sich in einem peripheren Raum des Schweigens, in „sprachlosen Dialogen“: Abschied nehmen, Kartoffeln ins Feuer legen, Schnaps in Milch schütten, ein Holzkreuz herstellen. Handlungen, die meditativ wirken und über die manchmal eine Musik kommt, die Regisseur Wüst als „Trommelsymphonie“ bezeichnet und als „Totenglocken“. Viel Ruhe geht von seinem Mann in blauer Arbeitskleidung aus, der alle möglichen Schlösser zu öffnen versteht.

Ludwig Wüst
Der gebürtige Bayer lebt seit 1987 in Wien. Nach einer ­Schauspiel- und Gesangsaus­bildung begann er 1990 mit Regiearbeiten, zuerst für Theater und Oper, ab 1999 auch mit Filmen. 2009 sorgte er mit „Koma“ für Aufsehen. 2016 ­veröffentlichte er „heimatfilm“, sein bisheriges Hauptwerk, an das er mit „Aufbruch“ anschließt.
Foto: Hans Klestorfer

Autobiografisches Wissen, sagt Wüst. Vor 30 Jahren hat er selbst Tischler gelernt. Das in sich ­Gekehrte jedoch, das Minimalistische: Das war ­etwas, in das er sich erst hineinbegeben musste. „Ich hab dann quasi von Mai bis Oktober eigentlich diese Figur gelebt, also mich wirklich bewusst ­zurückgezogen. Ich hab mich reduziert, Wochen kaum mit Freunden zu tun gehabt. Ich war unter Verschluss, weil das wie eine zen-­buddhistische Übung war, da hinzukommen und ich habe dann auch nach dem Dreh drei Wochen lang gar ­niemanden getroffen.“
Zwei Züge sieht man in diesem sechsten Spielfilm Ludwig Wüsts, dem ersten nach seiner „Heimatfilm“-Trilogie. Einen gleich zu Anfang, einen Schnellzug. „Er brüllt diesem Zug nach wie dem Leben, das ihm davonläuft“, sagt Wüst. „Er hat keine Chance. Denn dieser Zug ist unbarmherzig und haut ab und er muss schauen, wo er bleibt. Und er hat keine Möglichkeit, aus seiner Lage herauszukommen und daher auch dieser emotionale Ausbruch.“

Der zweite Zug, er bewegt sich schon sehr viel schwerer und transportiert Güter, betrachtet er später gemeinsam mit der Frau, die er auf einer Bank im Nirgendwo eingesammelt hatte und die mal „steinalt“ erscheint und dann wieder „wie ein Kind“. Martini ist für Wüst eine Frau der „tausend Gesichter“.

Friedlich schauen zwei Menschen da dem ­Leben zu, wie es noch immer ohne sie fährt, aber die letzten Stunden bestand auch keine Dringlichkeit auf den Zug aufzuspringen. Vielleicht ist dieses handfeste, gelegentlich metaphysisch werdende Roadmovie der österreichischen Landstraßen noch nicht zu Ende.

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