Wenn der Himmel über der Vorstadt von bedeutungsschwangeren Wolken verhangen ist dann weiß man, dass hinter den Fassaden Abgründe lauern. Mit dunklen Wolken beginnt der zweite italienische Wettbewerbsbeitrag der diesjährigen Berlinale, mit dem Selbstmord von zwei Kindern endet „Favolacce“, ein Film der Gebrüder D’Innocenzo

Mit ihrem Debüt „Boys Cry“ hatte das aus Rom stammende Duo in Italien für Furore gesorgt, mit dem Nachfolger bewegen sie sich nun auf einem Terrain, dass reich bestellt ist. In den besten Momenten ihrer vielstimmigen Erzählung glaubt man zwar für Momente, dass sich diese bösen Geschichten auf die Höhen von Vorbildern wie David Lynch oder Ulrich Seidl schwingen könnten, doch diese Momente machen schnell deutlich banaleren Beobachtungen Platz.
Im Zentrum des Films steht die Familie Placido, Vater Bruno (Elio Germano in seinem nach „Hidden Away“ zweiten Film in diesem Wettbewerb), Mutter Dalila (Barbara Chichiarelli) und die beiden Kinder Dennis (Tommaso di Cola) und Alessia (Giulietta Rebeggiani). Äußerlich ist die Familie perfekt, die Kinder gut in der Schule, die Eltern glücklich, doch dass die Wahrheit eine andere ist, zeigt schon das ausgeblichene Licht, die blassen Farben. Immerhin haben die Placidos Geld, im Gegensatz zu Amelio Guerrini (Gabril Montesi) und seinem Sohn Geremia (Justin Korovkin), der mutmaßliche Erzähler. Kaum ein Wort spricht Geremia im Lauf des Films, ist schweigsamer Beobachter seiner Umgebung, versucht den Hoffnungen seines Vaters gerecht zu werden, der von einem besseren Leben träumt, das sich nie einstellen wird.
Nach und nach versuchen die D’Innocenzos die Geheimnisse ihrer Figuren zu lüften, doch was dabei heraus kommt, ähnelt eher einer etwas finster geratenen Soap Opera als einer gelungenen Darstellung gesellschaftlicher Abgründe. So blass die Breitwand-Bilder sind, so blass bleiben auch die Figuren. Auch wenn am Ende etliche Figuren aus scheinbarer Verzweiflung den Freitod gewählt haben. Michael Meyns

Termine: „Favolacce“ bei der Berlinale
Weitere Rezensionen zum Berlinale-Wettbewerb:
Wettbewerb: Rezension von „El prófugo“ von Natalia Meta
Wettbewerb: Rezension von Giorgio Dirittis „Hidden Away“ („Volevo Nascondermi“)
Wettbewerb: Rezension von Kelly Reicharts „First Cow“
Wettbewerb: Rezension von Philippe Garrels „Le sel des larmes“
Wettbewerb: Rezension von Christian Petzolds „Undine“
Wettbewerb: Rezension von Caetano Gotardos und Marco Dutras „Todos os Mortos“
Wettbewerb: Rezension von Benoît Delépine und Gustave Kerverns „Effacer l‘historique“ („Delete History“)
Wettbewerb: Rezension von Abel Ferraras „Siberia“
Wettbewerb: Rezension von Stéphanie Chuats und Véronique Reymonds „Schwesterlein“
Mehr zur Berlinale 2020
Die wichtigsten Infos zu den 70. Internationalen Filmfestspielen Berlin
Christian Petzold ist dabei! Ein Kommentar zum Berlinale Wettbewerb
Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian sind die neuen Chefs der Berlinale
Gut essen & trinken während der Berlinale
Die wichtigsten Veranstaltungen und Locations der Berlinale 2020
Die Goldenen Bären 2010 bis 2019
Diese Filme laufen im Wettbewerb der Berlinale 2020
Jonas Dassler ist Shooting Star der Berlinale 2020
Alfred Bauer, der Nationalsozialismus und die Berlinale. Ein Kommentar von Bert Rebhandl
Ticker zur Berlinale – Alle News, Stars und Stories zu den Filmfestspielen
Berlinale-Tickets: Alle Informationen zum Vorverkauf
Braucht die Welt eine Revolution? Fünf Berlinale-Filme zu einer Streitfrage der Gegenwart
Gespräch mit den neuen Berlinale-Chefs Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian
Afrika bei der Berlinale: Zehn Filme, die sich mit dem Kontinent auseinandersetzen
Hat der Planet noch eine Chance? Fünf Berlinale-Filme zum Thema, Klima, Umweltschutz und Natur
Ist die Zukunft des Kinos weiblich? Zehn spannende Regisseurinnen bei der Berlinale
High Heels auf Fischernetzen – Klimaschutz und Nachhaltigkeit bei der Berlinale
Wie steht es um den deutschen Film? Die zehn wichtigsten Produktionen aus Deutschland
Wann beginnt die Gegenwart? Fünf große filmhistorische Momente auf der 70. Berlinale
Der Goldene Ehrenbär geht 2020 an Dame Helen Mirren
„Generation 14plus“ nimmt junge Zuschauer ernst
Die „Retrospektive“ würdigt den Hollywood-Regisseur King Vidor
Der hiesige Regie-Nachwuchs in der „Perspektive Deutsches Kino“ schaut auf Horror und Heimat
50 Jahre „Forum“ – Das Jubiläumsprogramm 2020
Die Wettbewerbs-Sektion „Encounters“ wendet sich besonders wagemutigen Produktionen zu
Dank der Pionierarbeit der Sektion „Panorama“ ist die Berlinale ganz schön queer
Sigourney Weaver spielt die Hauptrolle im Berlinale-Eröffnungsfilm „My Salinger Year“
Eine Begegnung mit Christian Petzold aus Anlass seines neuen Films „Undine“, der im Berlinale-Wettbewerb läuft
Berlin Alexanderplatz: Welket Bungué und Jella Haase im Gespräch