Berlinale 2020

Wettbewerb: Rezension von Rithy Panhs „Irradiés“ („Irradiated“ )

Wie es scheint, hat Rithy Panh mit der Menschheit die Geduld verloren. In seinem Werk umkreist der 1964 in Phnom Penh geborene Filmemacher, der auf der Flucht vor den Roten Khmer 1980 nach Paris kam – wo er später an der renommierten La Fémis studierte -, das kambodschanische Trauma des Pol-Pot-Regimes.

© Rithy Panh

Wider die Verdrängung des vergangenen Schreckens legt er vermittels seiner Dokumentarfilme den Finger in die Wunde; er zeigt, er hört zu, er archiviert. Insistierend und unermüdlich, wohl in dem Glauben, der Mensch könne aus der Geschichte lernen. Dabei zeichnen sich Panhs Arbeiten durch Behutsamkeit sowohl im Gestus als auch in der Argumentation aus. „Irradiés“ (Irradiated) nicht. Dieser ästhetisierende Essayfilm ist auch weniger erhobener Zeigefinger denn niedersausender Holzhammer, der uns den Schrecken von Völkermord und Massenvernichtung regelrecht einprügelt.

Auf der dreigeteilten Leinwand wechseln einander die ewig gleichen und doch immer neuen und anderen Bilder ab von verwundeten, zerfetzten, verbrannten Körpern. Geschundene, die ihren Blick voller Leid auf uns richten. Explosionen und Ruinen und marschierende Menschen. Hiroshima und Auschwitz, Atombombe und Zyklon B. Und wieder und wieder und immer wieder: Leichenberge und KZ-Skelette. Als gälte es, vermittels dieser Bilder den Teufel, das Böse aus den Menschen auszutreiben. Dazu führen im Voiceover ein Mann und eine Frau auf Französisch einen beschwörenden Dialog zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Hin und wieder schleicht ein weißgeschminkter Butoh-Künstler durch die Bilder, geisterhaft, wie eine Doppelprojektion und repräsentiert mutmaßlich die ruhelose Seele all der unschuldig Ermordeten.

Hm. Ziemlich plakativ das alles, könnte man sagen.

Und doch ist „Irradiés“ von großer Dringlichkeit erfüllt; in jedem Augenblick ist Rithy Panhs eigener tiefer Schmerz zu spüren, seine Trauer über die ewige Wiederholung des Immergleichen, der Gram des Überlebenden, Übriggebliebenen und damit fürs Leben Gezeichneten. Wer will es ihm denn verdenken, dass er diesen Film macht? Nach all den Jahren geduldiger Arbeit an der Wahrheit. Nach all den Jahren sanfter Worte, die ungehört verhallten – wen wundert’s, dass er schreit. Alexandra Seitz

Termine: Irradiated bei der Berlinale


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