Christian Petzold verknüpft in seinem Kunstmärchen „Undine“ die Berliner Gegenwart mit der Berliner Romantik
Laufende Wasserhähne, Stauseen mit blockiertem Ablauf, berstende Aquarien. Lange nicht mehr wurden die Bewegungen unseres Seelenlebens im Kino so hydraulisch illustriert. In Christian Petzolds „Undine“ sickert und tröpfelt das Wasser durch die Spalten einer Welt, die sich rational wähnt, aber sich nicht abdichten lässt. Schon gar nicht gegen alte Mythen. Das Begehren und die Aggression suchen sich in „Undine“ immer einen Weg: Aber das ist hier gar kein Rückgriff auf die Psychoanalyse (die sich gerne auf solche Wassermetaphern bezog), sondern auf noch ältere Motive aus der Literatur.
Die Geschichte der Wasserfee Undine hatte immer schon eine liebliche und eine drastische Seite. Die bezaubernde Undine bringt einen harten Ehevertrag mit: Wenn sich ihr Geliebter abwenden sollte, dann droht ihm der Tod. So haben es das mittelalterliche Stauffenberg-Gedicht und später der romantische Dichter Friedrich de la Motte Fouqué erzählt. „Undine“ von Christian Petzold macht einen Hybrid aus dem alten Stoff, aus Ingeborg Bachmanns Neuinterpretation („Undine geht“), und aus den Phantasien, die er jetzt bei seinem freien Hinterherträumen dazu addiert hat.
„Undine“ lässt ein altes Märchen im Heute erwachen, mit einer Heldin, die nun als promovierte Historikerin für die Berliner Senatsverwaltung arbeitet und in einem Hochhaus am Hackeschen Markt wohnt. Sie macht Führungen durch die Dauerausstellung, in der die großen Stadtmodelle präsentiert werden. Dabei räsoniert sie ebenso passend über das neue, „täuscherische“ Stadtschloss wie über die Wohnraumspekulation, die in Berlin auch vor mehr als hundert Jahren ein Thema war. Mietpreisbremse und „Berliner Romantik“, das passt überraschend gut zusammen.
Paula Beer vereint selbst beide Motivkreise, das Moderne und das Archaische in sich. Obwohl als Wasserwesen besetzt, wirkt sie hier sehr viel geerdeter als in Petzolds letztem Film „Transit“ (2018). Sie ist eine nur auf den ersten Blick zarte Erscheinung, der man die neue Verliebtheit in einen Industrietaucher (wunderbar wandelbar: Franz Rogowski) bald ebenso abnimmt, wie die Morddrohung an den verfließenden Partner (Jacob Matschenz): „Wenn du mich verlässt“, sagt sie zu diesem, „dann muss ich dich töten. Das weißt du doch!“.
Aber ist das nur eine Phantasie von ihr? Etwas das sich Liebende sagen können, wenn sie maßlos enttäuscht werden, das sie aber niemals umsetzen werden? Petzolds Film lässt in der Schwebe, ob das eine aufblühende Psychose ist, oder ein Ringen mit Kräften aus einer Zauberwelt. So beginnt „Undine“ immer stärker zu oszillieren zwischen naivem Märchenfilm, Liebesmelodram und Psychothriller, mit einer Heldin, die vielleicht wirklich nach Jahrhunderten der Forschungen an den Menschen auf einmal neue Gefühle entdeckt. Dass ihr frischer Geliebter Christoph in seinem Industrietaucheranzug so aussieht, als wäre er gerade aus Richard Fleischers „20.000 Meilen unter dem Meer“ (1954) an Land gegangen, ist natürlich kein Zufall. Auch er ist eine modernisierte Gestalt aus einem Fantasy-Reich und endlich auch ein ebenbürtiger Partner für die Sagengestalt Undine. Nur eines von vielen Motiven, über das man nach Petzolds Film weiter nachdenken will. Robert Weixlbaumer
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