Filmfestspiele

Berlinale 2021: Drei Höhepunkte vom ersten Tag des Festivals

22 Filme aus allen Sektionen des Festivals stehen für die Presse an diesem ersten Tag der Berlinale 2021 zur Auswahl. Für die Vertreter der Branche (Filmverleiher, Kinoprogrammierer, Plattform-Scouts) ist die Qual der Wahl noch deutlich größer: für sie gibt es theoretisch pro Tag mehr als hundert Filme. Der tipBerlin hebt aus dem Berlinale-Programm vom Montag drei Filme hervor: den mit Spannung erwarteten deutschen Wettbewerbsbeitrag „Ich bin dein Mensch“ von Maria Schrader sowie „Die Welt wird eine andere sein“ von Anne Zohra Berrached (Panorama) und „The First 54 Years – An Abbreviated Manual for Military Occupation“ von Avi Mograbi aus Israel (Forum).


Der erste deutsche Film im Berlinale-Wettbewerb: „Ich bin dein Mensch“

Der perfekte Mann? Dan Stevens im Berlinale-Wettbewerbsfilm "Ich bin dein Mensch". Foto: Christine Fenzl
Der perfekte Mann? Dan Stevens im Berlinale-Wettbewerbsfilm „Ich bin dein Mensch“. Foto: Christine Fenzl

93 % der deutschen Frauen finden die Kombination von Schaumbad, Champagner und Rosen erotisch. Alma Felser gehört zu den restlichen sieben Prozent. Eine hochkarätige Wissenschaftlerin, und auch sonst eine grundvernünftige Person, und was die romantischen Bedürfnisse anlangt, ist sie auch deutlich: „Ich bin nullkommanull an Liebe interessiert.“ Sie ist also auch nicht empfänglich für den perfekten Mann, mit dem sie zu Versuchszwecken drei Wochen das Leben teilt.

Tom ist zwar zu Beginn auf die Vorstellungen der 93 Prozent programmiert, aber er kann schnell umschalten. Tom ist ein selbstlernendes System in menschlicher Gestalt, und Alma muss darüber befinden, ob es zulässig sein soll, Menschen mit Humanoiden in Beziehung treten zu lassen. Die Testperson ist sie selbst, auch wenn es zuerst noch so aussieht, als stünde Tom auf dem Prüfstand.

Menschen sind keine Maschinen. Oder doch?

„Ich bin dein Mensch“ heißt der Film von Maria Schrader, in dem die große Frage des Unterschieds zwischen Mensch und Maschine verhandelt wird. Eine Stunde lang verläuft das alles sehr erwartbar, dann tauchen doch noch ein paar interessante Zwischentöne auf. Dass Alma eine Spezialistin für frühe menschliche Zivilisation ist und im Pergamonmuseum arbeitet, passt zu dem verhaltenen Pathos von „Ich bin dein Mensch“.

Eben noch war Maria Schrader mit der Serie „Unorthodox“ für einen Golden Globe nominiert, nun zeigt sie in ihrer dritten Regie-Arbeit erneut ein weltläufiges Berlin, in dem Büros wie Wohnungen immer Auslauf auf Dächer und Balkone haben, und die Menschen sich am Fernsehturm oder am IHZ orientieren.

Maren Eggert und der perfekte Mann. Foto: Christine Fenzl

Schrader hat sich für eine interessante Hauptdarstellerin entschieden: Maren Eggert, der Kinogemeinde vor allem vertraut durch Filme von Angela Schanelec, aber auch im Fernsehen bekannt, ist eine ideale Besetzung für Alma. Allerdings laboriert ihre Rolle, wie auch der ganze Film, an just jenem Problem, das sich auch mit Blick auf Tom nicht lösen lässt: „Ich bin dein Mensch“ ist so ausgewogen und berücksichtigt so methodisch alle Aspekte des Themas, dass man geradezu den Eindruck haben könnte, da wäre ein Filmprojekt einmal durch einen hocheffizienten Optimierungsalgorithmus gelaufen. Bert Rebhandl

Ich bin dein Mensch D 2020; 104 Min.; R: Maria Schrader; D: Maren Eggert, Dan Stevens, Sandra Hüller


„The First 54 Years – An Abbreviated Manual for Military Occupation“

Der Tonfall in Avi Mograbis Filmen ist oft sarkastisch. Auf der Berlinale 2021 ist er mit "The First 54 Years – An Abbreviated anual for Military Occupation" vertreten. Foto: Avi Mograbi
Der Tonfall in Avi Mograbis Filmen ist oft sarkastisch. Auf der Berlinale 2021 ist er mit „The First 54 Years – An Abbreviated anual for Military Occupation“ vertreten. Foto: Avi Mograbi

Avi Mograbi ist Stammgast bei der Berlinale, sowohl im Panorama wie im Forum liefen in über zwanzig Jahren schon diverse seiner stets innovativen Essay-Dokumentationen, die sich mit klar dezidierter politischer Haltung mit Missständen in seinem Heimatland auseinandersetzen. Meist geht es dabei um den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern; gemeinsam ist den Filmen dabei der oftmals sarkastische Tonfall, der nicht zuletzt durch Mograbis eigene Auftritte und Kommentare zustande kommt.

In seinem neuen Film „The First 54 Years – An Abbreviated Manual for Military Occupation“ gibt er auf seinem Sofa sitzend Tipps für eine erfolgreiche militärische Besetzung – klar, es geht um die Okkupation der von Palästinensern bewohnten Westbank und des Gaza-Streifens durch Israel seit dem sogenannten Sechstagekrieg von 1967.

Der Film geht chronologisch vor – und ist drastisch

Mograbis Film ist dabei auch ein mit historischem Bildmaterial unterfütterter chronologischer Abriss einer 54  Jahre währenden Besetzung, doch das Herzstück sind die Aussagen von ehemaligen Soldaten aus dem Umkreis der – in Israel äußerst umstrittenen – NGO „Breaking the Silence“, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Menschenrechtsverletzungen und militärischen Alltag in den besetzten Gebieten zu dokumentieren.

Berlinale 2021: Nach 54 Jahren steht man sich immer noch unversöhnlich gegenüber. Foto: Avi Mograbi
Nach 54 Jahren steht man sich immer noch unversöhnlich gegenüber. Foto: Avi Mograbi

Vertreibung von Flüchtlingen, Kollektivbestrafungen, Militärgerichte und Psychoterror – die Schilderungen der Augenzeugen lassen den totalen Zynismus einer Maschinerie erkennen, in der sich das Mittel der Gewalt derart verselbstständigt, dass es allen Beteiligten schließlich völlig normal erscheint, auch mit scharfer Munition auf achtjährige Steinewerfer zu schießen. „Es ist eine andere Welt mit anderen Regeln“, sagt einmal einer der Ex-Soldaten.

Und was vielleicht der größte Zynismus überhaupt ist: Die Gewalt und Gegengewalt hat in den ganzen 54 Jahren tatsächlich nichts bewirkt. Man steht sich immer noch so unversöhnlich gegenüber wie zuvor.  Lars Penning

The First 54 Years – An Abbreviated Manual for Military Occupation IL,F, FIN, D 2021, 115 Min., R: Avi Mograbi


„Die Welt wird eine andere sein“: Radikalisierung im Panorama

Canan Kir und Roger Azar im hintergründigen, geschickt konstruierten Drama "Die Welt wird eine andere sein", das auf der Berlinale 2021 Premiere hat. Foto: Christopher Aoun/Razor Film 2021
Canan Kir und Roger Azar im hintergründigen, geschickt konstruierten Drama „Die Welt wird eine andere sein“, das auf der Berlinale 2021 Premiere hat. Foto: Christopher Aoun/Razor Film 2021

Gäbe es nicht gleich zu Beginn das Exzerpt eines Abschiedsbriefs, in dem der Schreiber der Adressatin für fünf wundervolle Jahre dankt und dabei anmerkt, dass er ohne sie nicht die Kraft gehabt hätte, seinen „Weg zu gehen“, könnte man „Die Welt wird eine andere sein“ zunächst für eine hübsche Liebesgeschichte unter jungen Leuten im Deutschland der 90er-Jahre halten: Asli Bilge (Canan Kir), türkischstämmige Studentin der Humanbiologie, fällt bereits auf einem Rummelplatz ein junger Mann ins Auge, den sie wenig später bei einer Party im Studentenwohnheim näher kennenlernt. Saeed (Roger Azar) stammt aus dem Libanon und studiert auf Wunsch seiner Eltern Zahnmedizin in Deutschland. Doch das gefällt ihm eigentlich gar nicht: weder die Zahnmedizin, noch Deutschland. Lieber wäre er Pilot. 

Die Hinweise häufen sich

Ein verhinderter muslimischer Pilot, der der deutschen Gesellschaft skeptisch gegenübersteht und in einem Abschiedsbrief von „seinem Weg“ redet? Als Zuschauer ist man der verliebten Asli in dem geschickt geschriebenen Drama von Anne Zorah Berrached („24 Stunden“) gedanklich meist einen Schritt voraus, erkennt all die kleinen, scheinbar beiläufig eingestreuten Hinweise, die für sich genommen nicht unbedingt etwas bedeuten müssen und in der Summe doch auf eine Radikalisierung hinweisen.

Berlinale 2021: Zwischen Selbstbestimmung und Selbstverleugnung: Asli. Foto: Christopher Aoun/Razor Film 2021
Zwischen Selbstbestimmung und Selbstverleugnung: Asli. Foto: Christopher Aoun/Razor Film 2021

Aber „Die Welt wird eine andere sein“ ist kein erklärender Film über den Weg eines jungen Muslims hin zum islamistischen Attentäter des 9/11-Anschlags, sondern zäumt die Geschichte vom anderen Ende her auf: Es geht um Liebe, die blind macht, um ein Frauenleben zwischen Selbstbestimmung und Selbstverleugnung, und um die Hoffnung auf ein „normales“ Leben, die auch dann nicht stirbt, als die Lügen und Heimlichkeiten schon längst die Oberhand gewonnen haben.

An zwei Stellen bricht Berrached schließlich die Realitätsebene des Films: Einmal wacht Asli während eines Besuchs bei Saeeds säkularer Oberschichtfamilie im Libanon – während er ohne Erklärung seit Wochen im Jemen verschwunden ist – nachts auf und sieht, wie sie sich selbst prüfend betrachtet. Beim zweiten Mal schauen ihr aus den Spiegeln einer Fahrstuhlkabine gleich drei verschiedene Aslis beim Lesen von Saeeds Abschiedsbrief zu – und scheinen dabei auch die stumme Frage nach der Mitverantwortung der „Kopilotin“ („Copilot“ ist der internationale Titel des Films) zu stellen.  Lars Penning

Die Welt wird eine andere sein D/F 2021, 118 Min, R: Anne Zorah Berrached, D: Canan Kir, Roger Azar, Darina Al Joundi


Bert Rebhandl berichtet von der Berlinale, 1.3.2021


Mehr zur Berlinale 2021

Mit der Berlinale 2021 nimmt er seine Pflicht ernst, Berlin etwas zu bieten: Filmfestspiele-Chef Carlo Chatrian im Gespräch über seine Pläne für das Jahr. Sorgfältig kuratiert und voller Höhepunkte: Diese Filme dürft ihr bei der „Woche der Kritik“ der Berlinale nicht verpassen. Hier vernetzen sich junge Filmschaffende, dieses Jahr eben online. Ein paar Highlights von den Berlinale Talents könnt ihr aber auch sehen. Am Vorabend der Festspiele haben die Filmtheater auf ihre prekäre Situation aufmerksam gemacht – mit der Aktion „Kino leuchtet. Für dich“. Wir berichten immer wieder aktuell über die Berlinale – alle Beiträge hier.

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