Kinokunst

Berlinale-Blog: Die wichtigsten Filme im Festival 2022

Die Berlinale 2022 in Präsenz, Filme wieder im Kino – ein Geschenk angesichts der vergangenen Jahre. Unsere tipBerlin-Filmkritiker:innen waren beim Wettbewerb dabei und haben jeden der Filme gesehen. Im Film-Blog zur Berlinale findet ihr die Rezensionen zum Wettbewerb. Übrigens: Noch mehr Berlinale-Content liefert euch unser englischsprachiges Schwestermagazin Exberliner: auf der Homepage und bei Instagram.


16. Februar: „So-seol-ga-ui Yeong-hwa“ („The Novelist’s Film“) ist bewundernswert konsequent

Die Schauspielerin und die Schriftstellerin bereden ein gemeinsames Projekt in „So-seol-ga-ui Yeong-hwa“ Foto: Jeonwonsa Film Co. Production

Mittlerweile 27 Spielfilme hat der koreanische Regisseur Hong Sang-soo seit 1996 gedreht, inklusive seines jüngsten Werks „So-seol-ga-ui Yeong-hwa“ („The Novelist’s Film“), das jetzt im Wettbewerb der Berlinale 2022 seine Premiere feiert. Unaufhörlich und mit bewundernswerter Konsequenz strickt Hong darin an seinem poetischen Gesamtkunstwerk weiter, in dem es um immer die gleichen Fragen geht: Wie können Männer und Frauen zusammenkommen? Wie soll man überhaupt leben? Und wie können künstlerisch tätige Personen etwas Wahrhaftiges schaffen, ohne große Kompromisse eingehen zu müssen?

Der Fokus verschiebt sich innerhalb dieses Themenkreises in jedem Hong-Film aufs Neue: Standen anfangs noch bequeme, immer etwas selbstmitleidige Männer im Zentrum, kamen in späteren Werken vor allem Frauen zum Zuge, in diesen gänzlich unspektakulären Geschichten, in denen es trotzdem irgendwie immer ums Ganze geht.

Diesmal stehen nunmehr keine Beziehungsprobleme, sondern ganz klar die künstlerischen Fragen im Mittelpunkt: Eine berühmte Schriftstellerin besucht in einem Außenbezirk von Seoul eine Kollegin, die das Schreiben jedoch vollkommen aufgegeben hat, um einen Buchladen zu führen. Lars Penning hat sich „So-seol-ga-ui Yeong-hwa“ („The Novelist’s Film“) angesehen: eine überraschend offenherzige Liebeserklärung an die Kunst und die Schauspielerinnen angesehen.


Fiktionsbescheinigung: Ein Gespräch über „Durch die Wüste“

Zum zweiten Mal nach 2021 zeigt das Internationale Forum des Jungen Films bei der Berlinale eine Reihe, die neben dem regulären Programm einen neuen Blick auf die Filmgeschichte Deutschlands wirft: „Fiktionsbescheinigung“ versucht, Ausschlüsse zu revidieren und den Kanon neu zu denken. Vom ursprünglich fünfköpfigen Auswahlteam sind nun zwei geblieben: Biene Pilavci und Enoka Ayemba. Für den tipBerlin hat Bert Rebhandl mit ihnen über Rassismus und Diversität in der deutschen Filmbranche gesprochen, und über eine der Entdeckungen in ihrer Reihe, den Film „Durch die Wüste“, entstanden in Berlin 1987.


15. Februar: „Alcarràs“ kann überzeugen, „Leonora addio“ ist zwiespältig

Was bekommen die Kinder mit von den Problemen der Großen im Drama „Alcarràs“? Foto: LluisTudela

Es sieht so aus, als sei das letzte Jahr der Pfirsichplantage angebrochen, die die Solés in Alcarràs, einem kleinen Ort in Katalonien, unterhalten. Der Don, dem ihr Land gehört, will es verpachten an ein Unternehmen, das dort wiederum Solarpaneele aufstellen will. Das machen jetzt viele so. Die Landwirtschaft wirft schließlich nicht mehr genug ab, jedenfalls nicht für Familienbetriebe.

In ihrem Drama „Alcarràs“ verarbeitet die katalonische Regisseurin Carla Simón autobiografische Erlebnisse und erzählt von einer Bauernfamilie, die im Kampf um ihre Pfirsichplantage auf verlorenem Posten steht. Laiendarsteller:innen sorgen für authentisches Flair in einer Geschichte, die auch grundsätzliche Probleme der spanischen Gegenwartsgesellschaft aufgreift. tipBerlin-Autorin Alexandra Seitz hat auf ein Happy End gehofft. Ihre Kritik zu „Alcarràs“ lest ihr hier.


Fabrizio Ferracane in „Leonora addio“ Foto: Umberto Montiroli

Der 90-jährige Paolo Taviani schafft mit „Leonora addio“ eine tragikomische Hommage an den italienischen Autor Luigi Pirandello, Nobelpreisträger von 1934, und die merkwürdigen Umstände seiner Beerdigung: Nach seinem Tod 1936 soll seine Leiche nach seinem Willen verbrannt und die Asche in seiner sizilianischen Heimat verstreut werden, doch die Regierung wünscht ein faschistisches Staatsbegräbnis. So bleibt die Asche eingemauert in Rom bis nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dann wird sie in seine Heimat transportiert – eine Odyssee, die auch noch nicht zu Ende ist, als der Sarg in einer feierlichen Prozession durch die Straßen von Agrigent getragen wird. Doch der Film mit einem Fokus auf Schuld und Sühne leidet an symbolischen Überfrachtungen, findet tipBerlin-Autor Frank Arnold, der sich „Leonora addio“ im Wettbewerb der Berlinale angesehen hat.


14. Februar: „Drii Winter“, „Un été comme ça” – und ein starker Bärenanwärter

Schön, aber gnadenlos: die Schweizer Alpen in „Drii Winter“. Foto: Armin Dierolf/hugofilm

In der grasgrünen Berglandschaft hängt Nebel. Die Kamera hat einen Gesteinsbrocken fokussiert. Aus dem Off ertönt ein Choral. Dramatisch. Die Kameraperspektiven, die in „Drii Winter“ folgen, sind oft durch starke Auf- oder Untersicht geprägt, will heißen: Es ist ganz schön steil hier. Die Schwerkraft zieht zum Abgrund. Doch die Männer im bergigen Gelände wissen, was zu tun ist: Man hat den Schraubenzieher und die Axt fest im Griff, um sich die Natur und das Menschgemachte zurechtzuformen, zu kultivieren, wie man es braucht, also wie es zu sein hat. Davon werden wir noch viel sehen. Drei Winter lang.

„Drii Winter“, der zweite lange Spielfilm des Schweizer Regisseurs Michael Koch, erzählt von Anna (Michèle Brand), die sich in der konservativen Bergwelt der Schweizer Alpen ausgerechnet in einen Fremden verliebt – und auch zu ihm hält, als er mit einem Gehirntumor diagnostiziert wird. tipBerlin-Autor Stefan Hochgesand hat sich das unaufgeregte Drama „Drii Winter“ im Wettbewerb der Berlinale angesehen.


Anne Ratte-Polle, Larissa Corriveau und Laure Giappiconi in „Un été comme ça” Foto: Lou Scamble/Metafilms

„Let’s talk about Sex“ hieß es in einem Hit der 90er-Jahre, der auch das Motto von „Un été comme ça“ („That Kind of Summer“) sein könnte, dem jüngsten Film von Berlinale-Dauergast Denis Côté. Vor zehn Jahren war der kanadische Regisseur mit der experimentellen Dokumentation „Bestiare“, zum ersten Mal in Berlin zu Gast, damals noch im Forum. Er hat ein Faible für Menschen, die aus dem Rahmen fallen, die auf die ein oder andere Weise nicht der Norm entsprechen.

Das sind in „Un été comme ça“ die drei Frauen Léonie (Larissa Corriveau), Geisha (Aude Mathieu) und Eugénie (Laure Giappiconi), die sich für 26 Tage in einem malerischen Haus am See behandeln lassen. Denn das Trio „leidet“ an Hypersexualität und findet vor allem in Gang Bangs und SM-Spielen Befriedigung. Ihnen zur Seite stehen der Sozialarbeiter Sami (Samir Guesmi) und die deutsche Therapeutin Octavia (Anne Ratte-Polle), die selbst mit Beziehungsproblemen zu kämpfen hat und versucht, telefonisch das Verhältnis mit ihrer Noch-Freundin zu retten. Das Schauspiel ist gelungen, doch der Inhalt leider dürftig, findet unser Autor. Michael Meyns’ Kritik zu „Un été comme ça“ lest ihr hier.


Ein Konzertabend im Bataclan, hier noch unbeschwert in ,,Un año, una noche” Foto: 2022 UNA NOCHE LA PELICULA A.I.E – BAMBU PRODUCCIONES, S.L – MR. FIELDS AND FRIENDS CINEMA, S.L – LA TERMITA FILMS, S.L – NOODLES PRODUCTIONS, S.A.R.L

Ramón und Céline sind ein glückliches Paar Ende Zwanzig, er ist Spanier, sie Französin. In ihrer kleinen Pariser Wohnung geht es ihnen gut, und zwischen WG-Partys und Arbeit findet sich noch allerlei Zeit für jugendliche Turteleien. Ein fataler Konzertabend im Bataclan verändert alles. Die Ereignisse der Nacht werden fragmentarisch aus der jeweiligen Sichtweise von Ramón und Céline gezeigt, mit allem was davor war und was danach kam.

Bei einem Film über Überlebende des Bataclan-Terrorangriffs von 2015 kann viel schief gehen, das Potenzial, Kontroversen auszulösen ist groß. tipBerlin-Autorin Nora Stavenhagen ist nach der Vorführung des Berlinale-Wettbewerbbeitrags emotional ganz mitgenommen – und sieht den Bären für die beste schauspielerische Leistung bei Nahuel Pérez Biscaryart. Ihre Kritik zu ,,Un año, una noche” (One Year, One Night) von Isaki Lacuesta lest ihr hier.


13. Februar: So gut sind die deutschen Beiträge, ein Gleichnis aus China, einer indonesischen Geschichtsstunde

Wenn man es ein wenig zuspitzt, dann ist die 72. Berlinale im wesentlichen ein verlängertes Wochenende, mit den beiden deutschen Beiträgen zum Wettbewerb als Höhepunkt. Den Termin am Sonntag bekam Nicolette Krebitz: „A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“ heißt ihr Film. Sophie Roise spielt darin eine Schauspielerin, die sich in einen sehr viel jüngeren Mann verliebt. tipBerlin-Kritiker Michael Meyns hat spannende Bezüge zum französischen Kino erkannt und ist sehr angetan.

„A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“ von Nicolette Krebitz. Foto: Komplizen Film

Knapp die Hälfte des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs ist vorbei, sodass getrost gesagt werden kann: Es ist das Jahr der Frauen und ihrer Geschichten. Nicht nur, dass bei jedem zweiten Film eine Frau Regie führte, auch die Themen, die verhandelt werden, die Figuren, die im Mittelpunkt stehen, sind in erster Linie Frauen. Was nicht heißt, dass keine Männer vorkommen, aber das vermeintlich starke Geschlecht spielt bislang meist eine Nebenrolle und sieht, vorsichtig ausgedrückt, oft nicht wirklich gut aus.

„Nana“ von Kamila Andini. Foto: Batara Goempar

Auch „Nana“ ist so ein Film, mit spannendem Blickwinkel dazu Was wissen wir aus Indonesien in den 1960er Jahren? Für die meisten Menschen im Berlinale-Publikum ist das wahrscheinlich ein blinder Fleck. Aber Filmfestivals sind gerade dann spannend, wenn sie neue Welten erschließen. „Nana“ von Kamila Andini hat den tipBerlin-Kritiker Michael Meyns auf historische Bildungslücken gebracht, die sich allerdings umso leichter verkraften lassen, als die Regisseurin einen ästhetisch starken Film gemacht hat.


Kein Land hat sich in den vergangenen 50 Jahren stärker verändert als die Volksrepublik China. Li Ruijun zeichnet in „Return to Dust“ nach, wie sich diese Veränderungen auf Menschen in den entlegensten Dörfern auswirken. Der Film will aber nicht auf politische Kritik hinaus, sondern auf eine großes Sinnbild für Wachsen und Vergehen. Bert Rebhandl hat sich „Return to Dust“ für den tipBerlin angeschaut.

„Return to Dust“ von Li Ruijun. Foto: Hucheng No.7 Films Ltd.

Murat Kurnaz lebte in Bremen, bevor er 2001 nach Pakistan reiste, wo er nach den Anschlägen von 9/11 in die Mühlen der Weltpolitik geriet. Andreas Dresen erzählt in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ von dem Kampf, den die Mutter von Murat Kurnaz gegen die höchsten amerikanischen Autoritäten führte. Am 31.10.2001 reiste der damals Neunzehnjährige Kurnaz nach Pakistan, um – wie er selbst sagte – sich in einer Koranschule auf seine bevorstehende Hochzeit vorzubereiten. Oder war das nur die Tarnung, um sich radikalislamistischen Kämpfern anzuschließen? Jedenfalls kam er in amerikanische Gefangenschaft und landete schließlich in dem berüchtigten Lager Guantanamo. Dresen erzählt aus dem Blickwinkel von Rabiye, der Mutter von Kurnaz, und ihres Anwalts Bernhard Docke tipBerlin-Mitarbeiter Frank Arnold stellt fest: der erste der beiden deutschen Beiträge im Wettbewerb kann sich sehen lassen.


Alexander Scheer und Meltem Kaptan in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“. Foto: Andreas Hoefer/Pandora Film

Wer nachts nicht schlafen kann, sollte Radio hören. Das wäre zumindest eine Lektion aus dem Film „Les passagers de la nuit“ von Mikhaël Hers. Darin spielt Charlotte Gainsbourg eine Frau, die eine Familie zusammenhalten soll, und dafür gar nicht so gut geeignet scheint. tipBerlin-Kritikerin Susanne Stern hat sich gefreut, nach einigen Filmen mit großen Themen auch mal wieder einen Film mit Alltag zu sehen. Alltag in Paris ist ja sowieso immer was Besonderes.

Charlotte Gainsbourg in „Les passagers de la nuit“ von Mikaël Hers. Foto: Nord-Ouest Films, Arte France Cinema

Mikhaël Hers erzählt in seinem Film „Les passagers de la nuit“ vom Ende und Neuanfang einer Familie in einem der Hochhäuser in einem Viertel von Paris, das Touristen nie besuchen. Charlotte Gainsbourg spielt Elisabeth, eine gerade von ihrem Mann verlassene Frau mittleren Alters, die nun allein ist mit Sohn und Tochter im Teenageralter. Sie hat noch nie gearbeitet und hat das schlechte Gefühl, dass sie für die Arbeitswelt und fürs Leben allgemein zu zerstreut und zu sensibel ist – ihren ersten Job verliert sie, weil sie gleich mal abends vergisst, die Daten des Tages zu sichern. Charlotte Gainsbourg berührt als unsichere Hauptfigur, die nie schläft, sich nicht viel zutraut und doch immer wieder die Kraft für den nächsten Schritt findet – ein Lebensgefühl, das vermutlich vielen Zuschauenden näher ist als die außergewöhnlichen Erfahrungen, von denen die meisten anderen Wettbewerbsfilme handeln, schreibt Susanne Stern in ihrer Kritik zu „Les passagers de la nuit“.


Elizabeth Banks und Wunmi Mosaku in „Call Jane“ Foto: Wilson Webb

Bedrückende Filme zum Thema Abtreibung gibt es einige: „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ (Cristian Mungiu, 2007) handelt in Rumänien zur Zeit von Diktator Ceauşescu; „Never Rarely Sometimes Always“ (Eliza Hittman, 2020) ist in den USA der Gegenwart angesiedelt; „L‘evenement“ (Audrey Diwan, 2021, demnächst im Kino) schildert ein Ereignis im Frankreich der frühen 1960er-Jahre. In all diesen Filmen steht die mit der Entscheidung hadernde und an den gegebenen Möglichkeiten leidende, immer wieder auch nahezu verzweifelnde Frau im Mittelpunkt. Das ist nachvollziehbar. Aber ist es nicht vielleicht auch denkbar, einmal anders an die Sache heranzugehen?

In „Call Jane“ erzählt die amerikanische Regisseurin Phyllis Nagy von einer Frauenkooperative im Chicago des Jahres 1968, die Frauen die Möglichkeit einer Abtreibung unter würdigen Umständen anbietet. Kann so ein Thema kompatibel mit dem Mainstream-Kino sein? Und gute Laune machen? Ja, findet tipBerlin-Autorin Alexandra Seitz. Sie hat sich „Call Jane“ im Berlinale-Wettbewerb angesehen.


12. Februar: Ulrich Seidl altersmilde, ratlos machende Puppen – und ein beeindruckendes Liebesdrama

Die französische Regisseurin Claire Denis arbeitet für „Avec amour et acharnement“ wie schon in „Meine schöne innere Sonne“ mit Juliette Binoche zusammen: Erneut geht es um eine Frau in mittleren Jahren, die sich ihrer Liebe stärker ausliefert, als es einem stabilen Leben guttut. tipBerlin-Kritiker Michael Meyns war sehr beeindruckt.

„Avec amour et acharnement“ von Claire Denis. Foto: Curiosa Films 2022

Der vermutlich ungewöhnlichste Film im Wettbewerb der 72. Berlinale stammt von einem Kinokünstler aus Kambodscha: Rithy Panh erzählt in „Everything Will Be Ok“ mit Modellfiguren eine Geschichte von einem radikal veränderten Verhältnis zwischen Menschen und Tieren. tipBerlin-Filmkritiker Bert Rebhandl war beeindruckt, aber auch ein bisschen ratlos.

„Everything Will Be Ok“ von Rithy Panh. Foto: CDP, Anupheap Production

Gut ein Jahrzehnt liegen die letzten Spielfilme Ulrich Seidls zurück und auch die letzte Dokumentation schon fünf. Nun ist der bald 70-Jährige erneut im Berlinale Wettbewerb zu Gast, hat mit „Rimini“ einen Film gedreht, der durch und durch ein Seidl ist – aber doch von Momenten der Milde, ja, fast Versöhnlichkeit durchzogen ist. Unser Autor Michael Meyns hat sich den Film angesehen, in dem aus einem selbstgerechten Arsch ein Mensch wird. Und festgestellt: Ulrich Seidls neuer Film ist erstaunlich altersmilde – hier seine Kritik.

Schlagersänger Richie Bravo (Michael Thomas) sprengt fast das Kostüm in „Rimini“ Foto: Ulrich Seidl Filmproduktion

11. Februar: „La ligne“ im Berlinale-Wettbewerb

„La ligne“, Wettbewerbsbeitrag von Ursula Meier. Foto: 2022 Bandita Films/Les Films de Pierre/ Les Films Du Fleuve/Arte France Cinema// RTS/RTBF (Télévision belge)/VOO et BE TV

La ligne“ (Die Linie) heißt der neue Film der französisch-schweizerischen Filmemacherin Ursula Meier, der im Wettbewerb der Berlinale 2022 seine Premiere feiert. Das geht schon mal krachend los: Flaschen, Schallplatten, eine Blumenvase zerschellen an der Wand, dann ein Schwenk in den Raum, in dem eine ganze Familie ein Ballett der handgreiflichen Auseinandersetzung aufführt: Entsetzte, wutverzerrte Gesichter, aufgerissene Münder, entfesselte Körper und Gewalt, Gewalt, Gewalt. Das alles in einer leichten Zeitlupe gezeigt und untermalt von wohltemperierter, angenehmer Musik.

Ein fulminanter Einstieg in „La ligne“. Denn natürlich will man nun wissen, was da eigentlich genau passiert ist. Beziehungsweise wie es dazu kam, dass eine Tochter ihre eigene Mutter mit derartiger Vehemenz angreift, dass ein Richter sich dazu genötigt sieht, ein Annäherungsverbot zu verhängen. Hundert Meter Abstand muss Margaret, 35 Jahre alt, vom Haus ihrer Mutter Christina, 55 Jahre alt, halten, was auch bedeutet, dass sie ihre temporäre Unterkunft in der Garage (!) verliert. Unsere Autorin Alexandra Seitz ist begeistert von der erzählerischen Nonchalance der Regisseurin. Ihre Kritik zu „La ligne“ lest ihr hier.


11. Februar: „Robe of Gems“ im Wettbewerb

Gewalt in Mexiko: „Robe of Gems“ von Natalia López Gallardo. Foto: Visit Films

Robe of Gems“ der Regisseurin Natalia López Gallardo ist im Wettbewerb der Berlinale 2022 zu sehen. Es ist ihr Regiedebüt, aber sie hat zuvor schon mit den bekanntesten Regisseuren ihrer Heimat gearbeitet. In ihrem Drama konfrontiert sie drei Frauen auf unterschiedliche Weise mit der gewaltvollen Realität in Mexiko.

Tiefschwarz ist die Leinwand, Grillen zirpen, Vögel zwitschern, doch nicht melodisch, sondern zunehmend kakophonisch. Langsam öffnet sich die Blende, es wird Licht, Äste werden erkennbar, Bäume, ein Arbeiter auf dem Acker. Auf der Tonspur meint man spielende Kinder zu hören, dann ein dumpfes Stöhnen. Eine Spiegelung wird wahrnehmbar, das Bild erweist sich als Blick durch ein Fenster, wie der Gegenschuss endgültig klar macht: Eine Frau steht am Fenster, ein Mann hinter hier, er greift wenig zärtlich an ihre Brüste, sie drückt ihn weg, er weicht in den Raum zurück, schmeißt voller Wut einen Stuhl an die Wand. Mit diesen beiden Einstellungen beginnt „Robe of Gems“, Natalia López Gallardos Wettbewerbsbeitrag zur Berlinale 2022, und in diesen knapp drei Minuten steckt schon alles drin, was folgen wird. Unser Autor Michael Meyns hat die Kritik zu „Robe of Gems“.


10. Februar: Auftakt mit „Peter von Kant“ – und die wichtigsten Infos zu Ticketkauf und Festival

Peter von Kant“ heißt der Eröffnungsfilm der Berlinale 2022 – frei nach dem Stück „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“. Regisseur François Ozon variiert Rainer Werner Fassbinder. Das passt, hatte der Franzose doch sein Regiedebüt mit dem Spielfilm „Tropfen auf heiße Steine“ gegeben, dessen Vorlage wiederum ein weniger bekanntes Bühnenstück des deutschen Filmemachers und Dramatikers war (dieser Film hatte damals ebenfalls seine Premiere bei der Berlinale). Unser Autor Frank Arnold hat „Peter von Kant“ im Berlinale-Wettbewerb gesehen.

Denis Ménochet (r.) in „Peter von Kant“. Fraçois Ozons Fassbinder-Neuverfilmung eröffnet den Berlinale-Wettbewerb. Foto: C. Bethuel, FOZ

Ozon hat seinen Film in Köln 1972 angesiedelt, bis auf eine Außenaufnahme spielt er ganz in von Kants Wohnung, aber das Stilisierte des Fassbinder-Films geht ihm ab. Er verwendet in Ereignissen, Dialogen und Figuren zahlreiche Anspielungen auf Fassbinder (es ist interessant zu wissen, wie jemand den Film erlebt, der gar nichts über Fassbinder weiß) und handelt am Ende wie dessen Filme von den Schwierigkeiten der Liebe und des Begehrens, einer „Liebe ohne zu fordern“. Die ausführliche Rezension zu „Peter von Kant“ lest ihr hier.


2021 hat uns das maskenbewehrte Ensemble des im besten Sinne grotesken Films „Bad Luck Banging or Loony Porn“ von den Sitzbänken der Freiluftkinos gehauen. Und nun setzen wir uns die Masken auf und machen uns auf zum Berlinale-Palast. Am Donnerstag starten die 72. Berliner Filmfestspiele. Wir stellen euch die Wettbewerbsfilme vor – und können gar nicht anders, als wild zu spekulieren: Unsere Bären-Verdachtsfälle stehen schon fest

Festivaleröffnung der Berlinale 2022 am Donnerstagabend. Foto: Imago/A. Friedrichs

Ob die Wette aufgeht, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Wir sind dabei und liefern euch die Filmkritiken zum Wettbewerb. Die Chancen, dass wir euch auch im Publikum treffen, stehen auch nicht so schlecht: Die Tickets gehen immer erst drei Tage vor der Vorstellung in den Verkauf, alle Infos gibt’s hier. Eröffnet wird die Berlinale dieses Jahr von François Ozon.


Mehr zum Thema

Nach dem Kino noch was essen? Kulinarische Berlinale: Restaurants rund um den Potsdamer Platz. Alles über die Filmfestspiele: Hier ist unser Überblick zur Berlinale 2022. Was läuft sonst? Das aktuelle Kinoprogramm für Berlin findet ihr hier.

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