Berlinale 2022

„Leonora addio“: Zwiespältiges Alterswerk von Paolo Taviani

Der 90-jährige Paolo Taviani schafft mit „Leonora addio“ eine tragikomische Hommage an den italienischen Autor Luigi Pirandello und die merkwürdigen Umstände seiner Beerdigung. Doch der Film mit einem Fokus auf Schuld und Sühne leidet an symbolischen Überfrachtungen, findet tipBerlin-Autor Frank Arnold, der sich das Werk im Wettbewerb der Berlinale angesehen hat.

Fabrizio Ferracane in „Leonora addio“ Foto: Umberto Montiroli

Mittlerweile 90 Jahre alt: Paolo Taviani, der Regisseur von „Leonora addio“

Die Goldene Palme, die sie 1977 beim Festival von Cannes für „Padre Padrone“ entgegennehmen konnten, machte die Brüder Paolo und Vittorio Taviani auch international einem größeren Publikum bekannt – die Spielfilme, die sie zuvor, bereits seit 1962, gedreht hatten, erlebten hierzulande ihre Erstaufführung zumeist im Fernsehen. Aber nach dem Erfolg der Geschichte vom Hirtenjungen und seiner Abnabelung vom Vater und den beengenden Verhältnissen, gehörten sie in den 80er-Jahren zu den bekanntesten Namen des europäischen Arthouse-Kinos, mit Filmen wie „Die Wiese“, „Kaos“, „Die Nacht von San Lorenzo“ und ihrer aufwändigen Reminiszenz an das frühe Kino, „Good Morning Babylon“.

Ein später Erfolg war 2012 der Goldene Bär der Berlinale für „Cäsar muss sterben“, während die nachfolgenden beiden Filme wenig Beachtung fanden, „Das Dekameron“ (2015) blieb ohne Kinostart in Deutschland, die Partisanengeschichte „Eine private Angelegenheit“ (2017) kam erst mit dreijähriger Verspätung in die deutschen Kinos: 2018 verstarb Vittorio im Alter von 88 Jahren, sein jüngerer Bruder Paolo (der im November seinen 90. Geburtstag feierte), legt jetzt mit „Leonora addio“ einen Film vor, der sich – nicht unpassend – mit dem Vergehen der Zeit und mit dem Tod beschäftigt.

Matteo Pittiruti in „Leonora addio“ Foto: Umberto Montiroli

Das Vergehen der Zeit: Kernthema von „Leonora addio“

Die ersten zwei Drittel des Films sind eine tragikomische Hommage an den großen italienischen Autor Luigi Pirandello, Nobelpreisträger von 1934. Nach seinem Tod 1936 soll seine Leiche nach seinem Willen verbrannt und die Asche in seiner sizilianischen Heimat verstreut werden, doch die Regierung wünscht ein faschistisches Staatsbegräbnis. So bleibt die Asche eingemauert in Rom bis nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dann wird sie in seine Heimat transportiert – eine Odyssee, die auch noch nicht zu Ende ist, als der Sarg in einer feierlichen Prozession durch die Straßen von Agrigent getragen wird.

An diese in Schwarzweiß gehaltene Erzählung, die zahlreiche Ausschnitte aus Meilensteinen der italienischen Filmgeschichte als dokumentarisches Material einbaut, angefangen mit Roberto Rossellinis „Paisa“ (der die Tavianis einst inspirierte, Filmemacher zu werden), ist eine farbige Geschichte angefügt, die auf einem späten Stück Pirandellos basiert, hier geht es ebenfalls um das Vergehen von Zeit, wie schon zu Beginn, als Pirandello seine drei Kinder erwachsen werden sieht, auch hier an einer Stelle mittels kunstvoller Überblendungen in Szene gesetzt. Die Geschichte selber, mit ihrem Blick auf Schuld und Sühne, ist allerdings symbolisch überfrachtet. Ein zwiespältiges Werk.


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