Berlinale 2022

„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“: Zufällig in die Weltpolitik

Murat Kurnaz lebte in Bremen, bevor er 2001 nach Pakistan reiste, wo er nach den Anschlägen von 9/11 in die Mühlen der Weltpolitik geriet. Andreas Dresen erzählt in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ von dem Kampf, den die Mutter von Murat Kurnaz gegen die höchsten amerikanischen Autoritäten führte. tipBerlin-Mitarbeiter Frank Arnold stellt fest: der erste der beiden deutschen Beiträge im Wettbewerb kann sich sehen lassen.

Alexander Scheer und Meltem Kaptan in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“. Foto: Andreas Hoefer/Pandora Film

Fünf Jahre unschuldig eingesperrt: Andreas Dresen beklagt mit „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ einen politischen und juristischen Skandal

Als „Der Bremer Taliban“ wurde er von einem Boulevardblatt bezeichnet. Murat Kurnaz ist ein türkischer Staatsbürger, der jahrelang mit seinen Eltern und den zwei jüngeren Brüdern in Bremen lebte. Am 31.10.2001 reiste der damals Neunzehnjährige nach Pakistan, um – wie er selbst sagte – sich in einer Koranschule auf seine bevorstehende Hochzeit vorzubereiten. Oder war das nur die Tarnung, um sich radikalislamistischen Kämpfern anzuschließen? Jedenfalls kam er in amerikanische Gefangenschaft und landete schließlich in dem berüchtigten Lager Guantanamo. Davon erzählte 2007 sein autobiografischer Bericht „Fünf Jahre meines Lebens“, auf den 2013 der Film „Fünf Jahre Leben“ mit Alexander Sascha Gersak als Kurnaz aufbaute.

Andreas Dresen hat für seinen Film eine andere Perspektive gewählt, er erzählt aus dem Blickwinkel von Rabiye, der Mutter von Kurnaz, und ihres Anwalts Bernhard Docke. Mit der Comedienne Meltem Kaptan hat er dabei eine Hauptdarstellerin gefunden, die dem Film bei allem Drama eine leichte Note verleiht, voller Energie und eigenwillig. Zusammen mit Alexander Scheer, dem Titeldarsteller von Dresens vorangegangenem Film „Gundermann“, als Anwalt sie ein gutes Gespann, ihre überschwängliche Art kontert er mit trockenem norddeutschen Humor.

„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“. Foto: Pandora Film

Bereits 2002 wurde Kurnaz von deutschen Polizeibeamten in Guantanamo verhört, sie kamen, wie auch die Amerikaner, zu dem Schluss, dass er unschuldig sei, doch das Angebot der Amerikaner, ihn freizulassen, wurde von der deutschen Regierung torpediert. Die unrühmlichen Rollen, die Frank-Walter Steinmeier und Hans-Georg Maaßen dabei spielten, kommen nicht nur Sprache, auch nicht die verschwundenen Akten eines Untersuchungsausschusses. Dresen zeigt aber, im einzigen dokumentarischen Einsprengsel, wie der damalige Bremer Innenssenator Kurnaz die Aufenthaltserlaubnis aberkennen will, weil der länger als ein halbes Jahr keinen deutschen Boden mehr betreten hätte. Und er lässt Docke nach einer Information durch einen befreundeten Staatsanwalt ausrufen: „Die von mir gewählte rot-grüne Regierung hat verhindert, dass er vor dreieinhalb Jahren freigelassen wurde!“

Wie der Guantanamo-Film der vergangenen Berlinale, Kevin Macdonalds „Der Mauretanier“, findet sich auch bei Dresen der Glaube an eine gerechte Justiz (Dresen ist selbst seit 2012 Verfassungsrichter in Brandenburg und hat hier einen stummen Cameoauftritt als einer der Richter des Supreme Court). Am Ende allerdings steht die bittere Wahrheit, dass sich nie eine offizielle Stelle bei Kurnaz und seiner Familie entschuldigt hat – und dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Guantamano immer noch 39 Menschen ohne Anklage festgehalten werden.


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