Berlinale 2022

Rimini: Ulrich Seidls neuer Film ist erstaunlich altersmilde

Gut ein Jahrzehnt liegen die letzten Spielfilme Ulrich Seidls zurück und auch die letzte Dokumentation schon fünf. Nun ist der bald 70-Jährige erneut im Berlinale Wettbewerb zu Gast, hat mit „Rimini“ einen Film gedreht, der durch und durch ein Seidl ist – aber doch von Momenten der Milde, ja, fast Versöhnlichkeit durchzogen ist. Unser Autor Michael Meyns hat sich den Film angesehen, in dem aus einem selbstgerechten Arsch ein Mensch wird.

Schlagersänger Richie Bravo (Michael Thomas) sprengt fast das Kostüm in „Rimini“ Foto: Ulrich Seidl Filmproduktion

Nebensaison in „Rimini“: Schlager für alternde Österreicher

In einem Altenheim in Österreich beginnt der Film, für einen Moment mag man glauben, dass es Rimini heißt, was natürlich ein typischer Seidl-Einfall gewesen wäre. Doch weit gefehlt, Schauplatz ist tatsächlich das italienische Seebad Rimini, das sich hier allerdings von seiner trostlosesten Seite zeigt. Im Winter ist die Stadt verlassen, nur ein abgehalfterter Schlagersänger wie Richie Bravo (Michael Thomas) findet in der Nebensaison Arbeit, betört sein alterndes Publikum, das übers Wochenende aus der österreichischen Heimat runtergondelt und in Hotels mit klingenden Namen wie 007 oder Diplomat absteigt, deren beste Zeiten längst vorbei sind, wenn sie denn jemals existierten.

Eindeutig Nebensaison in Italien: „Rimini“ von Ulrich Seidl Foto: Ulrich Seidl Filmproduktion

Ähnliches gilt für Richie, der eine Plauze hinter ausladenden Hemden und Mänteln versteckt, während er mit Cowboystiefeln durch die menschenleere Stadt stampft – und als Gigolo nachts Fans beglückt, die ihren Schwarm einmal tatsächlich hautnah erleben wollen. So könnte es ewig weitergehen, doch dann wird Richie mit der Tatsache konfrontiert, dass selbst er keine Insel ist: In der Heimat siecht der Vater (Hans-Michael Rehberg, der während der Dreharbeiten verstarb) dahin und wird von Erinnerungsfetzen an den Nationalsozialismus geplagt, in Rimini steht plötzlich Tessa (Tessa Göttlicher) vor Richie, seine Tochter, deren Mutter er vor Jahren verlassen hat.

Gelingt ein fundamentaler Wandel in „Rimini“?

Nichts anderes als Geld will Tessa, die zum Unwillen Richies auch noch einen arabischen Freund hat, doch dann geschieht Seltsames: Beim Versuch, das Geld zusammenzubekommen, entwickelt Richie so etwas wie echte Gefühle für seine Nächsten. Bei einem Besuch des Vaters kann er es sich zwar nicht verkneifen, in den Schubladen nach Geld zu schauen, aber dennoch: Mit dem Tod des Vaters und der verlorenen Tochter konfrontiert, wird aus einem selbstgerechten Arsch ein Mensch. Zumindest für Momente, denn Seidl ist am Ende doch zu sehr Seidl, als könnte oder gar wollte er bei einen Mann wie Richie durch einen banalen kathartischen Moment einen fundamentalen Wandel behaupten.


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