„Robe of Gems“ der Regisseurin Natalia López Gallardo ist im Wettbewerb der Berlinale 2022 zu sehen. Es ist ihr Regiedebüt, aber sie hat zuvor schon mit den bekanntesten Regisseuren ihrer Heimat gearbeitet. In ihrem Drama konfrontiert sie drei Frauen auf unterschiedliche Weise mit der gewaltvollen Realität in Mexiko. Unser Autor Michael Meyns hat die Kritik zum Film.
„Robe of Gems“: ein Blick auf die mexikanische Realität
Tiefschwarz ist die Leinwand, Grillen zirpen, Vögel zwitschern, doch nicht melodisch, sondern zunehmend kakophonisch. Langsam öffnet sich die Blende, es wird Licht, Äste werden erkennbar, Bäume, ein Arbeiter auf dem Acker. Auf der Tonspur meint man spielende Kinder zu hören, dann ein dumpfes Stöhnen. Eine Spiegelung wird wahrnehmbar, das Bild erweist sich als Blick durch ein Fenster, wie der Gegenschuss endgültig klar macht: Eine Frau steht am Fenster, ein Mann hinter hier, er greift wenig zärtlich an ihre Brüste, sie drückt ihn weg, er weicht in den Raum zurück, schmeißt voller Wut einen Stuhl an die Wand.
Mit diesen beiden Einstellungen beginnt „Robe of Gems“, Natalia López Gallardos Wettbewerbsbeitrag zur Berlinale 2022, und in diesen knapp drei Minuten steckt schon alles drin, was folgen wird. Ein Film aus Mexiko ist das Debüt der Regisseurin, die bislang als Schauspielerin gearbeitet und Filme geschnitten hat, zum Beispiel die ihres Manns Carlos Reygadas, aber auch Werke von Lisandro Alonso und Amat Escalante, also von nicht weniger als drei der interessantesten Regisseure des aktuellen Kinos Lateinamerika.
Abdriften in die Kriminalität in „Robe of Gems“
Es überrascht insofern keineswegs, wie genau Gallardos in „Robe of Gems“ erzählt, wie sie in meist langen Einstellungen von drei Frauen berichtet, die auf unterschiedliche Weise mit der mexikanischen Realität konfrontiert werden. Die Frau vom Beginn ist Isabel (Nailea Norvind), die von der Stadt aufs Land gezogen ist, vielleicht um der zunehmend ausufernden Kriminalität zu entkommen. Doch auf dem Land herrschen kaum friedlichere Zustände wie Isabel später auf brutale Weise erleben muss.
Die zweite Frau ist ihre Haushälterin María (Antonia Olivares), deren Schwester vermisst wird, wie so viele Frauen in Mexiko, die von kriminellen Banden aufgegriffen und missbraucht werden und – wenn sie Glück haben – nicht ermordet werden. Schließlich die Polizistin Roberta (Aida Roa), deren Sohn zunehmend in die Kriminalität abdriftet.
Diese schmerzlich bekannte Geschichte erzählt Gallardo in formal beeindruckenden Tableaus. So wie in der Anfangsszene deutet sie immer wieder an, wie wenig wirklich zu sehen ist, wie leicht die Wahrnehmung getäuscht werden kann, wie viel hinter der Oberfläche verborgen ist. Am Ende von „Robe of Gems“ steht schließlich ein fast surreales Bild, das den Schrecken der mexikanischen Realität versinnbildlicht.
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