18 Filme laufen im Wettbewerb der Berlinale 2022. Bevor wir euch Rezensionen geben können, spekulieren wir schon mal ein bisschen. Am Ende hängt es von der Jury ab, aber wir stellen euch die Wettbewerbsfilme vor – und verraten auch gleich, welchen Filmen unser Orakel die größten Bären-Chancen ausrechnet.
Alcarràs
Die katalanisch-spanische Regisseurin Carla Simón musste die Dreharbeiten für ihren zweiten Spielfilm wegen der Pandemie verschieben. Im sonnenverwöhnten Südkatalonien erzählt Simón eine Geschichte über das Familienleben und den Verlust während der letzten Pfirsichernte auf dem Hof der Familie.
R: Carla Simón, Spanien
Avec amour et acharnement
Nach „Meine schöne innere Sonne“ tut sich die stets kühne französische Filmemacherin Claire Denis erneut mit der ebenso unermüdlichen Autorin Christine Angot für dieses romantische Drama über Liebe, Leidenschaft und Begehren zusammen. Juliette Binoche scheint die Herausforderung, mit Denis zu arbeiten, zu gefallen.
R: Claire Denis, Frankreich
Call Jane
Das Jane Collective war ein feministischer Abtreibungsdienst im Untergrund, der von 1969-73 in Chicago aktiv war, und Phyllis Nagy sicherte sich eine formidable Besetzung für ihr Zeitstück über ein alarmierend aktuelles Thema: Elizabeth Banks, Kate Mara, Aida Turturro und Berlinale-Stammgast Sigourney Weaver spielen mit.
R: Phyllis Nagy, Vereinigte Staaten
Drii Winter
Der Schweizer Regisseur Michael Koch ließ sich von einer wahren Begebenheit zu seinem Drama über eine Begegnung mit extremen Folgen inspirieren. Ein kleines Alpendorf wird zum Schauplatz einer scheinbar unhaltbaren Liebesgeschichte, auf die auch die lebensverändernde Krankheit eines Mannes Auswirkungen hat.
R: Michael Koch, Schweiz
La ligne
In Ursula Meiers zweitem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag soll ein Familiendrama durch eine einstweilige Verfügung gelöst werden, die aber stattdessen die Risse in einer zutiefst zerstrittenen Familie freilegt. Von einer der wichtigsten Schweizer Autorenfilmerinnen kann man ein subtiles, vielschichtiges Drama erwarten.
R: Ursula Meier, Frankreich, Belgien, Schweiz
Leonora addio
Als Vittorio Taviani vor vier Jahren starb, war es mit der legendären Regiepartnerschaft der Taviani-Brüder vorbei. Doch Paolo arbeitet weiter: In „Leonora addio“ geht es um den Mord an einem Jungen in Brooklyn, eine Hommage an den großen sizilianischen Schriftsteller Luigi Pirandello.
R: Paolo Taviani, Italien
Rimini
Der österreichische Top-Autorenfilmer Ulrich Seidl ist berühmt für seine unverwechselbare Ästhetik – und begibt sich diesmal auf Fellinis Terrain. Die berühmte Küstenstadt Rimini dient als Kulisse für ein Familiendrama, das in Seidls Händen gleichermaßen düster und absurd sein dürfte.
R: Ulrich Seidl, Österreich, Deutschland, Frankreich
Les passagers de la nuit
Charlotte Gainsbourg spielt die Hauptrolle in diesem Pariser Drama über Elisabeth, eine alleinerziehende Mutter von zwei Teenagern, die einen Nachtjob annimmt, um ihre Familie zu unterstützen. Ihr Leben gerät aus den Fugen, als sie eine freigeistige Außenseiterin namens Talulah adoptiert.
R: Mikhaël Hers, Frankreich
Peter von Kant
François Ozon ist wahrscheinlich einer der vielseitigsten Regisseure des Weltkinos. Sein Talent erstreckt sich in alle Richtungen, in diesem Fall zurück zu Fassbinder, für den er seit langer Zeit ein besonderes Interesse hat. Der Eröffnungsfilm der Berlinale ist eine Anspielung auf den Klassiker „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“. Mehr zu „Peter von Kant“ lest ihr hier.
R: François Ozon, Frankreich
A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe
„Lexicon of Love“ heißt ein großartiges Album der britischen Band ABC. In den Händen von Nicolette Krebitz können wir ein Reboot im 21. Jahrhundert erwarten: Sophie Rois verliebt sich in diesem Film über das Chaos junger Liebe in einen Mann, der sie einmal nachts überfallen hat: den Newcomer Milan Herms.
R: Nicolette Krebitz, Deutschland
Robe of Gems
Die mexikanische Newcomerin Natalia López Gallardo bringt ihr Berlinale-Debüt direkt in den Wettbewerb: ein Drama (oder sollten wir auf einen Thriller hoffen?) über drei Frauen, die in Mexiko in den Drogenhandel verwickelt werden.
R: Natalia López Gallardo, Mexiko, Argentinien, USA
So-seol-ga-ui yeong-hwa (The Novelist’s Film)
Selbst für den koreanischen Regie-Veteranen Hong Sang-soo, der für seine vielschichtigen, nachdenklichen Arbeiten bekannt ist, ist allein der Titel dieses Beitrags vielversprechend. Das Werk, das filmisches und literarisches Erzählen vereint, beginnt mit einem unheilvollen Besuch in einem Buchladen.
R: Hong Sang-soo, Südkorea
Un año, una noche
Lacuestas Film erzählt die Geschichte eines jungen Paares, das den Terroranschlag auf das Bataclan im Jahr 2015 überlebt hat, und basiert auf einem zuerst in Spanien veröffentlichten autobiografischen Buch. Unbedingt beachten: Noémie Merlant aus „Porträt einer jungen Frau in Flammen„.
R: Isaki Lacuesta, Spanien, Frankreich
Un été comme ça
Das Drama des französisch-kanadischen Regisseurs Denis Côté, ein Berlinale-Veteran, folgt drei Frauen, die in einem Landhaus die Komplexität der Sexualität erkunden. Die Rolle der Therapeutin übernimmt die deutsche Schauspielerin Anne Ratte-Polle.
R: Denis Côté, Kanada
Yin Ru Chen Yan (Return to Dust)
Li Ruijun hat sich als bedeutender Geschichtenerzähler aus dem ländlichen China etabliert. Sein Wettbewerbsbeitrag erzählt die Geschichte eines Paares, das versucht, mit einer arrangierten Ehe zurechtzukommen – was sich eher als liebevolle Hommage an die Landschaft selbst entpuppen könnte.
Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush: Beste schauspielerische Leistung?
Die Berlinale vergibt die Schauspielpreise inzwischen nicht mehr nach den altmodischen zwei Geschlechtern, sondern einfach einen Silbernen Bären jeweils für eine Beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle und in einer Nebenrolle. Da kann natürlich alles passieren, aber nehmen wir einmal an, die Comedienne Meltem Kaptan aus Gütersloh macht aus der Rolle von Rabiye Kurnaz tatsächlich das Fest an Zivilcourage und Widerstandsgeist, das man ihr zutrauen kann, und nehmen wir einmal an, dass Andreas Dresen das in die Form des guten Populismus bringt, die er so gut kann – dann könnte es durchaus sein, dass eine Schauspielerin aus Deutschland bei der 72. Berlinale einen Silbernen Bären hochheben kann. Das Festival könnte sich den Preis dann auch schön auf seine politische Fahne heften.
R: Andreas Dresen, Deutschland/Frankreich
- 12.2., 19 Uhr, Berlinale Palast,
- 13.2., 15 Uhr, Friedrichstadt-Palast
- 13.2., 21 Uhr, City Kino Wedding
- 14.2., 18 Uhr, Friedrichstadt-Palast
- 15.2., 14.30 Uhr, Akademie der Künste
- 18.2., 21 Uhr, Friedrichstadt-Palast
Everything Will Be Ok: Unser Tipp für den Silbernen Bären
Der Silberne Bär, Großer Preis der Jury, hat oft ein wenig den Beigeschmack eines Trostpreises. Das muss aber nicht so sein, wenn es sich um einen Film wie „Everything Will Be Ok“ von dem kambodschanischen Intellektuellen Rithy Panh handelt. Für den Hauptpreis wäre das schon eine ziemlich gewagte Annahme, dass eine Betrachtung über das Verhältnis von Menschen und Tieren da in Frage käme, aber auch Jurys müssen mit der Zeit gehen, und der Unterschied zwischen Spiel- und Dokumentarfilmen wird zunehmend obsolet. Und dass Rithy Panh in spielerischer Form (mit Puppenfiguren) die Machtfrage stellt, also ob Tiere die Frage der gesellschaftlichen (Selbst-)Organisation anders und vielleicht sogar besser lösen könnten, gibt ihm thematisch schon einmal einen beträchtlichen Relevanzbonus. Stellen wir uns die Sache also einfach einmal so vor, dass „Everything Will Be Ok“ sehr okay sein wird, dass Ryusuke Hamaguchi sich für ihn stark macht, dass Tsitsi Dangarembga ihm zur Seite springt, und dann bekennt M. Night Shyamalan, dass ihn selten ein Film stärker berührt hätte.
R: Rithy Panh, Kambodscha, Frankreich
- 12.2., 12 Uhr, Berlinale Palast
- 13.2., 18 Uhr, Cubix 9,
- 14.2., 12 Uhr, Cubix 9,
- 16.2., 15 Uhr, AdK
- 20.2., 18 Uhr, Cubix 5 & 6
Nana (Before Now and Then): Goldener Bär?
Der Goldene Bär für den Besten Film ist häufig ein Kompromisskandidat. Manchmal gibt es Jurys, bei denen einen Dynamik entsteht, an deren Ende eine Entscheidung steht, mit der sie sich aus dem Fenster lehnt. So war das zum Beispiel 2018 bei „Touch Me Not“ von Alina Pintilie, einem eigenwilligen Film über Sexualität und Therapie. Die indonesische Regisseurin Kamila Andini könnte 2022 deswegen das große Los ziehen, weil sie eine Reihe von Kriterien erfüllt, die auch auf der Abhakliste stehen, die für eine Jury natürlich auch eine Rolle spielt: Sie kommt aus einem Land des globalen Südens, sie ist eine Frau, die wäre eine Entdeckung, auch wenn sie auf der Berlinale schon vertreten war, allerdings noch nicht im Wettbewerb. Bei all dem klingt die Inhaltsangabe von „Nana“ nach einem queeren Ausweg aus dem Patriarchat. Also auch der Plot passt. Da es aber bei Filmen noch auf sehr viel mehr ankommt als auf diese Themen, hoffen wir einfach einmal, dass „Nana“ spannend und gut gemacht ist. Und wenn der Goldene Bär dann doch an einen anderen Film geht, dann haben wir uns eben verspekuliert.
R: Kamila Andini, Indonesien
- 12.2., 15.30 Uhr, Berlinale Palast
- 14.2., 18 Uhr, Cubix 9
- 17.2., 18 Uhr, International
- 17.2., 21 Uhr, Neue Kammerspiele
- 18.2., 21 Uhr, Cubix 5 & 6
- 20.2., 21 Uhr, Cubix 5 & 6
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