Berlinale 2023

„Limbo“ von Ivan Sen: Ein zutiefst melancholisches Drama

Simon Baker spielt in „Limbo“ einen Cop, der im australischen Hinterland ein lange vergangenes Verbrechen untersucht. Die tip-Kritik zum melancholischen Drama von Ivan Sen, das im Wettbewerb der Berlinale 2023 zu sehen ist.

Simon Baker und Natasha Wanganeen in „Limbo“, gefilmt in schwarzweiß und Cinemascope. Foto: Bunya Productions
Simon Baker und Natasha Wanganeen in „Limbo“, gefilmt in Schwarzweiß und Cinemascope. Foto: Bunya Productions

Gegen die Mauer des Schweigens: „Limbo“ von Ivan Sen

‚Stimmt es, dass Sie ein Cop sind?‘, wird Travis Hurley von einem kleinen Mädchen gefragt. Ja, das ist richtig, antwortet der Angesprochene. Er sehe aber gar nicht so aus. Wie er dann aussehe? Die Antwort ist nicht schmeichelhaft, aber in gewisser Weise verständlich. Wenn man Hurley zu Beginn des Films sieht, wie er in das Limbo Hotel eincheckt, sich einen Schuss setzt und später einen Revolver unter der Matratze versteckt, würde man ihn in der Tat eher für einen Kriminellen halten, auch die Tätowierung auf seinem Rücken deutet in diese Richtung.

Ist dies tatsächlich der Schauspieler Simon Baker? Der Blonde mit den weichen Gesichtszügen, den man sonst eher als Milchbubi einzustufen geneigt war? Der 2020 auf der Berlinale in „High Ground“ die Hauptrolle spielte? Mit kurzgeschorenen Haaren, mit Bart und seiner Brille erinnert er hier wirklich mehr an den Steven Seagal der letzten Jahre, allerdings ohne dessen Masse.

Simon Baker ist in „Limbo“ kaum wiederzuerkennen

Der hier kaum wiederzuerkennende Simon Baker ist in der Tat Travis Hurley, und der ist ein Cop, gerade angekommen in der australischen Provinz, um einen alten, ungelösten Fall wiederaufzurollen. Vor zwanzig Jahren verschwand die junge Aborigine Charlotte Hayes spurlos. Nein, es gäbe keine neuen Spuren, die jetzt für seine neuerlichen Ermittlungen sorgten, muss er den Angehörigen mitteilen. Charlottes Bruder Charlie, den er als erstes ausfindig macht, erklärt ihm denn auch gleich unverblümt, mit einem weißen Polizisten würde er sowieso nicht reden.

Immerhin aber sagt er ihm, wo er seine Schwester Emma finden könne. Bei der wächst auch Charlottes Tochter auf. Emma zeigt sich gesprächiger, lädt Travis sogar zum Abendessen in ihrer Familie ein. Auf Nachfrage gibt Travis zu, dass auch er ein Kind habe, seinen Sohn habe er nach der Scheidung von seiner Ehefrau aber nicht wieder gesehen, die sei jetzt glücklich neu verheiratet.

Simon Baker in „Limbo“. Foto: Bunya Productions

Heilt die Zeit wirklich alle Wunden?

Travis macht sich auf die Suche nach Menschen, die schon damals hier lebten, damals, als hier noch Opal abgebaut wurde und der Ort  ein florierendes Leben hatte, zu dem auch jene legendären Partys gehörten, bei denen junge Menschen Drogen konsumierten. Der Veranstalter dieser Parties lebt nicht mehr, wohl aber ein damalige Kumpel von ihm, Joseph (gespielt von Nicholas Hope, der vor Ewigkeiten in Rolf de Heers „Bad Boy Bubby“ ein so eindringliches Debüt gab). Der hat noch einiges zu erzählen, aber sagt er auch die Wahrheit?

Ein alter Fall wird wieder aufgerollt, die Mauer des Schweigens nach langer Zeit endlich durchbrochen. Aber heilt die Zeit wirklich alle Wunden? Nein, sagt Charlie, jedenfalls nicht, wenn sie mit der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung verbunden ist. Für die ist ein Zeitraum von zwanzig Jahren nur eine kurze Epoche in einer jahrhundertealten Tradition gesellschaftlicher Ausgrenzung.

Der englischsprachige Begriff ‚limbo‘ ist vieldeutig, kann sowohl Schwebezustand als auch Vorhölle bedeuten. Am Ende verlässt Travis den Ort, wo einiges klarer geworden ist, aber nicht alles. Die dramatischen Actionmomente des Genres wird man in diesem Film vergeblich suchen – gefilmt in Schwarzweiß und Cinemascope, ist dies ein zutiefst melancholisches Werk. Frank Arnold


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