Makoto Shinkai gilt als einer der großen Meister des Zeichentricksfilms: Mit „Suzume“ legt er nun ein Glanzstück vor, das von den großen Bedrohungen des Planeten erzählt – und von einem mutigen Mädchen. Die Kritik zum japanischen Animationsfilm.
„Suzume“ ist ein existenzieller Katastrophenfilm
Auf der nach oben offenen Skala der Möglichkeiten des japanischen Zeichentrickfilms (= Anime), fantastische Welten zu entwerfen, erreicht „Suzume“ von Makoto Shinkai Werte in der Größenordnung jenes Seebebens, dessen Auswirkungen (Tsunami und Super-GAU) 2011 die Präfektur Fukushima verwüsteten. Und nein, das ist jetzt nicht zynisch, geht es in „Suzume“ doch genau darum. Respektive um die Traumata, die die durch zahlreiche Vulkane geologisch erschwerten Bedingungen des Inselreichs im Gefolge mit sich führen.
Einem dem Shintō und damit einer Variation des Animismus verpflichteten Volk, wie es die Japaner:innen sind, fällt es leicht, das Gerumpel (unter) der Erde zu personifizieren, oder es sich, wie im vorliegenden Fall, als das aufbäumende Gewusel eines riesigen Wurms vorzustellen, der, von fesselnden „Schlusssteinen“ losgelöst, durch unbedacht geöffnete Türen zwischen den Welten in die Freiheit will – um dort dann aus der Welt der Menschen Kleinholz zu machen.
Also muss Suzume, die 17-jährige Titelheldin, die an der Sache mit den Schlusssteinen nicht ganz unschuldig ist, die Türen wieder schließen; gemeinsam mit einem dreibeinigen Kinderstuhl, in den der eigentliche Türhüter vermittels eines Fluches verwandelt worden ist, und zwar vom Schlussstein, der selbst wiederum in Gestalt einer sprechenden Katze mit einem überlangen buschigen Schwanz auf der Flucht ist. Wie gesagt, die Skala ist nach oben offen.
Ein Kommentar zur krisengeschüttelten globalen Gegenwart
Zwar mag die gemeine Mitteleuropäerin zwischendurch ein wenig den Durchblick verlieren angesichts einzelner kosmisch-energetischer Abläufe sowie differierender Seinszustände und Erscheinungsformen unterschiedlicher Wesenheiten. Nie aber vergisst man, dass es hier um die existenzielle Katastrophe geht, um ein kleines Mädchen, das die Mutter verloren hat und dessen Welt unterging.
Shinkais Erzählung ist jedoch nicht bloß verwurzelt in der jüngeren Geschichte Japans, sondern auch als Kommentar lesbar zu einer global die Menschen beängstigenden, krisengeschüttelten Gegenwart. Dass er die Hoffnung nicht verliert und als Zuversicht in das Erreichen kosmischer Harmonie gestaltet, zeichnet diesen Film aus – und macht ihn zu einem aufrichtigen und seelenvollen Vertreter seines Genres.
Den Platz der Anwärterschaft auf den Thron von Anime-Großmeister Hayao Miyazaki teilen sich Mamoru Hosoda (*1967) und Makoto Shinkai (*1973) nun schon seit geraumer Weile. Hosoda feierte zuletzt mit „Belle“ (2021) einen Riesenerfolg, nun legt Shinkai nach, dessen „Suzume“ seit seiner Heimpremiere vergangenen November einen Rekord nach dem anderen bricht. Als würdige Nachfolger haben sie sich inzwischen jedenfalls beide erwiesen; vielleicht lässt sich der Thron ja dann ein bisschen verbreitern … Alexandra Seitz
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