Kommentar

Weniger Filme bei der Berlinale: Eine kulturpolitische Blamage

Die Berlinale 2024 wird deutlich kleiner ausfallen. Bei den Filmfestspielen sollen nur rund 200 Filme gezeigt werden, in diesem Jahr waren es 287 gewesen. Das Geld reicht nicht, ganze Sektionen müssen eingestellt werden. Was der Sparkurs für die die Berlinale bedeut und warum sich Berlin mal wieder blamiert, kommentiert tip-Filmredakteur Bert Rebhandl.

Bei der Berlinale 2024 wird gespart. Foto: Imago/N. Kubelka/Future Image

Die Berlinale 2023 fällt kleiner aus

Die Berlinale muss sich konzentrieren. So wurde das gestern verkündet: Das Berliner Filmfestival mit Weltgeltung wird für die Ausgabe 2024 nicht ausreichend Geld haben, um ein Programm im Ausmaß von 2023 zu machen. Die Ausgabe in diesem Jahr war die erste „normale“ nach der Pandemie, sie war ein großer Publikumserfolg, im Vergleich zu 2019 oder 2020 aber war sie auch schon kleiner, und im Vergleich zu den Höhepunkte der Kosslick-Jahre ist die Tendenz schon seit einiger Zeit rückläufig.

___STEADY_PAYWALL___

Die Politik wird für 2024 nicht mehr Geld für die Berlinale herausrücken. Der Hauptgrund dafür ist die Schuldenbremse, eine 2009 beschlossene Regelung, aus der vor allem der FDP-Finanzminister Lindner ein persönliches Mantra macht. Man könnte statt Schuldenbremse auch von einer Investitionsbremse sprechen. Jedenfalls sind alle Ressorts dazu gezwungen, zu sparen (mit Ausnahme der militärischen Landesverteidigung). Und das BKM muss nun den Mangel für die Kultur verwalten.

Ganze Sektionen werden eingestellt

Doch zuerst einmal ein Blick auf die Veränderungen, die von der Berlinale-Leitung, Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek, gestern bekannt gegeben wurden und als „Konzentration“ verkauft wurden: Die Berlinale wird 2024 nur rund 200 Filme zeigen (statt 287 in diesem Jahr). Sie wird ganze Sektionen einstellen: die Perspektive Deutsches Kino, in der sich der Nachwuchs präsentieren konnte, aber auch Berlinale Series wird es 2024 nicht geben. Es ist noch nicht lange her, da gab es an zehn Tagen im Februar fast 400 Filme zu sehen. Damals sprachen viele (auch der tipBerlin) von Wildwuchs und Beliebigkeit. Trotzdem ist die Frage berechtigt: Geht das, was jetzt Konzentration heißt, zu weit?

Die Berlinale wird sich verändern. Foto: Imago/K M Krause/snapshot

Dass es insgesamt weniger Filme geben soll, ist ein großer Verlust, denn die Berlinale hat immer wieder bewiesen, dass es im Rahmen des Festivals, mit der entsprechenden Stimmung, auch für brasilianische oder indonesische Filme, die sonst niemals in Deutschland auftauchen würden, ausverkaufte Vorstellungen im großen Saal des Zoopalasts oder im International gibt. Berlin ist im Februar durch die Berlinale mehr Weltstadt als sonst. Jeder dieser Filme, die nicht gezeigt werden, ist auch ein Verlust an Horizont für eine Stadt, die nach der letzten Wahl ohnehin einen großen Schritt Richtung Kleingeistigkeit gemacht hat.

Berlinale 2024: Der Horizont schrumpft

Die Perspektive Deutsches Kino war eine wichtige Ergänzung zu einem Programm, das gerade 2023 einen starken Jahrgang zu verzeichnen hatte: „Das Lehrerzimmer“, einer der großen Hits dieses Frühlings, hatte nicht einmal im Wettbewerb Platz und musste im Panorama laufen. Quer durch die Sektionen, und bis in die Perspektive, gab es starke deutsche Beiträge. Nun fehlt gerade den Debütierenden ein Forum, und das internationale Publikum, die angereisten Kritiker und Produzenten, werden weniger mitbekommen. Deutschland wird sich ein bisschen aus den Vernetzungen der Filmbranche herausnehmen.

Bei den Serien ist der Effekt umgekehrt: Hier waren zum Teil Produktionen aus Ländern zu sehen, die auf Netflix und bei Amazon oder Apple kaum vertreten sind. Auch hier schrumpft der Horizont.

Im großen Umfeld sind die Tendenzen klar erkennbar: Der Serien- und insgesamt der Produktionsboom der letzten Jahre bricht gerade ein. Das hat mit vielen Gründen zu tun, sicher auch damit, dass das Medienangebot endgültig unbewältigbar geworden ist (selbst der Fußball kämpft mit nachlassenden Profiten). In dieser Situation, in der Aufträge gestrichen und Produktionen verschoben werden, ist aber gerade die Kulturpolitik gefordert, antizyklisch und intelligent zu investieren. Das Land Berlin hat es sich bei der Berlinale immer schon leicht gemacht und den Bund die wesentliche Arbeit machen lassen. Das BKM hingegen muss den vom Finanzministerium verordneten Mangel irgendwie erträglich machen, und scheint sich zwischen Reform der Filmförderung und unklaren Prioritäten gerade zu verzetteln.

Insgesamt bleibt als Fazit: Die „Konzentration“ bei der Berlinale ist eine kulturpolitische Blamage, und das falsche Signal in einem politisch heiklen Moment nach der Pandemie und während des Krieges in Europa. Beschwerden am besten direkt an die FDP. Und an die Berliner Koalition, die einfach zuschaut, wie ein Weltinstitution in ihrer Stadt ramponiert wird.


Mehr zum Thema

Alle Texte zum internationalen Filmfestival in der Hauptstadt findet ihr auf unserer Themenseite zur Berlinale. Die neue Chefin: Tricia Tuttle übernimmt die Berlinale-Leitung. Lange her: So sah die Berlinale früher aus. Noch mehr Termine: Hier findet ihr die wichtigsten Filmfestivals 2023 in Berlin. Was läuft sonst? Zum Beispiel Wes Andersons „Asteroid City“ – zur Kritik. Oder: „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ in der tipBerlin-Filmkritik. Oder der tolle Pixar-Animationsfilm „Elemental“. Ein kühler Thriller: Christoph Hochhäuslers „Bis ans Ende der Nacht“ besprechen wir hier. Immer informiert: Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Ab an die frische Luft: Hier ist das Programm der Freiluftkinos in Berlin. Mehr aus der Filmwelt lest ihr in unserer Kino-Rubrik.

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad