Berlinale

„Blue Moon“ von Richard Linklater: Eine Freundschaft und ein Leben zerbricht

Regisseur Richard Linklater war schon häufiger zur Berlinale eingeladen. In diesem Jahr taucht er mit „Blue Moon“ tief in die Geschichte des US-amerikanischen Showbusiness ein. Großartig: Ethan Hawke, Margaret Qualley und Andrew Scott.

„Blue Moon“: Margaret Qualley und Ethan Hawke sind in Richard Linklaters neuem Film zu sehen. Foto: Sabrina Lantos / Sony Pictures Classics
„Blue Moon“: Margaret Qualley und Ethan Hawke sind in Richard Linklaters neuem Film zu sehen. Foto: Sabrina Lantos / Sony Pictures Classics

Elf Jahre ist es nun her, dass Richard Linklater auf der Berlinale 2014 den Silbernen Bären für „Boyhood“ gewonnen hat, ein Film, bei dem man den Figuren (und Schauspielern) beim Erwachsenwerden zusehen kann, denn der Regisseur hatte mit ihnen über die Dauer von zwölf Jahren gedreht. Diese fiktive Langzeitstudie war ein Experiment. Und auch der Linklater-Film des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs „Blue Moon“ hat ein experimentelles Setting. Er spielt an (fast) nur einem einzigen Ort – und dort in rund 100 Minuten in Echtzeit.

„Blue Moon“ – das ist auch ein Songtitel, den Ella Fitzgerald und Frank Sinatra weltberühmt gemacht haben, geschrieben wurde er jedoch schon 1934 von dem Komponisten Richard Rodgers und dem Songtexter Lorenz Hart, in ihrer Zeit ein berühmtes Team, das für Broadway-Musicals und das Kino arbeitete. Der Film „Blue Moon“ spielt 1943 und beginnt mit Harts Tod. Er bricht in Manhattan in einer dunklen, menschenleeren Gasse bei strömendem Regen einfach zusammen und stirbt vier Tage später im Krankenhaus – ein beinahe klassisches New Yorker Ableben im Stil des Film Noir. Nur dass der Tod hier nicht durch eine Kugel, sondern durch Alkoholismus und eine verschleppte Lungenentzündung ausgelöst wird.

„Blue Moon“: Jeder Satz eine schonungslose und treffende Salve

Diese Eingangsszene wirft ein düster-tragisches Ende auf all die Ereignisse, die Linklater in einer Rückblende wenige Monate vor Harts Tod erzählt. Das Musical „Oklahoma!“ hat Premiere, Lorenz Hart hält es dort nicht mehr aus und flieht in die Bar Sardi’s, wo ein Soldat Klavier spielt und der Barkeeper ihn mit einer Pistole bedroht. Ein Scherz, wie sich herausstellt, denn Hart (grandiose Performance von Ethan Hawke) und der coole Bartender (Bobby Cannavale) kennen sich und spielen Szenen aus Rick’s Café in „Casablanca“ (von 1942) nach. Hart ist 47 Jahre alt und äußerlich schon stark in die Jahre gekommen, aber immer noch ein brillanter Rhetoriker, der ein druckreifes Feuerwerk aus bitterbös-witzigen Sentenzen raushaut. Jeder Satz eine schonungslose und treffende Salve. 

Doch so überlegen und cool, wie Lorenz Hart zunächst scheint, ist er nicht. In der Bar Sardi’s beginnt die Premierenfeier von „Oklahoma!“ (Hart: „Ich würde mich vor Stücken hüten, die nicht ohne ein Ausrufezeichen im Titel auskommen“), für das Richard Rogers (Andrew Scott) mit einem anderen Texter, Oscar Hammerstein II, zusammengearbeitet hat, weil er Harts alkoholismusbedingte Totalausfälle nicht mehr kompensieren wollte. Ihre Freundschaft hat nicht nur einen Riss bekommen, sondern hängt nur noch an einem dünnen Faden, der eigentlich schon mit dem ersten Whisky, den Hart dem Barkeeper abringt, gerissen ist. Doch im Laufe des Abends lässt sich Richard wider besseres Wissen immer wieder von Lorenz und dessen rhetorischem Scharfsinn in den Bann ziehen.

Neben Gesprächen über Kunst ist Sex ist ein großes Thema an dem Abend, denn Lorenz Hart erwartet Elizabeth (Margaret Qualley), sein Schützling und irgendwie auch seine große Liebe, wobei nicht ganz so klar wird, ob die Avancen, die er der 20-jährigen Kunststudentin macht, ein Spiel sind und er – der homosexuell ist – über ein psychologisches Kräftemessen hinaus überhaupt ein erotisches Interesse an ihr hat. 

Margaret Qualley bricht in „Blue Moon“ aus der 40er-Jahre-Darstellung des Films aus

Interessanterweise bricht Margaret Qualley in ihrem Spiel übrigens aus der zeitgetreuen 40er-Jahre-Darstellung, die sonst den Film kennzeichnet, aus. Damals bewegten schöne Frauen sich langsam, mondän und sie umgab ein Hauch von Melancholie. Elizabeth jedoch hat eine sehr zeitgenössische lebendige Art nicht nur in der Mimik und Gestik, sondern auch in einem herausfordernden Glitzern in den Augen. 

Viel Handlung gibt es nicht, dafür sind die Dialoge und Monologe umso wichtiger, während wir Lorenz Hart in 100 Minuten in seinem Kampf um Respekt und seinem Abgleiten in die Selbstzerstörung zusehen. Durch die Beschränkungen bei Schauplatz und Zeit hat der Film viel von einem Theaterstück, das mit pointierten Texten brilliert. Autor des Drehbuches ist der 1954 geborene amerikanische Schriftsteller und Hochschullehrer Robert Kaplow, dessen bislang einzige Filmerfahrung die Verfilmung  seines Romans „Me and Orson Welles“ ist. Eine echte Entdeckung. Auch wenn „Blue Moon“ trotz der tollen Schauspieler leider nicht ganz überzeugt. Zum einen, weil das „Theater“-Experiment im Film schon oft gemacht wurde, zum anderen, weil die Probleme und die Art ihrer Verhandlung trotz oder vielleicht eher wegen der rhetorischen Geschliffenheit ein bisschen altmodisch wirken.

  • Blue Moon USA, Irland, 100 min, R: Richard Linklater, D: Ethan Hawke, Margaret Qualley, Andrew Scott

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