Berlinale 2025

„Das Licht“ von Tom Tykwer: Magischer Realismus zur Berlinale-Eröffnung

Die 75. Berlinale eröffnet mit Tom Tykwer: „Das Licht“, ein Film, der den lokalen Kosmos Berlin gnadenlos ausleuchtet, aber gleichzeitig mit dem internationalen Kino mithalten kann. Eine bessere Wahl hätte Berlinale-Intendantin Tricia Tuttle zum Start der Filmfestspiele nicht treffen können.

Tala Al-Deen in „Das Licht“. Foto: Frederic Batier / X Verleih AG

Elemente von Magie, die Verzahnung verschiedener Erzählstränge zu schicksalhaften Begegnungen und die Existenz paralleler Welten, all das gehört seit Beginn seiner Regiearbeit zu den Filmen von Tom Tykwer. Deshalb hält man, als die über Berlin schwebende Kamera durch die Hochhäuser der Leipziger Straße hindurch auf das Fenster eines Wohnhauses und auf eine blinkende Lampe zufährt, diese auch nicht für einen simplen, vielleicht der Gesundheit dienenden Apparat. Eine Frau sitzt auf Knien davor, das Licht leuchtet ihr ins Gesicht und berührt oder verändert sie dabei auf eine rätselhafte Art und Weise.

Die Frau ist Farrah (gespielt von Tala Al-Deen, die wir hier vorstellen), deren Lebensweg sich später mit dem der Familie Engel kreuzen wird. Doch erstmal lernen wir die Engels kennen. Milena (Nicolette Krebitz) ist gerade in Nairobi, wo sie als freie Entwicklungshelferin eine NGO leitet und ein Theater errichten möchte. Da der Bau allerdings noch nicht mal angefangen hat, fliegt sie entnervt zurück nach Berlin.

Lars Eidinger spielt in „Das Licht“ von Tom Tykwer einen soften Alpha-Mann

„Das Licht“: Tom Tykwers Film eröffnet die Berlinale. Lars Eidinger spielt eine der Hauptrollen. Foto: Frederic Batier / X Verleih

Ihr Mann Tim (Lars Eidinger) entwirft provokante Kampagnen im Auftrag von großen Firmen, aber natürlich nur für die guten Sachen wie die Weltrettung. Er ist mit Mitte 40 noch ein verspieltes Kind, hat viele junge Frauen und People of Color in seinem Team, aber auch das Sagen. Tim fährt immer mit dem Fahrrad, ein softer Alpha-Mann mit intakter Beziehung zu seiner Tochter. Frieda (Elke Biesendorfer) ist 17 und zieht mit ihren Freunden und einer guten Portion Drogen durch die Clubs. Alle lieben sich. Ihr Zwillingsbruder Jon (Julius Gause) dagegen ist ein Einzelgänger, in seinem abgedunkelten Zimmer ist er besessen von einem VR-Spiel.

Tom Tykwer seziert in „Das Licht“ auf grandiose Weise Widersprüche von Lebensentwürfen

Die Engels, könnte man überspitzt sagen, sind arrogante Gutmenschen, die für ihren Beitrag zur Weltrettung allerdings eine gute Bezahlung, Serviceleistungen von Migranten zum Mindestlohn und die Dankbarkeit denjenigen erwarten, denen sie „Entwicklungshilfe“ geben. Die Widersprüche, in denen dieser in Berlin in manchen Vierteln geballt anzutreffende Lebensentwurf steckt, seziert Tom Tykwer in „Das Licht“ auf grandiose Weise. Eine bessere Besetzung, ein genaueres Setting könnte man sich gar nicht vorstellen, inklusive Paartherapie und einem Wechselmodell, das den vielleicht achtjährigen Dio jede zweite Woche in die Familie bringt, Milenas Kind aus einer Affäre in Nairobi.

Frieda und Jon kritisieren ihre Eltern mit einer Schärfe, wie es nur die eigenen Kinder können, haben es sich aber selber in dem System und der riesigen, natürlich lässig eingerichteten Altbauwohnung bequem gemacht. Da Jons Herausforderungen in der Virtual Reality ihm keine Zeit für nichts lassen, bestellt er schnell was zu Essen. Als der Kurier an der Wohnungstür klingelt, muss die Putzhilfe Maja öffnen und die Bestellung bezahlen, Jon hört ihr Klopfen an seiner Zimmertür nicht. Der Lieferdienstbote geht zurück auf die Straße, steigt auf seine gelbe Vespa, fährt los und wird von einem Lastwagen überfahren. Es ist derselbe Lkw, der morgens noch eine Vollbremsung machen konnte, als Maja unvorsichtig über die Straße ging. Jetzt aber stirbt der Lieferant, und Maja bricht im selben Moment tot in der Küche zusammen. Plötzlich löst sich eine Felge des gelben Rollers, rollt an dem Boten vorbei und – Schnitt – direkt auf Maja zu. Unwirklich. Ein Zufall ist diese Parallelität der beiden Todesfälle ganz sicher nicht.

Die Nachfolge von Maja tritt dann Farrah als Haushälterin der Engels an. Mit ihrer Ankunft in die Familie verändern sich dort die Beziehungen. Farrah, die mit ihrer Familie aus Syrien geflohen ist, scheint eine begabte Therapeutin zu sein und selber ein schweres Trauma mit sich zu tragen. Immer wieder ermöglicht ihr das blinkende Licht –  in imaginierten oder realen Szenen, das bleibt zunächst unklar –, ihren Mann und ihre 17-jährigen Kinder zu treffen, auch diese Zwillinge. Das visuelle Setting dieser Treffen erinnert an ein Gefängnis. In Berlin scheint Farrah alleine zu leben. Nun macht sie Milena, Tim, Jon und Frieda ebenfalls mit dem blinkenden Licht bekannt, was zuerst wie eine spirituelle Befreiung wirkt, sich dann aber später als eine Agenda herausstellt.

Nicolette Krebitz, Elyas Eldridge, Julius Gause, Elke Biesendorfer, Lars Eidinger – und der Dauerregen. Foto: Frederic Batier / X Verleih

Am furiosen Ende des Films kommen alle Erzählstränge, Ebenen und Figuren zusammen und lösen sich in einem gemeinsamen magischen Schluss auf, die zwei Familien, das VR-Spiel von Jon wie auch der Dauerregen, der ununterbrochen runterprasselt und das Wasser zu einem mysteriösen Mitspieler in der Erzählung macht. 

Tykwer fordert sein Publikum auf vielen verschiedenen Ebenen

Diese magisch-schicksalhafte Ebene der Geschichte sind überzeugend, die zusätzlich in die Story eingeschobenen Musicalszenen dagegen nicht. „Emilia Perez“ hat gezeigt, wie solche getanzten und gesungenen Passagen funktionieren können, doch in „Das Licht“ fehlt es an choreografischer und musikalischer Innovation und Präzision und an der Einbindung in die anderen Erzählstränge. Wie schon so oft fordert Tykwer sein Publikum auf vielen verschiedenen Ebenen, und das will man ja vom Kino. Bei der Serie „Babylon Berlin“, die ihn die letzten vier Jahre beschäftigt hat, konnte er sein Spiel mit unterschiedlichen Stilmitteln nicht wirklich ausspielen. Nun hat er nach acht Jahren wieder einen Kinofilm gemacht. Tykwers „Das Licht“ ist eine sehr gute Wahl für den Eröffnungsfilm der Berlinale.

  • Das Licht (The Light) D 2025; 162 Min.; R. Tom Tykwer; D: Nicolette Krebitz, Lars Eidinger, Tala Al-Deen

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