Berlinale

„Girls on Wire“: Schattenseiten chinesischer Träume

„Girls on Wire“ (Originaltitel: „Xiang fei de nv hai“) ist ein Film, der die Geschichte zweier chinesischer Cousinen erzählt – und auf allzu melodramatische Weise die düsteren Aspekte des wirtschaftlichen Aufschwungs in den Blick nimmt, findet tipBerlin-Kritiker Michael Meyns.

„Girls on Wire“ mit Liu Haocun und Wen Qi läuft im Wettbewerb der Berlinale 2025. Foto: L’Avventura Films

Gerade erst hat das chinesische Kino während der Feiertage über das chinesische Neujahr Ende Januar einen spektakulären Rekord aufgestellt: Der Animationsfilm „Ne Zha 2“ spielte in kaum drei Wochen 1,6 Milliarden Dollar ein, mehr als je ein Film in nur einem einzigen Land. In Deutschland wird er kaum zu sehen sein, auf internationalen Filmfestivals wohl auch nicht. Denn während auf dem chinesischen Markt meist Komödien, Abenteuer- oder sehr patriotische Historienfilme erfolgreich sind, laufen auf den europäischen A-Festivals, wie nun der Berlinale, eine andere Art chinesischer Film.

„Girls on Wire“ spielt zwischen der Millionenstadt Chongqing und der Xiangshan Film City

So wie zum Beispiel Vivian Qus Melodrama „Girls on Wire“, der Genreelemente mit dramatischen Momenten verbindet, vordergründig von zwei Cousinen handelt, hintergründig aber auch von den nicht immer angenehmen Folgen des wirtschaftlichen Aufschwungs, den China in den letzten Jahrzehnten erlebte.

Zwischen Chongqing, der noch vor Shanghai und Beijing bevölkerungsreichsten Stadt Chinas, und der Xiangshan Film City, einem riesigen Studiokomplex mit vielfältigen historischen Kulissen, spielt die Geschichte. Die jüngere Tian Tian und Fang Di sind Cousinen und dadurch über Blutsbande untrennbar verbunden.

Doch vor Jahren brach Fang Di den Kontakt ab und versucht sich seitdem als Stuntperformerin in den Filmstudios. Einen Großteil ihres Gehaltes schickt sie nach Hause, um die Schulden ihrer Familie, auch die von Tian Tian abzutragen. Denn Tian Tians Vater war ein Junkie, und nun scheint seine Tochter seinem Schicksal zu folgen. Zu Beginn befindet sie sich in Gefangenschaft der Mafia Chongqings, kann entkommen und macht sich auf den Weg zu Fang Di. Wenig begeistert zeigt sich die Ältere vom plötzlichen Auftauchen der Cousine, viel zu sehr hat sie ihre eigenen Wünsche stets in den Dienst einer Familie gestellt, die an den Anforderungen des modernen Chinas gescheitert sind.

Der wirtschaftliche Aufschwung versprach den Chinesen die Erfüllung ihrer Träume

In zwei Zeitebenen beschreibt Vivian Qu nun das Schicksal zweier junger Frauen Mitte 20, die in der Gegenwart desillusioniert auf das Leben blicken, aber schon in den vielen Rückblenden, die ihr Aufwachsen schildern, nicht viel glücklicher wirkten. Ausgerechnet am Tag, als Hong Kong an China zurückgegeben wurde, lernen sich die beiden Kinder kennen: Fang Di ist da noch ein Baby, die etwas ältere Tian Tian nun nicht mehr die kleine, sondern die große Schwester.

Der wirtschaftliche Aufschwung versprach den Chinesen die Erfüllung ihrer Träume, „Girls on Wire“ zeigt auf oft allzu melodramatische Weise die Schattenseiten: Drogensucht, Konflikte mit der Mafia, schlechte Arbeitsbedingung ausgerechnet im Filmstudio, in der Traumfabrik, wo Tian Tian ihr Glück suchte, aber auch hier nur im Schatten steht: als Stuntdouble der Hauptdarstellerin.

  • Girls on Wire (Xiang fei de nv hai) China 2025; 115 Min.; R: Vivian Qu, Darsteller: Wen Qi, Zhang Youhao

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