Berlinale

„If I Had Legs I’d Kick You“: Mutter sein ist schwer

Im Berlinale-Wettbewerbsfilm „If I Had Legs I’d Kick You“ spielt Rose Byrne mit großem Einsatz eine Frau, der alles über den Kopf zu wachsen droht. Ein starker amerikanischer Independent-Film, meint Pamela Jahn.

Mary Bronstein in „If I Had Legs I’d Kick You“. Foto: Logan White / © A24
Mary Bronstein in „If I Had Legs I’d Kick You“. Foto: Logan White / © A24

Manchmal kommt alles zusammen, dann fällt einem schon mal die Decke auf den Kopf. Bei Linda (Rose Byrne) wird die Metapher harsche Realität. Ein übler Wasserschaden hat ihre Wohnung teilweise zum Einsturz gebracht. Aber was noch schlimmer ist: Ihre Tochter will nicht essen. Sie hat eine Schlauch im Bauch, über den sie mit Flüssignahrung versorgt werden muss. Und auch bei der Arbeit hat die Therapeutin es mit Patienten zu tun, die sich nur schwer helfen lassen. Der Druck auf die Mutter ist groß, die Überforderung vorprogrammiert. 

„If I Had Legs I’d Kick You“: Die Intimität ist gewollt und unangenehm

Lindas Alltag, ihre Anspannung und das zunehmende Chaos um sie herum bilden den Kern von Mary Bronsteins Wettbewerbsbeitrag, der zuvor bereits beim Sundance Filmfestival lief. Die US-amerikanische Regisseurin weicht ihrer Protagonistin keine Sekunde lang von der Seite. Meistens klebt ihr die Kamera förmlich im Gesicht. Die Intimität, die dadurch erzeugt wird, ist gewollt. Und sie ist unangenehm. Scham macht sich breit. Beklemmung. Aber auch ein großes Mitgefühl. 

Die Konzentration auf Lindas Wahrnehmung führt dazu, dass alle andere Figuren in „If I Had Legs I’d Kick You“ unweigerlich zu Randerscheinungen werden. Ihre Tochter bleibt stets im Off, ihr Mann Charlie (Christian Slater), der beruflich unterwegs ist, gibt ihr ständig Anweisungen übers Telefon. Zwischen den täglichen Fahrten mit ihrer Tochter zu einem Behandlungszentrum und ihrem Arbeitsplatz macht Linda immer wieder Abstecher in die Wohnung oder sucht mit einer Flasche Wein nach etwas Ruhe am Strand. Oft verschwimmen dabei ihre Alpträume mit der Wirklichkeit, was der Film mit sparsamen Genre-Elementen zu verdeutlichen weiß.

„If I Had Legs I’d Kick You“ ist eine ehrliche, intensive Meditation über Mutterschaft

Lindas Ängste sind real, surreal, nicht selten grotesk. Sie ist frustriert, wütend, traurig, ein nervliches Wrack, begierig darauf, dass jemand sie ernst nimmt und ihr beisteht. Mit Rose Byrne hat Bronstein, die 17 Jahre nach ihrem Mumblecore-Debüt „Yeast“ (2008) ihren zweiten Spielfilm vorlegt, eine Hauptdarstellerin gefunden, die ihrer Figur in all ihrer Zweifelhaftigkeit und in ihrem Scheitern vertraut. Vom Alltagsstress bis hin zu den seltenen zärtlichen Momenten mit ihrer Tochter navigiert sie Linda durch eine Gefühlswelt, die sie irgendwann zu erdrücken droht. Doch Byrne bleibt robust, egal wie sehr sämtliche Emotionen und Herausforderungen sie in die Knie zu zwingen versuchen.

Man muss diese Frau nicht mögen, muss ihre Handlungen nicht gutheißen, aber man kann sie verstehen. In seiner konsequenten Haltung ist „If I Had Legs I’d Kick You“ eine ehrliche, intensive und zutiefst berührenden Meditation über Mutterschaft und die Ängste, die damit einhergehen.


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Ein Highlight im Wettbewerb: „The Ice Tower“ ist von großer Schönheit, Eleganz und Mystik. Wie gut ist der lang erwartete neue Film von Jan-Ole Gerster? „Islands“ mit Sam Riley in der Kritik. Ihr braucht einen Überblick? Filmtipps für die Berlinale 2025 mit Empfehlungen für jede Sektion. Sehenswert im Wettbewerb: Vicky Krieps und Emma Mackey in „Hot Milk“. Zur Eröffnung haben wir „Das Licht“ von Tom Tykwer gesehen – die Filmkritik. Interessante Fragen, zauberhafte Bilder, aber am Ende zu ambivalent: „Drømmer“ besprechen wir hier. Den brasilianischen Wettbewerbsbeitrag „O último azul“ („The Blue Trail“) haben wir hier rezensiert. Die Bären sind los: Die Preise der Berlinale 2025, mit Silbernen Bären und Goldenem Bär. Der erste Film im Wettbewerb: Hier ist die Filmkritik zu „Living the Land“. Ein 27 Jahre altes Problemkind: „Ari“ erzählt von Millennials, die mit dem Leben hadern. Filmprominenz im Blitzlichtgewitter: Diese Stars kommen 2025 zur Berlinale. Welche Filme laufen, wann und wo findet ihr das vollständige Programm? Alle Infos rund um das Programm der Berlinale. Wann beginnt der Verkauf, wo gibt es Tickets? Alles, was ihr zum Ticketkauf der Berlinale wissen müsst. Die Jury um Todd Haynes wird ihre Freude haben am Berlinale-Wettbewerb 2025, der spannend und ausgeglichen werden dürfte. Was läuft sonst? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Alles zum Festival steht in unserer Berlinale-Kategorie.

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