Radu Jude macht schnelles, intellektuell scharfes Gegenwartskino. Nach „Bad Luck Banging or Loony Porn“ (Goldener Bär 2021) erzählt er neuerlich von einer Frau, die aus dem normalen Leben herausfällt. Bert Rebhandl ist schon lange ein Fan des Regisseurs und sieht sich nach „Kontinental ’25“ bestätigt.
Vor zehn Jahren war Radu Jude mit seinem Film „Aferim!“ zu Gast im Wettbewerb – für seinen in klassischem Schwarzweiß gehaltenen Historienfilm über die rumänischen Verhältnisse im 19. Jahrhundert gab es einen Silberen Bären für die Beste Regie. Seither hat sich sein Stil stark verändert, oder sagen wir so: seither hat er sich auf schnelle Produktionen verlegt, die es ihm erlauben, mit maximaler intellektueller Agilität auf die Gegenwart zu reagieren. So zum Beispiel mit „Bad Luck Banging or Loony Porn“, seinem grimmig komischen Drama über Covid und den Nationalismus der neuen Mittelklasse in Rumänien.
Dieses Jahr soll es zwei neue Filme von ihm geben, mit einem davon bestätigt er seine Nähe zur Berlinale: „Kontinental ’25“ zeigt zu Beginn den Alltag eines Obdachlosen in der westrumänischen Universitätsstadt Cluj-Napoca. Ganz obdachlos ist er nicht, er hat sich in einem Heizungskeller ein Notquartier geschaffen, aus dem er nun vertrieben werden soll. Die Gerichtsvollzieherin kommt mit Gendarmen, der Mann bittet um 20 Minuten Zeit zum Packen, und während Orsolya (Eszter Tompa) draußen mit der Exekutive eine Zigarette raucht, erhängt sich der Mann.
„Kontinental ’25“ mit verstiegenen, absurden, abgründigen Dialogszenen
Die Erschütterungen, die dieses Ereignis in Orsolya auslöst, registriert Jude in einer Folge von langen Gesprächen und Dialogszenen, die manchmal ins Philosophische tendieren, öfter aber ins Verstiegene, Absurde, Abgründige. Thema ist dabei immer die Unmöglichkeit, in einem „normalen“ Leben mit Partner, Kindern, Eigenheim, Beruf auf die Zumutung zu reagieren, die Menschen in Not darstellen. Menschen, die betteln, die stinken, die stören.
Jude ließ sich für „Kontinental ’25“ von „Europa 51“ inspirieren, einem Klassiker von Roberto Rossellini, in dem Ingrid Bergman eine verunsicherte Frau spielt, die nach grundsätzlichen Antworten sucht. Bei Jude ist der Ton weniger getragen, wie immer ist ein gewisser Sarkasmus zu spüren, aber auch eine echte Irritation über die Grenzen der Lebensmodelle einer europäischen Mittelschicht. Die Dinosauriermodelle in einem Themenpark, die zu Beginn und am Ende für bizarre Akzente sorgen, sind wohl auch ein deutliches Zeichen.
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