Berlinale

„La cache“ von Lionel Baier: Paris im Mai 1968

Gleich vier Generationen spielen eine Rolle in „La cache“ (internationaler Titel: „The Safe House“), der am Rande des historischen Moments in Paris im Jahr 1968 eine private, komplizierte Familiengeschichte erzählt. Pamela Jahn hat den Abschlussfilm im Berlinale-Wettbewerb 2025 für den tipBerlin gesehen.

Szene aus „La cache“ („The Safe House“) mit William Lebghil, Michel Blanc, Ethan Chimenti, Dominique Reymond und Aurélien Gabrielli. Foto: Véronique Kolber

Ungebetene Gäste verheißen selten etwas Gutes. In „La cache“ ist der Besucher berühmt und umstritten – und wird obendrein von der Polizei gesucht. Die Familie, bei der er kurzzeitig Unterschlupf findet, ist nicht weniger fragwürdig. Es ist ein merkwürdiger Vier-Generationen-Haushalt, den der Schweizer Filmemacher Lionel Baier in seinem Wettbewerbsbeitrag porträtiert.

„La cache“: Der revolutionäre Eifer des Augenblicks

Während in Paris im Mai 1968 die Studentenproteste toben, lebt der kleine Christophe (Ethan Chimienti) bei seinen Großeltern (Michel Blanc, Dominique Reymond) in ihrer geräumigen alten Villa in der vornehmen Rue de Grenelle im Zentrum der Stadt. Seine Eltern (Adrien Barazzone, Larisa Faber) haben gerade wenig Zeit, sie hat der revolutionäre Eifer des Augenblicks gepackt. Auch zwei Onkel – der eine ein Linguistik-Spezialist (William Lebghil), der andere ein Künstler (Aurélien Gabrielli) – sowie die jüdische Urgroßmutter aus Odessa (Liliane Rovère) sind Teil der illustren Gemeinschaft. Es wird viel geredet, gestichelt, philosophiert und diskutiert. Im Hintergrund läuft ständig der Fernseher, in dem ein Nachrichtensprecher die Ereignisse rund um die Revolution kommentiert.

Die eigentliche Geschichte, um die es hier geht, wird stattdessen vom Autor des Films aus dem Off erzählt. „Le cache“ basiert auf dem Roman, den Christophe Boltanski über seine Familie geschrieben hat. Der Neffe des berühmten bildenden Künstlers Christian Boltanski setzt jedoch selbst ein großes Fragezeichen hinter die Richtigkeit seiner Erinnerungen: „Wenn Sie mir glauben, werde ich die Wahrheit sagen“, heißt es gleich zu Beginn, begleitet von einem flotten Jazz-Soundtrack, der sich durch die gesamte Komödie zieht.

Beschwingte Leichtigkeit – aber der Effekt verpufft schnell

Die beschwingte Leichtigkeit, mit der Lionel Baier in seinem Film viele komplexe und ernste Themen der Zeit immer auch mit Blick auf die Vergangenheit angeht, ist eingangs verlockend. Ähnlich wie das Haus der Familie sind deren Mitglieder voller weicher Ecken und Kanten, die an den Rändern entweder abgenutzt oder liebevoll verformt sind – im besten Fall beides. Das macht zunächst Freude beim Zuschauen, nur der Effekt ist schnell verpufft. Von dem Witz und den vielen klugen Gedanken, die in der Vorlage stecken, übernimmt der Regisseur zwar einige der besten Pointen, schiebt sie jedoch zu gewollt spielerisch und clever in den Vordergrund. 

Am Ende gibt es nur eine Wahrheit, die der Geschichte. „La cache“ liefert zahlreiche Gründe, sich darauf einzulassen. Nicht alle überzeugen, aber einen gewissen Unterhaltungswert hat Baiers Film. Immerhin.


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