„O último azul“, internationaler Titel „The Blue Trail“, zeigt ein nicht ganz realistisches Brasilien, in dem Leute mit 75 in die Alten-Kolonie müssen. Das will eine Frau nicht hinnehmen. tipBerlin-Kritikerin Alexandra Seitz über einen Film, der Alternativen zu einer schlimmen Zukunft sucht.

Soeben wurde die Altersgrenze herabgesetzt; nun wird man nicht erst mit 80 Jahren, sondern bereits mit 75 entmündigt und in die Senioren-Kolonie verfrachtet. Tereza, eine rüstige 77-Jährige, die noch keine Windeln braucht und sich mit einem Job in einer Alligatoren-Schlachterei (ja, das gibt’s) alleine durchbringt, kann es nicht fassen. Sie verliert ihre Arbeit und soll weg. Irgendwohin, woher keiner je wiederkehrte. Dabei hatte sie doch noch einmal in einem richtigen Flugzeug fliegen wollen! Und so macht sich Tereza kurzerhand auf die Socken, um ihren Wunsch zu erfüllen, und besteht unterwegs so manches Abenteuer.
„O último azul“: In der totalitären Dystopie werden Alte mit dem „Wrinkle Wagon“ abtransportiert
„O último azul“ („The Blue Trail“), der Wettbewerbsbeitrag des im brasilianischen Recife arbeitenden Regisseurs und Drehbuchautors Gabriel Mascaro, ist ein Roadmovie für Unruheständlerinnen und unwürdige Greisinnen und solche, die das einmal werden (wollen). Also eigentlich für alle. Angesiedelt ist die Geschichte in einer Art Parallelrealität, in der die unter der Herrschaft des populistischen Präsidenten Bolsonaro angeschobenen gesellschaftlichen Spaltungs- und marktwirtschaftlichen Entwicklungsprozesse einfach nur ein wenig zugespitzt sind. Fertig ist eine totalitäre Dystopie, in der die von Spitzeln verratenen Alten, die nicht freiwillig verschwinden wollen, mit dem „Wrinkle Wagon“ („Falten-Auto“) abtransportiert werden.
Es ist dies keiner jener auf die Demografie schielenden Wohlfühlfilme, in denen es unternehmungslustige alte Schachteln, die meist eh nicht alt aussehen, noch einmal so richtig krachen lassen und auf ihre alten Tage das Glück finden. Wobei das Glück – im Spiel, in der Liebe, das unverhoffte und das flüchtige – in „O último azul“ natürlich schon auch eine Rolle spielt. Zum Glück.
Sowie die Landschaft, die Umweltschäden, die Verschmutzung, die Lebensverhältnisse am Amazonas, und die Schiffe, die auf ihm tuckern und (zwielichtigen) Geschäften dienen. Dazu Täuschungsmanöver und Hilfsbereitschaft, Zocker und Prediger, Hängematten und Wassertropfen, die in der Sonne glitzern, rote und weiße Kampffische und blaues Schneckensekret, das bewußtseinserweiternde Räusche ermöglicht. Kurz: Jede Menge Lokalkolorit und regionales Wissen. Manchmal setzt Mascaro das hart an der Grenze zum magischen Realismus in Szene, nur um dann doch lieber bei der Wahrheit und in der Wirklichkeit zu bleiben. So ist „O último azul“ letztlich einfach eine mehrfache Reiseerzählung: durch die Gegend ins Innere hin zum Selbst.
Ihr braucht einen Überblick? Filmtipps für die Berlinale 2025 mit Empfehlungen für jede Sektion. Sehenswert im Wettbewerb: Vicky Krieps und Emma Mackey in „Hot Milk“. Zur Eröffnung haben wir „Das Licht“ von Tom Tykwer gesehen – die Filmkritik. Der erste Film im Wettbewerb: Hier ist die Filmkritik zu „Living the Land“. Ein 27 Jahre altes Problemkind: „Ari“ erzählt von Millennials, die mit dem Leben hadern. Filmprominenz im Blitzlichtgewitter: Diese Stars kommen 2025 zur Berlinale. Welche Filme laufen, wann und wo findet ihr das vollständige Programm? Alle Infos rund um das Programm der Berlinale. Wann beginnt der Verkauf, wo gibt es Tickets? Alles, was ihr zum Ticketkauf der Berlinale wissen müsst. Die Jury um Todd Haynes wird ihre Freude haben am Berlinale-Wettbewerb 2025, der spannend und ausgeglichen werden dürfte. Was läuft sonst? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Alles zum Festival steht in unserer Berlinale-Kategorie.