Berlinale

„The Thing with Feathers“: Auch Benedict Cumberbatch kann diesen Genremix nicht retten

„The Thing with Feathers”, das Spielfilmdebüt von Dylan Southern, adaptiert einen Roman über Trauerbewältigung. Dafür bemüht der Regisseur einen allzu konstruierten Genre-Verschnitt aus Familiendrama und Horror-Thriller. tipBerlin-Kritikerin Paula Schöber hat den Film in der Berlinale Special Gala gesehen und kann allein dem von Benedict Cumberbatch angeführten Schauspielensemble etwas abgewinnen.

Benedict Cumberbatch in „The Thing with Feathers“. Foto: Anthony Dickenson / The Thing with Feathers Ltd

„Kraah, kraah“, krächzt es des Nachts im Kopf von Dad, verkörpert von Benedict Cumberbatch. Oder ist die Krähenstimme doch nicht nur im Kopf des frisch verwitweten Vaters? Tatsächlich, bald kann Dad die Krähe mit der rauchigen, kratzigen Stimme nicht nur hören, sondern auch sehen. Überlebensgroß und bucklig steht sie nachts in dunklen Zimmerecken, sucht auch Dads kleine Söhne heim. Sie ist also einigermaßen real, oder wenn nicht, dann bilden sich wenigstens alle drei Familienmitglieder das riesige, unfreundliche Tierwesen gleichermaßen ein.

„The Thing With Feathers“: Das große Krähenwesen hilft bei der Trauerbewältigung

Das ist gar nicht mal so unwahrscheinlich, schließlich haben sie gerade erst ihre Frau beziehungsweise Mutter verloren; grundlos ist sie in der Küche zusammengebrochen und verstorben. Die Jungs, circa sechs- und achtjährig, scheinen den Tod ihrer Mutter noch nicht so recht zu begreifen, doch Dad reißt der Tod seiner geliebten Frau komplett den Boden unter den Füßen weg. Unter anderem deswegen, weil er sich offensichtlich bislang aus der Care-Arbeit herausgehalten hat. Eine besonders intensive Szene zu Beginn zeigt eindringlich die komplette Überforderung des Witwers, der seinen Söhnen offenbar noch nie Frühstück gemacht oder sie zur Schule gebracht hat.

Die Krähe, das Ding mit den Federn, so lernen wir bald, ist zur Familie gekommen, um ihr, vor allem dem Vater, mit der Trauerbewältigung zu helfen. Warum und wie genau sie das vorhat, ist nicht ganz ersichtlich, doch es scheint zu funktionieren. Anfangs noch sehr bedrohlich krächzend und sich im Schatten versteckt haltend, wirkt das schwarzgefiederte Ungestüm im zerlumpten schwarzen Umhang bald milde, fast schon liebevoll im Umgang mit der trauernden Familie.

Doch diese Ruhe währt nicht lang, regelmäßig wird das Drama-Genre von kurzen Psychothriller-Elementen mit Horror-artigen Szenen durchbrochen. Einmal geht Dad ganz gewöhnlich einkaufen, als der Gang zum Supermarkt sich plötzlich zum Horrorszenario entwickelt und das Krähenvieh ihn durch den auf einmal dunkel und menschenleer gewordenen Laden jagt. In einem anderen Horror-Einsprengsel wird es richtig brutal, Krähe und Vater liefern sich einen blutigen Zweikampf.

Regisseur Dylan Southern, bisher vor allem mit Dokumentar- und Musikfilmen in Erscheinung getreten, hat sich für sein Spielfilmdebüt die Leinwandadaption von Max Porters gedichtartiger Novelle „Grief is the Thing with Feathers“ von 2016 ausgesucht. Der Schriftsteller nahm mit dem Titel Bezug auf das Gedicht von Emily Dickinson „Hope is the Thing with Feathers“; die Krähe ist eine Anlehnung an die titelgebende „Crow“ aus Ted Hughes gleichnamigem Buch von 1970.

„The Thing with Feathers“ lebt maßgeblich von Cumberbatchs Spiel

2018 wurde das Buch, das sich weder eindeutig als Roman noch als Gedicht einordnen lässt, mit Cillian Murphy in der Hauptrolle für die Bühne adaptiert. Als Benedict Cumberbatch für die Verfilmung angefragt wurde, zögerte er nach eigenen Angaben zunächst, ist doch die filmische Adaption eines so originellen Werks eine Herausforderung. Glücklicherweise hat der „Sherlock“-Darsteller die Rolle aber angenommen, denn von seinem intensiven Spiel lebt „The Thing with Feathers“ maßgeblich. Auch die Brüder Richard und Henry Boxall liefern für ihr zartes Alter hervorragend vor der Kamera ab, nichts wirkt hier gespielt.

David Thewlis als in Reimen sprechende beziehungsweise raunende Krähe macht seinen Job hervorragend (er leiht dem übernatürlichen Wesen allerdings bloß die Stimme, in dem Krähen-Kostüm steckt Eric Lampaert), mäandert beeindruckend zwischen wohlwollendem Beschützer und irre-psychopatischem Angreifer. Die Kamera von Ben Fordesman („Saint Maud“, „Love Lies Bleeding“) bringt beklemmende Nahaufnahmen auf die Leinwand.

Dylan Southern gelingt es nicht, einen emotionalen Zugang zu Max Porters Stoff anzubieten

Alle Szenen funktionieren für sich genommen zwar ganz gut, als Zuschauer durchlebt man gut anderthalb Stunden mit Vater und Söhnen zusammen den schmerzhaften Trauerprozess. Was dagegen gar nicht funktioniert, ist der krampfhafte Versuch von Regisseur Southern, zwei grundverschiedene Genres aufeinander loszulassen. Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass dieser Genremix ohne wirklichen Plan stattfindet, dass allein die Verwirrung und Provokation der Zuschauer ausreichen soll, um diesen Stilbruch wieder wettzumachen. So gelingt es Dylan Southern dann leider auch nicht, trotz eines Schauspielensembles, das auf alle Ebenen abliefert, einen emotionalen Zugang zu Max Porters Stoff anzubieten. Als Zuschauer verlässt man den Kinosaal mit dem komischen Gefühl, gerade zwei verschiedene, ineinandergeschnittene Filme gesehen zu haben.

  • The Thing With Feathers Premiere Di 18.2. 21 Uhr Uber Eats Music Hall, weitere Termine hier

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