Berlinale

„Yunan“ von Ameer Fakher Eldin: Ein symbolischer Wal in der Nordsee

In seinem zweiten Spielfilm „Yunan“ erzählt Regisseur Ameer Fakher Eldin eine Geschichte um Exil und Sehnsucht nach der Heimat. Hanna Schygulla und der libanesische Schauspielstar Georges Khabbaz bilden vor einer überfluteten Halligen-Kulisse ein überzeugendes Leinwandpaar, aber der atmosphärische Wettbewerbsfilm könnte weniger subtil sein, findet tipBerlin-Kritikerin Paula Schöber.

„Yunan“ von Ameer Fakher Eldin mit Georges Khabbaz und Hanna Schygulla. Foto: 2025 Red Balloon Film, Productions Microclimat, Intramovies
„Yunan“ von Ameer Fakher Eldin mit Georges Khabbaz und Hanna Schygulla. Foto: 2025 Red Balloon Film, Productions Microclimat, Intramovies

Eine Reise auf die abgelegenen nordfriesischen Halligen kann eine kathartische Wirkung auf den Reisenden haben, besonders, wenn er dort eine Sturmflut erlebt. Auf einer Hallig ist man meistens sich selbst ausgesetzt, den eigenen Gedanken, Schmerzen, Träumen und Erinnerungen. Genau deshalb hat Munir (Georges Khabbaz) sich die Hallig Langeneß ausgesucht, um zur Ruhe zu kommen. Der aus Syrien stammende und in Hamburg lebende Schriftsteller hofft außerdem, auf der Nordseeinsel endlich einmal durchatmen zu können. Der etwa 50-Jährige leidet nämlich unter einer unerklärlichen Atemnot, bei der auch seine Ärzte keinen Rat wissen. Sie scheint psychosomatischer Natur zu sein; Munir ist zutiefst unglücklich. Seine demente Mutter kann er nur per Videoanruf sehen, er vermisst sie und seine Heimat. Im Reisegepäck hat Munir eine Pistole, er denkt darüber nach, auf der Hallig seinem Leben ein Ende zu setzen.

Er benutzt sie, auf der Hallig angekommen, dann aber doch nicht. Vielleicht hat das etwas mit der lebensfrohen, freundlichen Gastwirtin Valeska (Hanna Schygulla) zu tun, die den Fremden trotz ausgebuchten Zimmern bei sich aufnimmt. Sie merkt, dass dem schweigsamen Munir etwas auf der Seele liegt, und dass dieser verzweifelt um ein Zimmer bittende Mann die Hallig-Abgeschiedenheit dringend braucht. Die beiden unterschiedlichen Menschen bauen immer mehr Vertrauen zueinander auf, und nach der Sturmflut, die die gesamte Hallig bis auf die wenigen, höher gebauten Häuser unter Wasser setzt, bekommt Munir sogar wieder besser Luft.

„Yunan“ ist Teil der „Homeland“-Trilogie des Regisseurs

„Yunan” ist der zweite Spielfilm des 33-jährigen Regisseurs Ameer Fakher Eldin, den wir hier vorstellen. Der Film bildet den zweiten Teil seiner „Homeland“-Trilogie. Deren erster Teil „Al Garib“ (The Stranger) ist das Spielfilmdebüt des in Kyjiw als Sohn syrischer Eltern geborenen Regisseurs und spielt in den Golan-Höhen. Das syrische, 1967 im Zuge des Sechstagekriegs von Israel besetzte Gebiet ist Eldins Heimat; kurz nach seiner Geburt in der Ukraine kehrten seine Eltern mit ihm dorthin zurück. Obwohl seine Familie syrisch ist, war Eldin selbst noch nie in Syrien. Er kennt sich also mit dem Gefühl des „displacements“ aus, er weiß, wie sich Exil anfühlt. Seit einigen Jahren lebt der Regisseur zwischen Hamburg und Berlin.

Der ebenfalls in Hamburg lebende Syrer Munir liest sich also wie ein (älteres) Alter Ego Eldins, und die Geschichte, die er in „Yunan” erzählt, ist auch ein bisschen seine eigene. In seinem zweiten Film ist alles etwas vage, subtil, es wird wenig erklärt. So muss man sich als Zuschauer auch selber denken, was die mythisch angehauchten Elemente in “Yunan” bedeuten, wie man sie interpretieren könnte.

Eldin, der neben der Regie auch für Drehbuch und Schnitt verantwortlich zeichnet, flicht in Munirs Nordsee-Reise noch eine weitere Erzählebene ein: In seinem Kopf spielt der regelmäßig um Luft ringende Mann, der sich schmerzlich nach seiner syrischen Heimat sehnt, immer wieder eine Geschichte ab, die ihm seine Mutter früher erzählt hat. Es ist die märchenhafte Erzählung von einem Schäfer und seiner Frau (diese wird anmutig von Sibel Kekilli gespielt), Eldin zeigt die beiden in einer mythischen, menschenlosen Landschaft, die Zivilisation scheint weit weg. Immer wieder denkt Munir auf der kargen, verregneten und stürmischen Hallig an diese Geschichte und hat, genau wie das Publikum, die Bilder des Schäferpaars in dieser golden leuchtenden Landschaft vor Augen. Welche Rolle diese beiden schweigenden Menschen spielen, ob die Schäfersfrau vielleicht Munirs Mutter symbolisiert, das bleibt offen und irritiert zuweilen ein wenig.

Es fügt sich zu einem alttestamentarischen Bild zusammen

Ein weiteres symbolisches Bild zeichnet Eldin am Tag nach der Sturmflut, als die Wassermassen sich wieder vom Land zurückgezogen haben: Da findet Munir einen toten Pottwal auf der Hallig. Der arabische Name „Yunan“ kann unter anderem mit dem deutschen „Jona“ übersetzt werden, und Jona, eine Flucht (auf die abgelegene Hallig), ein Sturm und ein Wal, das fügt sich alles zu einem alttestamentarischen Bild zusammen. So wie Munir sein Leben voller Schmerz und Sehnsucht nach Heimat nicht mehr ertragen wollte, so bat auch der Prophet Jona Gott darum, sterben zu dürfen, so steht es jedenfalls im Alten Testament.

Ameer Fakher Eldin sagt über „Yunan“, er wolle damit die Seele im Bild festhalten. Das ist ihm zumindest streckenweise gelungen. Der libanesische Hauptdarsteller Georges Khabbaz (der des Deutschen zwar nicht mächtig ist, für die Rolle aber auf Deutsch gesprochen hat) schafft es, mit einem bewegenden, zurückhaltenden Spiel, der Sehnsucht eines leidenden Mannes Ausdruck zu verleihen. Auch die große Hanna Schygulla überzeugt an seiner Seite. „Yunan“ ist ein äußerst atmosphärischer Film, der sich in seinem Erzählfluss viel Zeit lässt, aber hin und wieder etwas zu metaphorisch, ja fast zu subtil gerät, um ihn in Gänze begreifen und genießen zu können.

  • Yunan läuft im Wettbewerb um den Goldenen Bären, Premiere Mi 19.2. 18.30 Uhr im Berlinale Palast, weitere Termine hier

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