48. Diese Zahl steht in Lolas Berufswelt für eine 48-Stunden-Schicht ohne Schlaf. Lola ist eine sehr talentierte Unternehmensberaterin der unteren Ränge, und ihr Beruf ist ihre Welt. Oder besser, so hätte sie es gerne, wäre da nicht ihre an Schizophrenie erkrankte Schwester Conny, die mit ihrem Selbstmordversuch Lolas sorgfältig aufgebauten Kosmos zum Einsturz bringt.
Als es um die Zahl 48 geht, sind beide Welten ineinander gefallen, denn Lola liegt jetzt selber in einem Wiener Krankenhaus. Es wäre auch ein Wunder gewesen, wenn sie die Mischung aus Hochleistungsjob, einer Affäre mit ihrer kapriziösen Vorgesetzten Elise (Mavie Hörbiger), dem Mobbing durch ihren weniger begabten Kollegen Sebastian und dem Psychodruck durch die kranke Schwester (super: Pia Hierzegger) ausgehalten hätte. Kommt noch die äußerst schwierige Familiengeschichte dazu, Lola ist schon als junges Mädchen Waise geworden, war bei Pflegeeltern, da ihre um einiges ältere Schwester wegen Schizophrenie in die Psychiatrie eingewiesen wurde.
Ganz schön viel mieser Stoff, den Lola da aushalten muss. Und die 32-jährige Oberösterreicherin Valerie Pachner (hierzulande am besten bekannt als Wally in „Egon Schiele: Tod und Mädchen) spielt Lola sensationell gut, verbissen, aber doch irgendwie sympathisch. Man weiß gar nicht, ob man sie lieber in den Arm nehmen oder ihr die Generalschuld an dem Turbokapitalismus unserer Tage geben möchte. Lola liebt ihre Status-Stilettos, insbesondere, wenn sie mal wieder aus dem Flieger steigt und im offenen Mantel ihren Rollkoffer hinter sich herzieht. Aber ihre Kleinmädchenfrisur mit Haarspange lässt schon früh erahnen, dass sie nicht weiter als Rostock, wo sie als Teil eines Beraterteams eine lokale Firma durch Umstrukturierungen wieder flott machen soll, kommen wird.
Regisseurin Marie Kreutzer hat sich sehr viel vorgenommen – und gleichzeitig sehr wenig. Dass Lola durch all ihre Leistung nicht glücklich wird, vieles kompensiert, ist Küchenpsychologie. Dass sie von ihrer Schwester ebenso wie vom Elitedenken der Unternehmensberater-Clique (die natürlich sexistisch ist und die Karriere der Liebe vorzieht) manipuliert wird, ist sowieso klar. Kreutzer hat ihre Lola nicht mit der Fähigkeit ausgestattet, über Leichen zu gehen, wie die einem sofort in den Sinn kommende, ebenfalls aus Österreich stammende Paula Beer in „Bad Banks“, eine Serie, die wirklich Angst davor machte, wie der Kapitalismus fit gemacht wird für eine noch unmoralischere Zukunft. „Der Boden unter den Füßen“ kommt da nicht wirklich über eine tragische Familiengeschichte hinaus. STEFANIE DÖRRE
09.02.2019 - 17:00 Uhr
Berlinale 2019