Fast 20 Jahre war Dieter Kosslick der Direktor der Berlinale. Er erwarb sich in dieser Zeit viele Sympathien, wurde aber auch kritisiert, weil sich viele eine konturiertere Programmierung wünschten. Nun hat er seine Memoiren vorgelegt: „Immer auf dem Teppich bleiben“. Bert Rebhandl hat das Buch für tipBerlin gelesen.
Dieter Kosslicks „Immer auf dem Teppich bleiben“: Von Ben Hur zu Til Schweiger
In einem entscheidenden Moment half Dieter Kosslick seine Ehrlichkeit weiter. 1979 saß er einer Gruppe von Filmmenschen gegenüber, die ihm eine wichtige Aufgabe anvertrauen wollten: die Leitung des Hamburger Filmbüros, das damals eine innovative Förderung vertrat. In seinem eben erschienenen Band mit seinen Memoiren erzählt Dieter Kosslick, wie er den Hamburger Kinointellektuellen gegenübersaß. Er sollte seinen Lieblingsfilm nennen, und überlegte kurz, ein bedeutendes Werk der Filmkunst zu nennen. Doch er entschied sich gegen eine strategische Antwort. „Ben Hur“, das war sein Ideal von Kino, das er aus seiner Jugend in Pforzheim mitgenommen hatte. Das Wagenrennen, das Spektakel, Kino als große Inszenierung.
Er bekam den Job, und damit begann eine Karriere in der deutschen Filmbranche, die in fast zwei Jahrzehnten als Direktor der Berlinale gipfelte. Mit „Immer auf dem Teppich bleiben“ erzählt er von seinem Leben. Ein Buch im Konversationston, das seine integrierende „schwäbisch-badische Art“ mit Erzählungen von ausführlichen Drehbuchbesprechungen mit Til Schweiger in einem Kölner Weinlokal, aber auch Begegnungen mit vielen Stars belegt.
Kosslicks Leben vor der Berlinale hätte noch mehr Raum verdient
Natürlich werden die meisten Leser*innen vor allem die Erinnerungen an die Berlinale interessieren. Allerdings hätte der Teil davor durchaus noch ein wenig mehr Aufmerksamkeit verdient. Denn Kosslick war in seinen jungen Jahren Teil eines spannenden Milieus, er hatte in München Kontakt zu progressiven Jesuiten und kam dann in Hamburg in das Umfeld einer Sozialdemokratie, die in dem Bürgermeister Hans-Ulrich Klose einen herausragenden Vertreter hatte.
Leider nur kursorisch erwähnt er auch eine Reise, die ihn 1967 schon in den Iran und nach Timbuktu führte. In diesen Passagen hätte man gern manchmal einen ausführlicheren und genaueren Erzähler gehabt, allerdings ist dieser Teil nicht der, der das Zielpublikum des Buches primär anspricht.
Den Jury-Präsidentinnen widmet Kosslick ein eigenes Kapitel
Dieses Zielpublikum sind all die Menschen, die Kosslick im Lauf der Jahre als den Mann am roten Teppich schätzen gelernt haben: als einen sympathischen, gern zu Scherzen aufgelegten Gastgeber, der interessante Persönlichkeiten aus der Welt des Kinos aus allen Himmelsrichtungen in Empfang nahm. Ein eigenes Kapitel widmet er beispielsweise den Jury-Präsidentinnen. Um Meryl Streep musste er sich viele Jahre bemühen, schließlich kam sie dann doch und bestand nicht einmal auf First Class-Tickets.
Bei solchen Details muss Kosslick selbstverständlich sparsam sein. Er gewährt einen Blick in das Innere eines Festivals von Weltgeltung, wahrt aber jederzeit die Diskretion. Am einigen Stellen wäre es aus politischen Gründen interessant gewesen, mehr zu erfahren. Das schwierige Verhältnis mit der aufstrebenden Großmacht China muss letztlich mit einer kulturdiplomatischen Anekdote über einen Besuch in Peking abgehandelt werden.
Dabei war Kosslicks letzte Berlinale de facto mit einem Affront konfrontiert worden, als „One Second“ von Zhang Yimou in allerletzter Minute aus dem Programm genommen werden musste. Bis heute lief der Film nur in China, und auch da nur in zensierter Form. Leider wird auch dieser brisante Fall nur beiläufig angesprochen.
Kontrovers wird ausgespart, der Blick in die Zukunft ist recht allgemein
Ausführlich widmet sich Kosslick dafür in einem dritten Teil der Zukunft des Kinos im Verbund der neuen digitalen Medien. Man hört da wieder den Redenschreiber heraus, der er anfangs eine Weile war: Seine Erörterungen wenden sich eher an Menschen, die gerade zum ersten Mal einen Streamingdienst abonniert haben und sich um das Kino in der nahen Kleinstadt Sorgen machen. Weitergehende Überlegungen über die enormen tektonischen Verschiebungen in der Branche sollte man sich nicht erwarten.
Ausführlich behandelt er schließlich auch noch sein zweites neues Großthema neben dem kulinarischen Kino: der klimatischen Nachhaltigkeit. Als Direktor eines Filmfestivals weiß er natürlich, wie groß der Eintrag einer solchen Veranstaltung in die CO2-Bilanzen ist. Roland Emmerich, der seine Klimakatastrophen-Blockbuster „The Day After Tomorrow“ durch Baumpflanzungen aufwog, ist für Kosslick ein Beispiel für einen „grünen Film“, wie er in Zukunft die Norm werden sollte.
Die European Medias Association vergibt seit einiger Zeit „Grüne Siegel“ für nachhaltige Medienproduktionen. Da einige davon auch auf der Berlinale liefen, kann Kosslick dem Festival schwuppdiwupp auch ein grünes Siegel verleihen. Was er für Berlin und die Berlinale bedeutet hat, wird aus „Immer auf dem Teppich“ schön deutlich, wenn auch vielleicht nicht nur in dem Sinn, wie er es meint. Denn der blinde Fleck, über den er hinwegplaudert, bleibt auch in seinem Buch das Kino, von dem er einen sehr einfachen Begriff hat.
- Dieter Kosslick: Immer auf dem Teppich bleiben, Hoffmann & Campe 2021, 25 €. Am 16.2. ist Kosslick um 20.00 auf radioeins in „Die schöne Stunde“ bei Knut Elstermann zu Gast
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