In den 1980er Jahren sahen Computer noch ein wenig aus wie futuristische Spielzeuge, nicht wie die schnöden Gebrauchsgegenstände, als die wir sie heute kennen. Wer damals schon wusste, wie man ein Game schreibt, war für die richtige Welt so verloren, wie der junge Ratz (Helmut Köpping) es in Michael Glawoggers „Das Vaterspiel“ ist. Er programmiert einen klassischen Ego-Shooter mit der nicht unwichtigen Besonderheit, dass man dabei allen zu erschießenden Figuren das Gesicht des (verhassten) eigenen Vaters geben kann.
Die Rückschau in die bekifften, vage politisierten 1980er Jahre in Wien ist aber nur eine Ebene in „Das Vaterspiel“, mit dem Glawogger einen gleichnamigen Roman von Josef Haslinger verfilmt hat. Die Geschichte greift vielmehr weit aus: von der Gegenwart in New York bis nach Litauen im Zweiten Weltkrieg, von der Judenvernichtung bis zu den Kindern einer dekadent gewordenen Sozialdemokratie. In Ludwigsburg tritt 1959 ein Mann vor die Ankläger der nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen und erzählt von der Ermordung seines Vaters. Er belastet konkret und mit fotografischen Beweisen einen litauischen Täter. In New York richtet einige Jahrzehnte später eine junge Frau namens Mimi (Sabine Timoteo) eine Kammer ein, in der sich ihr Großvater verstecken kann, der befürchten muss, in hohem Alter noch für Taten belangt zu werden, die er während des Zweiten Weltkriegs in Osteuropa begangen hat. Der Computernerd Ratz, der am liebsten ganz in die Welt des Virtuellen und der Fantasie aussteigen würde, muss sich diesen Zusammenhängen stellen.
„Das Vaterspiel“ ist eine weitere überraschende Wendung im Werk von Michael Glawogger. Er wird immer mehr zu einem europäischen Pendant von Steven Soderbergh, ein enorm flexibler Regisseur mit einem immer scharfen Auge und einem guten Gespür für die Nuancen, die auch in Kolportagematerial liegen. Glawogger versucht gar nicht groß, die ein wenig ächzende Gesamtkonstruktion von Haslinger zu befestigen, er konzentriert sich auf konkrete Szenen und holt aus ihnen eine Menge heraus – eine versprengte Generationengeschichte der Nachkriegsära.
Text: Bert Rebhandl
tip-Bewertung: Sehenswert
Orte und Zeiten: „Das Vaterspiel“ im Kino in Berlin
Das Vaterspiel, Österreich/Deutschland/Frankreich 2008; Regie: Michael Glawogger; Darsteller: Helmut Köpping (Ratz), Sabine Timoteo (Mimi), Ulrich Tukur (Jonas Shtrom); Farbe, 117 Minuten
Kinostart: 26. November