Epochenwende am Potsdamer Platz: Die Deutsche Kinemathek mit dem Museum für Film und Fernsehen zieht vom Sony Center ins E-Werk an der Mauerstraße. Im Interview erklärt der künstlerische Direktor der Kinemathek, Rainer Rother, die Zusammenhänge.

Deutsche Kinemathek: Auch der Architekt musste hier mit dem Raum kämpfen
tipBerlin Herr Rother, Sie gehen Ende April 2025 in Ruhestand. Hätte man den Umzug der Deutschen Kinemathek mit all den Archiven, Sammlungen und der Bibliothek nicht Ihrer Nachfolge überlassen können?
Rainer Rother Man wollte meiner Nachfolgerin oder meinem Nachfolger nicht beides zumuten: am Potsdamer Platz zu einem vernünftigen Ende zu kommen und den Umzug ins E-Werk zu realisieren und zugleich das Programm für den neuen Standort zu gestalten. Deshalb bereiten wir uns jetzt für die neue Heimat vor, aber so, dass wir erste Formate präsentieren können, ohne der langfristigen Planung vorzugreifen.
tipBerlin Warum war es notwendig, mit der Deutschen Kinemathek aus dem Sony Center auszuziehen? Das Triumvirat aus dffb, Kino Arsenal und Kinemathek wird es am neuen Ort nicht mehr geben.
Rainer Rother Alle drei Institutionen hatten einen Mietvertrag über 25 Jahre, geschlossen vom Berliner Senat, der jetzt ausläuft. Seitens des Investors bestand kein Interesse, diese Verträge zu verlängern. Man muss auch konstatieren, dass dieses Gebäude für alle drei Institutionen auch Nachteile hat, es ist nun mal ein Bürogebäude – in das in unserem Fall ein Filmmuseum in einengende Räumlichkeiten eingezogen ist.
tipBerlin Aber ein schönes Filmmuseum!
Rainer Rother Diese Schönheit verdanken wir Hans-Dieter Schaal, der eine hervorragende Architektur entworfen hat, die einen vom Potsdamer Platz weg- und in die Filmgeschichte hineinführt. Aber auch Schaal hätte sich eine Deckenhöhe von mehr als 3,50 Metern gewünscht, und so musste auch er mit dem Raum kämpfen.
Der Potsdamer Platz entwickelt sich weg vom kulturellen Zentrum und hin zu einer High-Tech-Office-Kultur.
Rainer Rother, Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek
tipBerlin Sie wollten also nicht bleiben?
Rainer Rother Diese Frage stellte sich gar nicht. Die vom Investor erwartete Rendite hätten wir niemals leisten können. Da stellt sich vielmehr die Frage: Warum engagieren wir uns in dieser Institution? Damit wir inhaltlich für das Publikum arbeiten können oder damit der Vermieter verdient?
tipBerlin Hat das denn etwas mit Gentrifizierung zu tun?
Rainer Rother Ich weiß es nicht. Der Potsdamer Platz entwickelt sich weg vom kulturellen Zentrum und hin zu einer High-Tech-Office-Kultur. Insofern sind wir hoffnungsfroh, wenn wir auf das E-Werk sehen: ein neuer Ort, an dem man Neues (aus)probieren kann – immer auch mit Blick auf das geplante Filmhaus, das dann hoffentlich in zehn Jahren kommen wird.
tipBerlin Es war nicht zu vermeiden, zuerst in ein Provisorium umzuziehen?
Rainer Rother Nein. Das wäre nur zu vermeiden gewesen, wenn es ein bestehendes Gebäude gegeben hätte, in das dann die Berlinale, die Deutsche Kinemathek und Vision Kino hätten einziehen können.
tipBerlin Es gab also in der Riesenstadt Berlin kein schon bestehendes taugliches Gebäude, das die Deutsche Kinemathek beherbergen könnte?
Rainer Rother Nein, gab es nicht: Wir haben ja schon ab 2015 die Lage sondiert. Die zuständigen Stellen von Bund und Land haben uns attestiert, dass es ein solches Gebäude nicht gibt, weder beim Land noch beim Bund noch auf dem freien Markt. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die BImA, soll das neue Filmhaus auf dem Parkplatz des Gropius Baus errichten, und wir zahlen dann Miete.
tipBerlin Kann man diesen Umzug mit einem privaten vergleichen? Ergo: Wird ausgemistet?
Rainer Rother In den Büros ja, die Kolleginnen und Kollegen sortieren, was sie noch brauchen und was nicht. Auch die Lagerbestände werden geprüft, etwa: Welche Programme brauchen wir von jener Veranstaltung, welche Plakate von 83 gezeigten Ausstellungen oder den Retrospektiven der Vergangenheit. Bei den Archiven ist das anders: Die Dinge dort haben bereits einen Auswahlprozess durchgemacht und wurden als archivwürdig anerkannt.
tipBerlin Wie sehr schmerzt es, im E-Werk keine ständige Ausstellung mehr zu haben?
Rainer Rother Natürlich ist das ein Abschied, der ein bisschen weh tut. Wir haben viel in diese Ausstellung investiert, sie mehrfach überarbeitet. Aber wir hätten die ständige Ausstellung ohnehin neu konzipieren müssen, weil sich die Anforderungen an Museen, die Erwartungen des Publikums so stark verändert haben.
Deutsche Kinemathek wird sich das Publikum neu erobern müssen
tipBerlin Ich finde Ihre ständige Ausstellung sehr jetztzeitig …
Rainer Rother Das stimmt, und sie funktioniert noch, was wir an den Reaktionen des Publikums sehen. Das ist auch ein Resultat der Überarbeitungen der letzten Jahre. Aber wir sind nun mal gezwungen, ein Zwischenquartier zu beziehen, und wir sehen das als große Chance, uns auf die Zukunft im neuen Filmhaus vorzubereiten, neue Formate auszuprobieren.
tipBerlin Aber besteht nicht die Gefahr, die jahrelang aufgebaute Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit durch eine fehlende ständige Ausstellung wieder zu verlieren?
Rainer Rother Berlin hat ein unglaubliches museales Angebot, da bewegen wir uns in einem umkämpften Umfeld. Wir werden uns das Publikum neu erobern müssen. Aber diese Aufgaben haben Museen immer. Bei unseren Sonderausstellungen haben wir immer genau beobachtet, was funktioniert und was nicht.
tipBerlin Und diese Sonderausstellungen werden Sie ja wieder im E-Werk anbieten …
Rainer Rother Ja, mit kleineren Expositionen und experimentellen Formaten – dazu alle anderen Angebote jenseits einer ständigen Ausstellung wie Mediathek, Bibliothek, Filmsichtung, Zugang zum Schrifttum- und Fotoarchiv und so weiter.
tipBerlin Gibt es einen konkreten Zeitplan?
Rainer Rother Wir gehen davon aus, dass wir zur Berlinale 2025 so weit sind, dass die ganze Community, auch die internationale, bei uns mal reinschnuppern kann. Die ersten Ausstellungen werden wir ab dem dritten Quartal 2025 eröffnen können. Eine ist bereits in Planung: „Inventing Queer Cinema“ über die Entstehung des queeren Filmschaffens.
„Der Austausch untereinander, das zufällige Zusammentreffen, das ist schwieriger geworden“
tipBerlin Das CineStar ist zu, das CinemaxX hat weniger Sitzplätze, das Arsenal zieht weg. Bleibt nur der Berlinale Palast. Ist der Berlinale-Standort Potsdamer Platz tot?
Rainer Rother Tot würde ich nicht sagen, weil er für bestimmte Segmente noch gut funktioniert: zum einen für die Wettbewerbsfilme im Berlinale Palast, zum anderen für die Filmindustrie mit Sichtungen im CinemaxX und dem Gropius Bau als Zentrale. Insofern bleibt dieser Ort hier das Zentrum der Berlinale. Wir von der Retrospektive haben sehr gute Erfahrungen mit neuen Spielstätten wie dem Cubix, dem International und der Akademie der Künste gemacht. Das funktioniert in Berlin, die Menschen nehmen das an. Der Austausch untereinander, das zufällige Zusammentreffen, das ist schwieriger geworden.
tipBerlin Wo werden Sie zukünftig Filme zeigen?
Rainer Rother Wir sprechen mit vielen verschiedenen Kinos, das Interesse ist auf beiden Seiten groß. Und im E-Werk wird es auch eine Art Werkstatt geben, ein kleines Kino mit 36 Plätzen.
- Deutsche Kinemathek Potsdamer Straße 2, Tiergarten, ständige Ausstellung noch bis 31.10., Mi–So 10–18 Uhr, Tagesticket 9/5 €, ab 24.10. Eintritt frei, mehr Infos hier
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