Das „Electric Girl“ verliert sich in einer Fantasiewelt – und entnervt ihr Umfeld
Fast sieht Hamburg nachts ein wenig aus wie Tokio. Jedenfalls empfindet die 23-jährige Poetry-Slammerin und Barfrau Mia das so, wenn sie auf einem Kraftwerk steht und über die Elbstadt blickt. Und auch Mia sieht mittlerweile ganz schön nach Japan aus, oder besser: nach Manga. Mehr und mehr hat sie sich der blauhaarigen Animefigur Kimiko anverwandelt, deren Synchronstimme sie gerade geworden ist. Eine Superheldin, die Elektrizität sehen kann, über Dächer fliegt und einen nerdigen Kumpan an ihrer Seite hat.
In Ziska Riemanns zweitem Spielfilm verwischen die Grenzen: zwischen Weltrettungsfantasie und Hamburger Alltag, Knallfarben und gedeckten Normaltönen. Riemann, die sich vor allem als Comickünstlerin einen Namen gemacht hat, versteht sich auf Überbordendes, den Überschwapp, der das eine mit dem anderen verbindet. Den Hang dazu hat auch Mia, allerdings bis zur Manie gesteigert. Ruhend, geschweige denn schlafend, sieht man die junge Frau, der Victoria Schulz eine glaubwürdige, im wahrsten Sinne elektrisierende Aura verpasst, nie.
„Electric Girl“ erzählt also auch von jener berühmten affektiven Störung, deren Merkmale Mia einsammelt wie Punkte in einem Jump‘n‘ Run-Spiel. Für Freunde und Familie ist das bald „too much“. Auch Mia selbst dichtet: „Alles um mich lodert schon. Alles um mich asynchron.“ Asynchron, das sind für sie irgendwann die meisten Menschen – die Spielverderber, Ungläubigen, die Ruhig-Sitzen-Bleiber. Ziska Riemann inszeniert so, dass man mit Mia fliegen kann. Das ist befreiend. Und sicherlich ist es auch Mitwerk der Ko-Autorin Luci van Org alias Lucilectric („Mädchen“), der Mia wohl nicht nur optisch zum Vorbild gereicht hat.
Electric Girl D 2018, 89 Min., R: Ziska Riemann, D: Victoria Schulz, Hans-Jochen Wagner, Svenja Jung, Start: 11.7.