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Drama

Die Selbstzelebrierung der Männer: „Oray“ im Kino


Der deutschtürkische Filmemacher Mehmet Akif Büyükatalay wirft in „Oray“ einen ganz neuen Blick auf den Islam in Deutschland

Filmfaust/ Christian Kochmann

Mehmet Akif Büyükatalay hat noch nicht gefrühstückt, als ich ihn zur Mittagszeit anrufe. Am Tag davor ist er aus Seattle zurückgekehrt, wo sein Film „Oray“ die Nordamerikapremiere hatte. Im Februar lief „Oray“ bei der Berlinale in der Perspektive Deutsches Kino und wurde als bester Debütfilm ausgezeichnet. Eine nachvollziehbare Entscheidung, denn der in Hagen aufgewachsene Sohn türkischer Einwanderer bringt einen ganz neuen Ton in die Diskussionen um den Islam in Deutschland.

Der Film heißt so wie die Hauptfigur: Oray, ein frommer junger Mann, der einen Streit mit seiner Frau Burcu hat. Oray braust auf und spricht eine verhängnisvolle Nachricht auf Burcus Mailbox. Sie enthält das Wort „talaq“. Das ist nach islamischem Recht eine Scheidungsformel. Nun ist die Frage: Wie ernst muss man das nehmen? Sehr ernst, wie sich bald herausstellt.

„Oray“ führt in eine Welt, die für das Kino in Deutschland bisher verschlossen war. So wie Büyükatalay hat bisher niemand von jungen Männern erzählt, die an Allah glauben und damit mitten in Deutschland in einem Paralleluniversum leben, nach Regeln, die nicht einmal Orays Frau Burcu versteht. Sie macht eine Ausbildung, sie will sich einfach ein gutes Leben aufbauen.

Mehmet Akif Büyükatalay erzählt, wie er sich dem Thema genähert hat: „Die größte Frage für mich war: Will ich den Film machen, weil es von mir erwartet wird, oder weil ich etwas erzählen möchte? Mein Kompromiss war: Ich will ihn so erzählen, wie ich das möchte. Das hieß also: keinen spektakulären Film, keinen Film über Schlagzeilenthemen wie Burka oder Kopftuch oder Terror. Das waren Richtlinien, die ich mir selber gestellt habe, weil mich da viel gestört hat bei der Darstellung der muslimischen Lebenswelten. ,Oray‘ soll ein Film sein, in dem der Islam nicht als politisches System dargestellt wird, sondern als Glauben, bei dem das Gewissen im Zentrum steht.“

Nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht in Köln 2015/16 wurden junge Muslime zu einem politischen Faktor: Konkrete Probleme, aber auch viele Klischees prägen nun die Diskussionen um Asyl und Integration und gesellschaftliche Vielfalt oder „Leitkultur“. „Oray“ ist auch deswegen von so großem Interesse, weil Mehmet Akif Büyükatalay eine ausgeprägte Männerwelt zeigt, die er so weit wie möglich aus ihren eigenen Bedingungen heraus zu verstehen versucht. „Der Islam gibt die Möglichkeit, die männlichen Triebe zu lenken, ihnen aber auch einen gewissen Wert beizumessen. Die einzigen Frauen, die auftreten, sind die Mutter, die Ehefrau und die Affäre, die ein Freund im Studentenheim hat. Das sind die weiblichen Rollenbilder: Mutter, Frau und Hure. Andere Frauen gibt es da nicht. Eigentlich ist die Dynamik in solchen männerdominierten Gruppen aber überall gleich, ob das nun HipHopper oder Hooligans sind. Es wird ein Dualismus geschaffen, in dem sich die Männer zelebrieren. Ich habe versucht, diese Selbstzelebrierung der Männer zu zeigen, ohne sie bloßzustellen.“

Für den jungen Filmemacher ist „Oray“ die Abschlussarbeit an der Hochschule für Kunst und Medien in Köln. Er selbst kann als ein Beispiel für eine gelungene Integrationsgeschichte gelten. Zwar hat er einmal die Schule abgebrochen („ich fühlte mich doppelt diskriminiert: als Arbeiterkind und als Sohn einer türkischen Familie“), er nutzte dann aber einen zweiten Bildungsweg und fand dort Lehrer, die ihn in seinem künstlerischen Talent bestärkten.

Inzwischen bezeichnet er das Kino als seine Religion. „Ich schaue pro Tag ein bis zwei Filme. Jemand wie ich, der die Sprache des Landes, in dem er groß geworden ist, nachträglich gelernt hat, hinkt immer ein wenig hinten nach.“ Er meint das so, dass „Oray“ vor allem ein erster Schritt in der Erkundung der künstlerischen Möglichkeiten sei. „Kunst nur als Kunst zu machen, fällt mir noch schwer. Ich sehne mich aber auch danach. Die visuelle Sprache, das Experiment steht in meinem Film nicht so sehr im Fokus.“ Da klingt mit, dass das Thema von „Oray“ eine bestimmte Form verlangt hat. Das Stichwort lautet: „authentisch“. Diese Authentizität zeigt er nicht als Effekt, sie teilt sich vielmehr beiläufig mit. Man spürt sofort, dass man diesem Film vertrauen kann.

Die belgischen Brüder Dardenne und das rumänische Kino sind für Büyükataly inzwischen Vorbilder, zuletzt hat er Jessica Hausner und Alice Rohrwacher („Glücklich wie Lazzaro“) entdeckt. Man spürt, wie sich das Kino für ihn als Welt immer noch täglich neu öffnet. Aber wie gläubig ist Mehmet Akif Büyükatalay selbst? „Muslim ist man nicht nur, wenn man in die Moschee geht. Der Islam ist auch eine Kultur. Eine Form der Zugewandtheit zur Welt. Eine Form der Hingabe. Man kann auch seine eigenen Heiligen haben. Für mich ist Pasolini einer.“

Oray D 2018, 100 Min., R: Mehmet Akif Büyükatalay, D: Zejhun Demirov, Deniz Orta, Cem Göktas, Start: 30.5.

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