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Blockbuster

Diese Prise Menschlichkeit hinter dem Strampelanzug – Jörg Buttgereit über „Avengers: Endgame“


Weltweit warten unzählige Comicfilm-Nerds auf Erlösung, die in Form des neuen Marvel-Superheldenblockbusters ins Kino kommt

Tony Stark/Iron Man (Robert Downey Jr.), Foto: Film Frame © Marvel Studios 2019

Okay, das war schon ein mächtig düsterer und vor allem würdiger Cliffhanger, der uns da genau vor einem Jahr am Schluss des dritten Avengers-Films „Infinity War“ um die Ohren gehauen wurde. Oberschurke Thanos (Josh Brolin) war in den Besitz des mächtigen Infinity-Handschuhs gekommen, der in Verbindung mit sechs leuchtenden Infinity-Steinen über unvorstellbare Macht verfügt. Es heißt ja, dieser kantige Kerl Thanos habe sich in den Tod verliebt und versucht nun in seinem Wahn, ihr (ja, im Marvel-Comic-Universum ist der Tod ein weibliches Wesen) Herz zu gewinnen, indem er das Universum zu zerstören trachtet.

Das konnten die Superhelden der bis ­dahin 18 vorherigen Marvel-Verfilmungen natürlich nicht zulassen. Vergessen schien der Zwist, der die beiden Oberhelden mit Führungsanspruch Steve Rogers alias ­Captain America (Chris Evans) und Tony Stark alias Iron Man (Robert Downey Jr.) seit „The First Avenger: Civil War“ (2016) entzweite. Trotz aller Widerstände löschte Thanos mit einem einzigen Fingerschnippen die Hälfte aller Lebewesen im gesamten Universum aus.

Black Widow/Natasha Romanoff (Scarlett Johansson), Foto: Film Frame © Marvel Studios 2019

Liebgewonnene Helden wie der Magier Dr. Strange (Benedict Cumberbatch), das außer­irdische Pflanzenwesen Groot und Muskelberg Drax (Dave Bautista) von den „Guardians of the Galaxy“ (2014), oder auch Milchgesicht Peter Parker alias Spider-Man (Tom Holland) zerfielen vor unseren feuchten Augen zu Staub! Wie gesagt, ein mächtig beängstigender Cliffhanger. Marvel-Fans weltweit haben seitdem einen dicken Kloß im Hals und warten auf die Erlösung: „Avengers: Endgame“, die nunmehr 22. Realfilm-Comicadaption innerhalb der ehrgeizigen Spielfilmreihe „Marvel Cinematic Universe“.

Wenn sich die verbliebenen Avengers nun zu einer finalen Schlacht aufrappeln, um das Universum in 181 Filmminuten wieder herzurichten, sollen möglichst alle Handlungsstränge der letzten elf Jahre zu einem versöhnlichen Happy End zusammengezurrt werden.

Geldmaschine Superhelden

Leider muss auch ich auf diese Erlösung warten. Denn die Walt Disney Studios, die das Marvel-Imperium im Jahr 2009 für geschätzte vier Milliarden Dollar übernommen haben, werden den neuen Film erst kurz vor dem Kinostart der Presse zeigen. Das ist mittlerweile bei allen großen Hollywood-Produktionen so. Man will nichts dem Zufall überlassen. Nach dem meistgesehenen Trailer auf YouTube und Vorverkaufszahlen, die ihresgleichen suchen, steht selbst das Einspielergebnis von „Avengers: Endgame“ für das Startwochenende schon so gut wie fest. Dank einer zeitgleichen Veröffentlichung auf dem chinesischen Markt soll der Film geschätzt weltweit 840 Millionen US-Dollar einspielen.

Diese Einkünfte des wieder mal sündhaft teueren Bombastwerkes kann man sich ­natürlich nicht von irgendwelchen nörgeligen Schreiberlingen vermiesen lassen. Gemeckert wird doch immer. Denn obwohl im Spezial-Effekt-Kino des digitalen Zeitalters nichts unmöglich und alles visualisierbar ist, ­reichen längst nicht alle Realverfilmungen an die Comicvorlagen heran.

Die Superheldenfilme bebildern die emotional aufgeladenen Jugenderinnerungen mehrerer Generationen. Gerade ältere Fans, die beim Lesen der Bilderhefte einst ihre ­eigene Fantasie spielen ließen, empfinden die opulenten digitalen Bilderwelten der aktuellen Filme oft als aufgeblasen. Auch ich habe mich schon dabei ertappt, dass ich nach dem Genuss einer durchaus fulminanten Batman-Comicadaption wie „The Dark Knight“ (2008) von Christopher Nolan nach dem trivialen Charme der quietschbunten Batman-TV-Serie aus den 60er-Jahren Sehnsucht hatte. So ein Schauspieler mit Bauchansatz wie Adam West, der in langen Unterhosen behauptet, ein Superheld zu sein, hat etwas bestechend Rührendes.

Thor (Chris Hemsworth), Foto: Film Frame © Marvel Studios 2019

Diese Prise Menschlichkeit hinter dem Strampelanzug will sich bei den modernen, überfrachteten Großproduktionen meist nicht einstellen. Oft fehlt es den überteuerten ­Superheldenspektakeln auch an der unverwechselbaren Handschrift eines Regisseurs. Die Filme wirken alle wie aus einem Guss. Und das ist von Disney auch so gewollt. Immer wieder werden Regisseure wegen „künstlerischer Differenzen“ während der Dreharbeiten ausgetauscht. Schwer einzuschätzen, wie viel Einfluss die Regiebrüder Anthony und Joe Russo nun auf die endgültige Fassung von „Avengers: Endgame“ überhaupt haben. Nach mehreren Nachdrehs bestätigten die Russo-Brüder noch im Februar dieses Jahres, dass man ihre Schnittfassung bereits vier Mal einen Testpublikum vorgeführt habe. Megaproduktionen wie „Avengers: Endgame“ sind einfach „too big to fail“. Deshalb muss das Studio in jeder Hinsicht auf Nummer Sicher gehen.

Ähnlich wie ein gigantisches Einspielergebnis ist zu erwarten, dass Stan Lee – der Schöpfer aller prägenden Marvel-Figuren – trotz seines Todes im November 2018 wieder seinen obligatorischen Cameo-Auftritt absolvieren dürfte. Einen echten Superhelden kann der Tod nicht stoppen. Stan Lee erteilt auch posthum dem neuen Film des „Marvel Cinematic Universe“ seine Absolution und stimmt so ­kritische Fans milde. Denn sicher ist sicher.

Avengers: Endgame USA 2019, 181 Min., R: Anthony und Joe Russo, D: Chris Evans, Chris Hemsworth, Scarlett Johansson, Marc Ruffalo, Start: 24.4.

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