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Historiendrama

Filmdoppel: „Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d’Arc“ und „Jeanne d’Arc“

Eine Figur aus dem 15. Jahrhundert, an der sich Frankreich seit ihrem Märtyrertod abarbeitet: Für französische Filmemacher ist es geradezu obli­gat, dass sie einmal im Leben eine ­Version der Geschichte erzählen

Lise Leplat Prudhomme als 19-jährige Jeanne d’Arc, Foto: Grandfilm

In Paris steht unweit des Louvre auf der Place des Pyramides ine ­goldene Statue. Sie ver­körpert die Heilige Johanna von Orléans – Jeanne d’Arc. Eine Figur aus dem 15. Jahrhundert, an der sich Frankreich seit ihrem Märtyrertod abarbeitet: Wie passt ­dieser christliche Nationalismus, den das Mädchen aus Lothringen vertrat, in die Gegenwart? Heute reklamiert vor allem der Front National Jeanne für sich. Dagegen steht eine lange Tradition von kulturellen Aneignungen. Für französische Filmemacher ist es geradezu obli­gat, dass sie einmal im Leben eine ­Version der Geschichte erzählen. Die markantesten stammen vom strengen Robert Bresson und vom Spektakelmeister Luc Besson.

Zuletzt hat sich auch Bruno Dumont des ­Themas angenommen. Seine Heimat ist der französische Norden. Seit „L’humanité“ (1999) zählt er zu den bedeutenden Namen im ­französischen Kino. Er hat einen ausgeprägten Sinn für das Groteske, wie er zuletzt mit der großartigen Fernsehserie „Kindkind“ („P’tit Quinquin“) zeigte. Was kann jemand, von dem man eher eine künstlerische Antwort auf den kommerziellen Erfolg der ebenfalls in Nordfrankreich beheimateten Sch’tis ­erwarten würde, mit der kleinen Jeanne ­anfangen?

2017 hat Dumont zuerst mit „Jeannette – l’enfance de Jeanne d’Arc“ die Kindheit und nun mit „Jeanne“ auch die weitere Geschichte des heiligen Mädchens verfilmt. Seine Vorlage stammt von Charles ­Péguy, einem der wichtigsten französischen Intellektuellen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Péguy wird heute eher von der französischen Rechten vereinnahmt, ist aber zugleich so etwas wie ein Geheimtipp unter Cineasten. Jean-Luc Godard zählt zu seinen prominentesten Lesern, aber selbst bei ihm muss man Zweifel anmelden, ob er sich die beiden auf den ersten Blick langatmig wirken­den Dramen angetan hat, von denen ­Dumont nun ausgeht. ­Drama im mittelalterlichen Stil, in dem ­Jeanne vor allem mit einer Ordensschwester lange ­Gespräche über die Heilsgeschichte führt, bevor ihr ­steife Theologen einen merkwürdigen ­Prozess ­machen.

Dumont ist nicht gläubig. Ihn interessiert an der Sache nicht die Heiligengeschichte, sondern ihm ist wohl daran gelegen, einen nationalen Mythos gehörig gegen den Strich zu bürsten. Man könnte auch sagen: Er will den Mythos in einen Zustand der Unschuld zurückversetzen.

Jeanne ist bei ihm ein Backfisch, ein Mädchen im groben Kleid, das mit den Schafen in der Landschaft herumstreift, barfuß und immer ein Lied auf den Lippen. Sie singt vom Krieg, die Engländer sind im Land, Frankreich steht de facto unter Besatzung. Ein guter Herrscher ist nicht in Sicht.

Dieser Tief- und Klagepunkt ruft nach ­einem Umschwung, und der kommt in Form zweier Erscheinungen: zuerst die Ordensschwester ­Gervaise, und dann die Heiligen, die Jeanne auf den Weg ihrer politische ­Mission schicken.

Was Dumont als Singspiel beginnen ließ, wird zu einem Metal-Musical, bei dem die Schwester ihre Kopfbedeckung abnimmt, und dann wird ordentlich geheadbangt. Die Musik stammt von dem Clubstar Igorrr, im zweiten Teil „Jeanne“ ist es der Sänger der ­Indieband Kid Wise, der Jeanne eine ­Stimme gibt.

Laut Geschichte ist sie da schon 19 Jahre alt, wird aber von einer Zehnjährigen gespielt. Das könnte man alles als ein ironisches Manöver sehen. Aber Dumont erreicht damit tatsächlich sein Ziel: Seine Jeanne wirkt wie neu geboren, und nach den beiden Filmen könnte man auch den Rest ihrer Geschichte wieder ganz von vorn erzählen. Der ganze Interpretationswust ist wie weggeblasen. Ein Wunder.

Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d’Arc F 2017, 114 Min., R: Bruno Dumont, D: Lise Leplat Prudhomme, Jeanne Voisin, Start: 25.12. 

Jeanne d’Arc F 2019, 138 Min., R: Bruno Dumont, D: Lise Leplat Prudhomme, Start: 2.1. 

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