Interview

Regisseurin Aelrun Goette über DDR-Mode und wilde Freiheit

Die Filmemacherin Aelrun Goette war selbst Fotomodell in den letzten Tagen der DDR. Aus ihren Erinnerungen speist sich das Drehbuch zu „In einem Land, das es nicht mehr gibt“, in dem die Modeszene des Arbeiter- und Bauernstaats zu einem Ort zwischen Unterdrückung und Experiment wird. tipBerlin-Filmkritiker Bert Rebhandl hat mit Aelrun Goette gesprochen.

Die Filmemacherin Aelrun Goette bei der Premiere von „In einem Land, das es nicht mehr gibt“. Foto: Imago/C. Niehaus/Future Image

Aelrun Goette erzählt von der glamourösen DDR-Mode

tipBerlin Frau Goette, „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ erzählt von einer jungen Frau in der DDR, die es in die Modebranche verschlägt. Wie lange hatten Sie dieses autobiographisch inspirierte Projekt schon im Kopf?

Aelrun Goette Die erste Idee habe ich vor 14 Jahren gehabt, und dann lange versucht diesen Stoff zu finanzieren, was nicht einfach war, weil sich kaum einer Mode, DDR und Glamour zusammen vorstellen konnte. Einen Durchbruch hatte ich dann mit Cooky Ziesche vom RBB als federführender Redakteurin, den Produzentinnen Tanja Ziegler und Susa Kusche und unserem Lookbook, in dem man sehen konnte, wie glamourös und außergewöhnlich die DDR-Mode war. Das war der letzte Türöffner, den es gebraucht hat.

tipBerlin Sie waren selbst Fotomodell. Sie zeigen in Ihrem Film ein für die DDR ungewöhnliches Milieu.

„Es hatte eher einen Family-Charakter, daran erinnere ich mich“

Aelrun Goette Der Film enstpricht meiner Erfahrung in dieser Zeit damals. In der Regel wurden die Mannequins, die in der Sibylle waren oder die für Exquisit gelaufen sind, auf der Straße angesprochen oder im Bekanntenkreis gefunden. Die Sibylle war ja zu Ostzeiten viel mehr als eine Modezeitschrift. Annett Gröschner hat das Magazin einmal ‚eine Schule für Ästhetik‘ genannt. Viele Fotografen und Fotografinnen aus der Kunst und aus der Dokumentarfotografie haben dafür gearbeitet, dadurch ist dieses Bild entstanden, das die Sibylle verkörpert hat, und das heute eine unverwüstliche Zeitlosigkeit hat.

Die Zusammenarbeit war sehr persönlich, jeder kannte jeden, es gab viel Improvisation. Beispielsweise haben wir uns meistens selbst geschminkt und manchmal eigene Klamotten mitgebracht. Es hatte eher einen Family-Charakter, daran erinnere ich mich.

„In einem Land, das es nicht mehr gibt“ von Aelrun Goette. Foto: Tobis

tipBerlin Wieviel von Ihnen steckt in der Figur der Suzie?

„Ich hatte nach dem Fall der Mauer eine recht dicke Stasi-Akte“

Aelrun Goette Die Hauptfigur basiert auf meinem Leben, auch wenn ich politischer war, als ‚Suzie‘. Die „Schwerter zu Pflugscharen“-Episode im Film ist autobiografisch, auch ich wurde verhaftet. Ich war in der Friedensbewegung und hatte nach dem Fall der Mauer zu meiner Überraschung eine recht dicke Stasi-Akte. Ich wollte gar nicht unbedingt Mannequin werden, sondern ich wollte freiheitlich leben und eine andere Gesellschaft gestalten.

Mode war eine Nische des sinnlichen und ästhetischen Widerstands, so hab ich das empfunden. Natürlich gehöre ich auch zu denen, die nach dem Fall der Mauer geglaubt haben, es ist vielleicht eine Alternative möglich, und die dann eines Besseren belehrt wurden. Und trotzdem gehöre ich auch zu denjenigen, die sich die DDR nicht zurückwünschen. Diese Bruchstellen, in denen wir Ende der 80er Jahre gelebt haben, sind nicht untypisch für untergehende Gesellschaftsordnungen.

„Der Schablone etwas Neues hinzufügen“: Aelrun Goette über „In einem Land, das es nicht mehr gibt“

tipBerlin In den Jahren seit der Wende ist im deutschen Kino und Fernsehen ein Bild von der DDR entstanden, das oft recht stereotyp wirkt. Wollten Sie auch davon weg?

Aelrun Goette Das Bild, das wir heute von der DDR haben,  ist stark von der Schablone beeinflusst, durch die wir auf den Osten schauen. Durch sie sehen wir Spießer, Täter, Opfer oder Zeitzeugen, aber wenig freiheitsliebende und zuweilen sogar fröhliche Menschen, die sich um Unabhängigkeit bemüht haben. Ich wollte diese Schablone ein Stückweit öffnen. Der Eindruck, der heute vorherrscht, hinter jeder Laterne hätte ein Stasi-Offizier gehockt, entspricht nicht dem Alltagsgefühl, das wir früher hatten. Vielleicht ist jetzt nach mehr als 30 Jahren die Zeit reif, dass man dieser Schablone – die im Wesentlichen einen ideologischen oder politischen Blick auf den Osten zulässt – etwas Neues hinzufügt.

tipBerlin Ein Aspekt, der bisher selten auftauchte, ist Homosexualität. Sie zeigen mit einer Hauptfigur auch ein queeres Ost-Berlin.

Aelrun Goette Die Figur des aufrechten, von Schönheit beseelten Visagisten Rudi ist von Frank Schäfer inspiriert, der heute einen kleinen Frisörladen im Prenzlauer Berg betreibt. Frank ist schon zu DDR-Zeiten mit High Heels, Netzstrumpfhosen und abgeschnittenen Jeans herumgelaufen. Mir war es sehr wichtig, mich in Bezug auf das queere Ost-Berlin von einer realen Figur inspirieren zu lassen, um deutlich zu machen, dass es das damals in der DDR gegeben hat. Diese wilde Freiheit sollte man spüren, dem wollte ich cineastisch ein kleines Denkmal setzen.

tipBerlin Die Sängerin Suzie Quattro ist eine wichtige Inspiration. Fanden Sie die selbst auch toll?

Aelrun Goette Suzie Quattro war damals neu, eine starke Frau, eine Band-Leaderin und deshalb auch für mich ein Role model. In diesem Film entwerfe ich ein selbtsbewusstes Frauen- und Männerbild und eine Möglichkeit, wie man auf Augenhöhe lustvoll miteinander umgehen – und begeistert voneinander sein kann. Ich habe zu DDR-Zeiten aus Protest keine DDR-Musik gehört, und mir erst nach dem Fall der Mauer die großen ostdeutschen Songs erschlossen. Es gibt am Ende eine kleine Verneigung vor Silly und ihrem großartigen Song ‚Mont Klamott‘, das war mir ein Anliegen, der Vollständigkeit halber.

tipBerlin Interessant fand ich auch die Szenen in der Fabrik, mit Jördis Triebel in der Rolle der Gisela. Das ist eine spannende, gebrochene Identifikationsfigur.

Aelrun Goette Ich hab mich da an ein Frauenbild gehalten, das im Osten typisch war: Man muss sich vor Augen halten, dass in der DDR das Lohngefälle zwischen Männer und Frauen gering war und Ende der 1980er-Jahre 90 Prozent der Frauen berufstätig, dadurch ziemlich unabhängig und deshalb mit ordentlich Selbstbewusstsein ausgestattet waren. Gisela ist eine Frau, die die Ärmel hochkrempelt und wenn es mal zu viel wird, sich das Leben einfach vom Hals singt. Sie hatte Träume, die sich nicht erfüllt haben, aber davon lässt sie sich nicht unterkriegen.  Sie findet die Grundidee des Sozialismus gut, aber die Auswüchse albern und lächerlich. Eine Frau, die den Traum von einer besseren Welt ernst nimmt, aber eher aus einer Distanz.

tipBerlin Wie haben Sie die Wende in Erinnerung?

Aelrun Goette Aufregend, voller Erwartungen, zerrissen und wild. Keiner aus meinem Umfeld wollte mit dem SED-System weiterleben. Aber es gab viele Ideen und Visionen, einen alternativen Staat aufzubauen. Wir waren damals gnadenlos naiv, das wissen wir heute. In der Nacht des Mauerfalls kamen mir die ersten Zweifel. Ich habe damals am Ku’damm eine Szene beobachtet: Jemand aus dem Osten bat einen West-Berliner um eine Zigarette, dabei fiel die ganze Schachtel zu Boden. Der Mann aus dem Osten hob sie auf und reichte, noch kniend, dem Westmann die Zigaretten nach oben, der auf ihn herabschauet und sie dankend ablehnte. Da dachte ich: Wir haben ja überhaupt keine Augenhöhe. Das hat sich dann auch bewahrheitet.

„In einem Land, das es nicht mehr gibt“ von Aelrun Goette. Foto: Tobis

tipBerlin Wie kamen Sie zum Kino?

Aelrun Goette Meine ersten Schritte in die Richtung habe ich am Theater in Altenburg gemacht: Bühne und Kostüme. Wir haben Stücke auf die Bühne gebracht, in denen sich zBsp. die ganze Kreisparteileitung auf der Bühne selbst erschossen hat. Das war politisch alles irrsinnig aufregend. Nach dem Mauerfall war es mit dem politischen Theater schnell zu Ende. Erzählerisch habe ich da keine Zukunft gefunden. Also habe ich zunächst das Abitur nachgeholt, dann vier Semester Philosophie studiert und danach Regie in Babelsberg auf der Filmhochschule. Dort habe ich meine Leidenschaft für Dokumentarfilme entdeckt, weil mir dieses Medium tauglich schien, der Radikalität des Alltags einen Ausdruck zu geben.

Danach habe ich im Fernsehen spannende fiktionale  Stoffe umsetzen können, die sich mit Radikalität und Gewalt beschäftigt haben. Aber irgendwann steckte ich in einer Schublade, die mir mit der Zeit zu eng wurde. Ich wollte mich weiterentwickeln, großes Unterhaltungskino machen. Und weil mir das keiner angeboten hat, habe ich es mir selber geschrieben. Das Ergebnis kommt jetzt ins Kino.

tipBerlin Es ist ihr bisher aufwendigster Film. War es schwierig?

Aelrun Goette Es war wunderbar: endlich in großen Bildern erzählen zu können zusammen mit meinen tollen, künstlerischen Partnern und Partnerinnen. Ein Fest, das hoffentlich weitergeht.

tipBerlin Wollen Sie andeuten, was als nächstes kommen könnte? „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ ist ja doch eine Art Höhepunkt Ihrer bisherigen Arbeit.

Aelrun Goette Ja, der Film ist schon jetzt ein Meilenstein. Aber klar, ich arbeite bereits an einem neuen Projekt, wo mir auch wieder viel daran liegt, visuell kraftvoll und emotional zu erzählen.


In einem Land, das es nicht mehr gibt

Die Schülerin Suzie wird Ende der 1980er-Jahre in der DDR als Fotomodell entdeckt und erlebt in diesem Milieu die Piefigkeit des Sozialismus, aber auch Momente echter Freiheit. Nach eigenen Erinnerungen erzählt Aelrun Goette mit einer interessanten Perspektive vom damals anderen Deutschland.

D 2022; 120 Min.; R: Aelrun Goette; D: Marlene Burow, David Schütter, Sabin Tambrea; Kinostart: 6.10.

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