Interview

„Piaffe“-Regisseurin Ann Oren über Pferde, Farn und Ketamin

Ann Oren, Wahl-Neuköllnerin aus Israel, ist Künstlerin und Regisseurin des Films „Piaffe“: ein Kunstwerk aus Assoziationen, eine erotische, queere Initiation, eine stille Studie über psychische Zustände und Fetisch-Logiken. Oren erzählt von Eva, einer jungen Frau, die als foley artist arbeitet – sie stellt Töne her, konkret soll sie einen Werbefilm für ein Psychopharmazeutikum vertonen. In dem Spot sieht man ein Pferd „tänzeln“. „Piaffe“ heißt dieser Schritt und gibt dem Film den Namen. Mit Oren sprachen wir über Berliner Clubs, Ketamin, die Fortpflanzung von Farnen und natürlich über das Kino generell.

Ann Oren auf dem Locarno Film Festival. Über „Piaffe“ sagt sie uns: „Ich stellte mir die Körper der Menschen im Kino vor, wie sie die Veränderungen mitfühlen.“ Foto: Imago/Independent Photo Agency Int./Nick Zonna/ipa-agency.net/NickZonna

„Piaffe“: Die Pferde nehmen Bezug auf ikonische Filmbilder

tipBerlin Frau Oren, in „Piaffe“ erzählen Sie von der Verwandlung einer jungen Frau. Woher kam die Idee?

Ann Oren Ich wollte etwas über eine Geräuschemacherin erzählen (foley artist ist der englische Begriff dafür), über eine junge Frau, die einen Werbefilm vertont, in dem ein tänzelndes Pferd zu sehen ist. Sie heißt Eva, und ihr wächst ein Pferdeschweif. Das war die Kernidee. Das Pferd war das erste Tier, das mit Bewegtbildern verbunden wird. Ein laufendes Pferd ist ein ikonisches Bild in der Entwicklung des Kinos, denn der Filmpionier Eadward Muybrigde hat damit experimeniert. In der Pferdedressurwelt bezeichnet Piaffe ein Spiel der Kontrolle zwischen Tier und Mensch, ein Submissionstheater. Das sieht aus wie ein Tanz, ist aber ein Kontrollspiel. Und so habe ich mich gefragt: Wie kommt da das Begehren ins Spiel? Das alles wollte ich zusammenbringen, auch die Beziehung zwischen Mädchen und Pferden. 2020 habe ich in dem Kurzfilm „Passage“ schon mit diesen Motiven gearbeitet.

Szene aus „Piaffe“ von Ann Oren. Foto: Salzgeber
Szene aus „Piaffe“ von Ann Oren. Foto: Salzgeber

„Piaffe“ ist Ann Orens erster Kinofilm

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tipBerlin Sie waren bisher eher im Feld der visuellen Kunst daheim. Nun haben Sie einen Kinofilm gemacht. Warum dieser Wechsel?

Ann Oren Ich wollte immer eine Geschichte erzählen, die den Körper der Zuschauer aktiviert. Das schien mir in Installationen leichter. Ich musste erst eine Sprache finden, dabei half mir die Tonkunst. In „Piaffe“ wird der Ton zum wichtigen Element der Geschichte. Dabei sollte es keine vertraute chronologische Entfaltung von Ereignissen geben, wie wir es aus Spielfilmen gewohnt sind. Ich stellte mir die Körper der Menschen im Kino vor, wie sie die Veränderungen mitfühlen. Deswegen wollte ich Kino probieren.

tipBerlin Wie fanden Sie die Hauptdarstellerin?

Ann Oren Simone Bucio ist enigmatisch und hatte ein tiefes Verständnis für die Figur. Sie lebt in Mexiko City, ihr Partner lebt hier in Berlin, sie kommt also oft hierher.

„Durch Medikamente wird normiert, was es heißt, glücklich zu sein“

tipBerlin In dem Werbespot, den Eva vertont, geht es um ein Medikament.

Ann Oren Ich habe 15 Jahre in New York gelebt und stellte dort fest, dass im Fernsehen die Werbung oft viel interessanter ist als das Programm. In den USA ist es legal, für Psychopharmaka zu werben. Ich sah viele Spots für Stimmungsstabilisierer, dafür braucht man allerdings eine Verschreibung, deswegen werden am Ende immer die Pflichtpassagen heruntergerattert: Wenn Sie dieses Medikament probieren wollen, fragen Sie ihren Arzt und informieren Sie sich über Nebenwirkungen. Durch diese Medikamente wird normiert, was es heißt, glücklich zu sein.

Ann Oren In der Werbung, die Eva vertont, geht es um ein solches Mittel. Ich habe einige Geräuschemacher interviewt und dabei mehrfach gehört, dass manchmal eine Krise folgen kann, wenn man so lange in einem schalldichten Studio arbeitet. Bild und Ton müssen erst wieder zusammenfinden, wenn man dann hinausgeht. Künstlerinnen, die viele Stunden allein an etwas arbeiten, fallen ein bisschen aus der Wirklichkeit hinaus, und müssen danach erst wieder eine Verbindung schaffen.

Simone Bucio spielt die Hauptrolle in „Piaffe“. Foto: Salzgeber
Simone Bucio spielt die Hauptrolle in „Piaffe“. Foto: Salzgeber

tipBerlin Da haben Sie etwas mit Ihrer Filmfigur Eva gemeinsam?

Ann Oren Ja. Man entwickelt eine seltsame Beziehung zum Material, man überlässt sich komplett dieser Situation, wenn man intensiv an etwas arbeitet.

tipBerlin Spielen Sie mit dem Pferdemedikament auch auf Ketamin an? Das ist ja eine Art Modedroge in gewissen Kreisen.

Ann Oren Absolut. Ketamin wird derzeit als Antidepressivum erforscht, das ist noch in einer frühen Phase, hat aber Potential. Menschen, die ein wenig Schwierigkeiten im Leben haben, aber keineswegs pathologische Symptome, die springen auf Ketamin an. Emotionen werden abgeflacht. Menschen, die das suchen, wollen Gefühle nicht zu stark werden lassen.

tipBerlin Eva trifft einen Mann, der sie bald mit einem erotischen Ritual sehr persönlich berührt.

Ann Oren Sie trifft einen Fremden und entwickelt ein wenig Selbstbewusstsein, nachdem ihr Körper sich verändert. Sie hofiert ihn ein wenig und lädt ihn zu einem Spiel mit Submission ein. Ich habe mich gefragt: Welche Figur wäre für jemand wie Eva interessant? Der Mann, ein Botaniker, studiert Farn und versucht Pflanzen zu kontrollieren. Farn tauchte auf, weil ich eine Pflanze suchte, deren äußere Form einer bestimmten Pose der Pferde entspricht: der gebeugte Hals des Pferdes ist emblematisch für dieses Unterwerfungsspiel. Farn ist als Pflanze ein selbstbefruchtender Hermaphrodit, eine prähistorische Pflanze. Das passt dazu, dass Eva ein neues Organ wächst.

Berlin und Beelitz sind wichtige Drehorte

tipBerlin Wo haben Sie gedreht?

Ann Oren Das Fotoplastikon, dieses Guckkastenmedium, in dem Eva arbeitet, ist in Warschau, in Berlin gibt es auch eines, es heißt Kaiserpanorama, und hat ein starkes filmisches Potential. Das Pferd haben wir in Beelitz gedreht, auch einiges in Cottbus, und der Rest in Berlin.

tipBerlin Eva geht immer wieder tanzen. Wie finden Sie das Berliner Nachtleben?

Ann Oren Ich liebe Clubbing. Ich mache es nicht super oft, aber es ist sehr wichtig für mich. Ich möchte von Zeit zu Zeit ein bisschen in einen Trance verfallen. 2015 kam ich nach Berlin, und ich weiß noch, als ich das erste Mal ins Berghain kam, dachte ich mir: Warum gibt es keinen Film, der das hier zeigt? Es fehlt immer etwas Raues. Als ich das Drehbuch schrieb, dachte ich immer schon an Techno, an dieses Repetitive. Diese Musik kontrolliert meine Stimmungen mehr als jede andere.

„Piaffe“: Schon der Titel des Films von Ann Oren stammt aus der klassischen Reitkunst. Foto: Salzgeber
„Piaffe“: Schon der Titel des Films von Ann Oren stammt aus der klassischen Reitkunst. Foto: Salzgeber

Es gibt auch eine interessante Parallele zu dem Fußspiel der Pferde in der Dressur. Das Pferd verharrt an einem Ort, ist aber in beständiger Erregung, tritt von einem Fuß auf den anderen, sehr ähnlich wie die tanzenden Clubber. Viele meiner Ideen gehen von formalen Ähnlichkeiten aus. Wenn man auf Techno tanzt, wird das fast wie ein Herzschlag. Für Eva ist der Club ein Ort, an dem sie ihren Körper kennenlernen und studieren kann. Eine Zuflucht, an der sie sich auch verändert.

tipBerlin Sie sind Schritt für Schritt dem Kino nähergekommen.

Ann Oren Ich war mir zuerst nicht sicher, ob ich Geschichten erzählen wollte. In Berlin hatte ich anfangs eine Residency im Kunsthaus Bethanien. In diesem Zusammenhang machte ich einen Performancefilm in Japan: „The World is Mine“. Die Postproduktion fand hier statt. Ich bin selbst in diesem Film zu sehen. Der NBK hat ihn für die Videosammlung gekauft. Für mich war das noch ein Kunstwerk, kein Kinofilm. Es geht um eine Cyberdiva in Japan, keine Figur, sondern eine Synthesizer-Software. Die Fans können damit selbst eine Diva machen. Mich haben die Fans interessiert, zum Teil in meinem Alter. Ich zog mich an wie beim Cosplay, ging zu Fanevents, und schließlich wurde daraus ein Film.

tipBerlin Wie erleben Sie Berlin?

Ann Oren In der Coronazeit war ich viel daheim, das war gut für „Piaffe“, vielleicht hätte ich den Film sonst gar nicht auf den Weg bekommen. Die Stadt ist sehr groß, ich kenne Leute aus dem kreativen Feld, diese Community ist sehr divers, und sehr offen. Man wird willkommen geheißen. Die Stadt ist vergleichsweise langsam, das tut gut, so hat man mehr Raum für schöpferisches Arbeiten. In New York sind alle so ausgestresst, man hat nie Zeit. Die Leute sind keine Leute mehr. Hier kann man in einem Café sitzen und sich mit jemand Unbekannten unterhalten, ohne dass sich gleich etwas daraus ergeben muss. Und die Leute in Berlin haben viel für Pflanzen übrig.


Ann Oren wurde 1979 in Tel Aviv geboren. Sie studierte Film und Bildende Kunst in New York. 2016 kam sie nach Berlin. Sie wohnt in Neukölln.

Piaffe D 2022; 86 Min.; R: Ann Oren; D: Simone Bucio, Sebastian Rudolph, Simon(e) Jaikiriuma Paetau; Kinostart: 4.5.


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