Interview

„Orphea in Love“: Axel Ranisch liebt die Oper – und Berlin

Axel Ranisch inszeniert seit Jahren an verschiedenen Opernhäusern, gerade zum ersten Mal in Berlin, und jetzt läuft sein neuer Film „Orphea in Love” an. Der Ur-Lichtenberger hat sich aber schon lange, bevor er Low-Budget-Filme im markanten Mumblecore-Stil gemacht hat, für Opern und klassische Musik begeistert. Im Opernfilm „Orphea in Love“ vereint er gekonnt die beiden Genres, indem er mit einem Ensemble aus Sänger:innen, Tänzer:innen und Schauspieler:innen (Ranisch-All Star Heiko Pinkowski ist natürlich auch wieder dabei) die Orpheus-Sage in umgekehrter Geschlechterbesetzung auf die Leinwand bringt. Was „Orphea in Love“, abgesehen von dem quasi neuartigen Genre, von Axel Ranischs bisherigen Werken wie „Dicke Mädchen” oder „Ich fühl mich Disco” unterscheidet? Er spielt nicht in der Lichtenberger Platte. Getroffen haben wir den Regisseur aber trotzdem ebendort. 

Regisseur Axel Ranisch über seine Heimatstadt: „Ich liebe Berlin so sehr“. Foto: Dennis Pauls

Axel Ranisch will mit „Orphea in Love“ Publikum ins Kino holen, das mit Oper nicht so viel am Hut hat

tipBerlin Du drehst abwechselnd Filme und inszenierst Opern: War ein Opernfilm wie „Orphea in Love“ da nicht schon längst überfällig? 

Axel Ranisch Unbedingt! Ich habe immer davon geträumt, Kino und Oper zusammenzubringen. In vielen meiner Operninszenierungen hab ich bereits mit filmischen Elementen gearbeitet, die relativ aufwendig vorproduziert wurden. Nun war es an der Zeit, die Oper auch auf die Leinwand zu bringen. Und zwar so richtig. Als Verneigung vor meiner großen Liebe, dem Musiktheater. Es ist ja etwas ganz anderes, einen Musikfilm fürs Kino zu inszenieren, als in einem Spielfilm einfach mal eine Opernarie einzusetzen. Das, was die Oper kann, versucht dieser Film zu atmen. Auch mit der Idee, Publikum für Musik zu begeistern, das mit der Oper noch nicht so viel am Hut hat.

Ich will nicht behaupten, dass wir ein neues Genre erfunden haben, aber ich kenne zumindest keinen Film, der in seinem lustvollen Spiel zwischen Musik, Schauspiel, Tanz, Mythologie, Komödie und Tragödie unserem ähnelt.

In „Orphea in Love“ geht es wie in der Orpheus-Sage in die Unterwelt: die bewachen Ursina Lardi und Heiko Pinkowski. Foto: missingFILMS

tipBerlin Es war also nicht so sehr die Geschichte, sondern mehr die Musik, die ausschlaggebend für die Wahl des Orpheus-Stoffes war? 

Axel Ranisch Die erste jemals komponierte Oper handelte von Orpheus und Eurydike. Es ist die Geschichte eines Sängers, der so wunderschön singt, dass alle um ihn herum verzaubert sind. Er kämpft für seine Eurydike, die er letzten Endes aber doch verliert. Mit diesem Mythos haben wir gespielt, ihn variiert und an unsere Zeit angepasst.

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Axel Ranisch im Interview: „Dieser Film ist visueller als alle Filme, die ich bisher gedreht habe“

tipBerlin Was ist dabei anders, als einen normalen Spielfilm oder eine Oper zu inszenieren, was muss man da beachten? 

Axel Ranisch Das Credo meines Professors Rosa von Praunheim war immer: Dreht Filme über Dinge, von denen ihr Ahnung habt. Deswegen spielen fast alle meine Filme im Ostberliner Plattenbau. In der Vorbereitung zu „Orphea in Love“ sagte mein Kameramann Dennis Pauls aber, dass wir der beeindruckenden Musik auch visuell gerecht werden müssen. Daher ist er frühzeitig losgezogen, um an der Ostsee und in Bayern Motive zu finden, die der Musik eine Bildgewalt entgegensetzt, die sie trägt und gleichermaßen bricht. Dieser Film ist visueller als alle Filme, die ich bisher gedreht habe.

Die Musik wurde größtenteils vor dem Dreh aufgenommen. Sänger, Tänzer und Schauspieler haben dann mit der Musik arbeiten können. In gemeinsamen Workshops haben wir dann uns und unsere unterschiedlichen Werkzeugkästen kennengelernt. Das war ja das spannendste an „Orphea in Love“, dass darstellende Künstler aus ganz unterschiedlichen Sparten die Möglichkeit hatten, ihre Stärken einzubringen und zu vermengen.

In seinem neuen Film tauscht Regisseur Axel Ranisch die Geschlechterrollen: Orpheus wird zu Nele (Mirjam Mesak), Eurydike zu Kolya (Guido Badalamenti). Foto: missingFILMS

tipBerlin Das war also schon relativ viel Improvisation? 

Axel Ranisch Wir halten uns immer die Option frei, auf den Wellen des Momentes zu reiten und wann immer sich die Möglichkeit bietet, auch improvisieren zu können. Mein Kameramann und ich teilen unsere Szenen immer in Rezitative und Arien ein: In Rezitativen darf improvisiert werden, Dennis nimmt die Kamera auf die Schulter und muss mitreagieren, mitspielen, den nächsten Impuls antizipieren. Es wird auch nicht geprobt vorher. Der erste Take ist heilig. Denn schon bei der ersten Wiederholung ist der Impuls nicht mehr authentisch. Und dann gibt es Arien, da darf er das Bild gestalten, da darf Licht gesetzt und eine Marke geklebt werden, da geht es um Sinnlichkeit und visuelle Ästhetik. Bei diesem Dreh hatten wir im wahrsten Sinne des Wortes viele Arien zu gestalten.

Axel Ranisch: „Ich erhole mich in der Oper für den Film und umgekehrt“

tipBerlin Wenn du nur noch eins machen dürftest: lieber Film oder Oper? 

Axel Ranisch Ich mache immer das am liebsten, was ich gerade mache. Wenn jemand die Pistole auf mich richten würde, dann würde ich mich vielleicht doch für den Film entscheiden, einfach weil ich mir die Geschichten selbst ausdenken kann. Aber ich liebe die Oper so sehr und habe so viel Freude daran, zu inszenieren, denn hier darf ich viel abstrakter sein und fantastischer. Und davon profitieren dann wiederum meine Filme. Ich erhole mich in der Oper für den Film und umgekehrt. Im Zuge der Corona-Pandemie habe ich auch gemerkt, dass es gut ist, nicht nur auf einem Standbein zu stehen, weil selbst die sichere Oper, die ja immer auf Jahre hinaus plant, plötzlich brachlag.

Darf in einem Ranisch-Film nicht fehlen: Heiko Pinkowski als diabolischer Talentmanager Höllbach in „Orphea in Love“. Foto: missingFILMs

tipBerlin Wie bist du denn als Kind von Leistungssportlern an die klassische Musik gekommen? 

Axel Ranisch Meine Eltern hatten nicht so viel mit klassischer Musik zu tun. Sie waren in ihrer Jugend Leistungssportler. Mein Papa liebte Heintje und Vicky Leandros und Mama ABBA und Elvis. Die Klassik und die Oper habe ich ganz früh für mich selbst entdeckt.

Beethoven und Tschaikowski haben Ranisch als Kind „völlig geflasht“

tipBerlin Wenn das nicht aus dem Elternhaus kam, woher dann? War das intrinsisch? 

Axel Ranisch Nein, nicht ganz. Ich habe in meiner Kindheit viel Zeit bei meinen Großeltern verbracht, meine Oma hat den Walzer geliebt und es lief oft Johann Strauss. Mein Erweckungserlebnis war eigentlich, als mein Vater 1990 mit der ersten Hi-Fi-Anlage, die er bei einer Wettkampfreise in die Tschechoslowakei gekauft hatte, mit 20 Doppel-CDs klassischer Musik wiederkam. Die habe ich mir dann geschnappt, ich war ungefähr sechs Jahre alt, und war dann von Tschaikowski und Beethoven völlig geflasht. Ich bin da richtig drin aufgegangen und diese Musik hat mich immer glücklich gemacht.

Prägend daran waren für mich auch die Biografien der Komponisten. Meine Mutter wollte immer, dass ich Karl May lese, ich aber bin völlig in der Biografie von Prokofjew aufgegangen. Als ich dann Taschengeld bekam und spätestens, als das Kulturkaufhaus an der Friedrichstraße mit dieser gigantischen Klassikabteilung aufgemacht hat, habe ich jeden Samstag dort verbracht und den ganzen Tag CDs gehört. Eigentlich ist jeder wichtige Moment in meinem Leben irgendwie mit klassischer Musik verbunden und entsprechend gibt es diesen Soundtrack meines Lebens, der für bestimmte Stationen in meinem Leben steht. Tatsächlich konnte ich mit Film erstmal nicht so viel anfangen als Jugendlicher, ich bin lieber in die Oper gegangen.

In „Orphea in Love“ stehen Ensemblemitglieder der Bayerischen Staatsoper vor der Kamera. Foto: missingFILMS

tipBerlin Aber dafür bist du relativ früh zum Film gekommen. 

Axel Ranisch Ich habe versehentlich meinen ersten Kurzfilm gemacht, weil ich einen Theaterworkshop in Brandenburg besuchen wollte. Der Kurs war dann aber überbucht, ich wollte mich nicht streiten und beim Video-Workshop war noch was frei. Film fand ich bis dahin eigentlich doof. Kino hatte für mich immer mit Action und Superhelden zu tun. Aber das war nie meins, und deswegen war Film nicht so interessant für mich. Ich habe halt die falschen Filme gesehen als Teenie. Aber als ich dann meinen ersten eigenen Kurzfilm gedreht habe, war es dann plötzlich so: Oh! Das ist ja wie Oper! Alle Gewerke zusammen, das ist ja voll meins, und so bin ich zum Film gekommen.

tipBerlin Für dein Schaffen ist deine Heimat Berlin-Lichtenberg sehr prägend? 

Axel Ranisch Ja, es gibt zwei Möglichkeiten: Man kann aus Lichtenberg abhauen oder hier bleiben und stolz drauf sein. Ich habe mich für letzteres entschieden. Wir sitzen ja auch gerade in der Wohnung, in der ich aufgewachsen bin, ich lebe hier eigentlich schon mein ganzes Leben lang. Ich bin zwischendurch ein paar Jahre im Friedrichshain gewesen, das war mir aber zu hip und ich habe Heimweh bekommen. An unserem Neubau (wir Ossis sagen ja eigentlich Neubau und nicht Platte) mag ich die Idee, dass so viele unterschiedliche Menschen im gleichen Haus leben, mit unterschiedlichen Berufen, unterschiedlichem Einkommen, unterschiedlichen Kulturen und Interessen. Und trotzdem sind wir Nachbarn. Das ist irgendwie ein urschöner Gedanke, der mich einfach beseelt. Wo immer ich Plattenbauten sehe, fühle ich mich erstmal zuhause.

Axel Ranisch: „Ich liebe Berlin so sehr“

tipBerlin Aus Berlin willst du also nicht weg und aus Lichtenberg wahrscheinlich erst recht nicht? 

Axel Ranisch Ich bin so viel unterwegs – ich darf ja meistens woanders arbeiten als zuhause – und deswegen bin ich so froh, wenn ich wieder nach Hause kommen kann. Ich liebe Berlin so sehr und ich liebe diese Stadt auch im November und im Februar. Im Mai kann man sie sehr leicht lieben, das ist überhaupt kein Problem, denn der Mai ist der tollste Monat in Berlin überhaupt, wenn es warm wird und alle plötzlich in T-Shirts rausrennen, obwohl es noch zu kalt ist.

Lichtenberg ist wunderschön und auch richtig grün. In meiner Schulzeit hatten wir hier und da Probleme mit Neonazis, aber das hat sich gegeben. Inzwischen ist Lichtenberg ein richtig familienfreundlicher Bezirk geworden. Ich liebe meinen Kiez und finde ihn wahnsinnig lebenswert. Von daher: ja, ich will hier definitiv nicht weg.

tipBerlin Der Kiez ist also sehr viel Inspiration für deine ganze Arbeit? 

Axel Ranisch Absolut.

tipBerlin In „Orphea in Love” ist es dann aber trotzdem München geworden? 

Axel Ranisch Es war von vornherein klar, dass es eine Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsoper in München wird, weil deren Intendant Serge Dorny ja maßgeblich zur Idee des Films beigetragen hatte. Und es ist natürlich gewaltig, dass wir mit dem Bayerischen Staatsorchester zusammenarbeiten und diese fantastischen Aufnahmen machen konnten. Das war ein großes Geschenk. Außerdem sind wir von der Bayerischen Filmförderung unterstützt worden, genauso wie von der Filmförderung aus Mecklenburg-Vorpommern. Nur aus Berlin gab’s leider keine Kohle. Deshalb kommt Berlin in diesem Film auch nicht vor. Aber in meiner neuen Serie „Nackt über Berlin“, da spielt wieder vieles hier im Kiez in Lichtenberg.

Orphea in Love D 2022; 107 Min.; R: Axel Ranisch; D: Mirjam Mesak, Guido Badalamenti, Ursula Werner; Kinostart: 1.6.


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  • Komische Oper Behrenstr. 55-57, Mitte, Saul, Di 1.6., 19.30 Uhr, So 4.6., Sa 10.6., jeweils 18 Uhr
  • Berliner Ensemble Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte, Mutti, was machst Du da?, Premiere Fr 1.12.
  • Komische Oper Behrenstr. 55-57, Mitte, Messeschlager Gisela, Premiere Sa 8.6.2024, 20 Uhr

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