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„Babygirl“ mit Nicole Kidman: Mehr weiblichen Orgasmus wagen

Im provokanten Erotik-Thriller „Babygirl“ erkunden Hollywood-Ikone Nicole Kidman und „Triangle of Sadness“-Star Harris Dickinson dunkle Fantasien um Sex und Unterwerfung. Die niederländische Regisseurin Halina Reijn erzählt mit dieser Hochglanz-Produktion von Macht und Kontrollverlust. tipBerlin-Kritikerin Paula Schöber findet, hier wird kinky SM-Sex nicht Mainstream-tauglich, sondern realistisch dargestellt. Und Nicole Kidman spielt überragend.

Im SM-Thriller „Babygirl“ trinkt Romy (Nicole Kidman) für den viel jüngeren Praktikanten Samuel auch mal ein Glas Milch auf ex, wenn er es von ihr verlangt. Foto: Constantin/Niko Tavernise

Regisseurin Halina Reijn wollte mit „Babygirl“ einen Film über die „orgasm gap“ machen

Nach außen lebt Romy das perfekte Leben: Sie ist CEO eines großen Logistik-Unternehmens, ihr Mann ist erfolgreicher Broadway-Regisseur, die beiden Teenager-Töchter sind selbstbewusste junge Frauen. Hier und da wird ein bisschen gebotoxt, damit die 57-jährige Powerfrau in ihren femininen Business-Outfits immer glänzend aussieht, genauso wie ihr riesiges, lichtdurchflutetes Haus, das direkt aus dem „Architectural Digest“ stammen könnte.

Aber hinter dieser perfekten Fassade tun sich für Romy tiefe Abgründe auf. Gleich in der ersten Szene rennt sie nach dem Sex mit ihrem langjährigen Ehemann Jacob ins Arbeitszimmer, um sich zu unterwürfigem „Spank me, daddy“-Porno zum Orgasmus zu masturbieren. Nicole Kidman spielt in „Babygirl“ eine Frau, die alles hat – außer ein erfülltes Sexleben. Die niederländische Regisseurin Halina Reijn wollte mit ihrem dritten Spielfilm in erster Linie einen Film über die „orgasm gap“ machen, also die Tatsache, dass Frauen in heterosexuellen Beziehungen durchschnittlich 30 Prozent weniger Orgasmen erleben als Männer. (Saralisa Volm schreibt in ihrem Buch „Das ewige Ungenügend“ darüber.) „Babygirl“ ist vor allem ein kühler, provokanter Erotik-Thriller geworden, der von Macht und Kontrollverlust erzählt, von Angst und Scham.

Als Romy zum ersten Mal auf Samuel (Harris Dickinson) trifft, pfeift der gerade einen aggressiven Hund auf der Straße zurück. Foto: Constantin/Niko Tavernise

Romy, Mitte fünfzig, ist schon bei der ersten Begegnung mit Samuel, Mitte zwanzig, elektrisiert. Ein bedrohlicher Hund rennt auf der Straße auf Romy zu, ist kurz davor, sie anzugreifen, da pfeift Samuel ihn zurück, schafft es problemlos, den fremden Hund zu beruhigen. Romy weiß es da noch nicht, aber unterbewusst spürt sie, dass sie sich am liebsten genauso von dem jungen Mann befehligen lassen würde wie dieser metaphorische Hund. Praktischerweise fängt Samuel gleichzeitig als Praktikant in Romys Firma an.

In die inneren Abgründe hineinhorchen, sich der Begierde hingeben

Von Anfang an ist zwischen beiden eine Spannung, die sich immer weiter auflädt. Samuel will, dass Romy seine Mentorin wird, sie sagt, dass sie das lieber nicht will, es soll professionell bleiben, er setzt seinen Wunsch trotzdem durch. Mit dieser Formel tasten sich beide langsam immer weiter voran in ihrer SM-Beziehung: Der dominante Praktikant mit dem immerzu nonchalanten, beinahe gelangweilten Gesichtsausdruck gibt der submissiven, verunsicherten, aber neugierigen Chefin Befehle. Auf die Knie gehen soll Romy, auf allen Vieren kriechen wie ein Hund, zu seinen Füßen Milch aus einem Napf schlecken. Sie wehrt zunächst immer ab, ist empört über die Erniedrigung, die Samuel von ihr verlangt, hat Angst, gesellschaftliche Normen zu brechen. Ihren Kink konnte sie bisher nie ausleben, hat die dunklen Fantasien, die Begierde, die so sehr von der gesellschaftlichen Norm abweicht, immer verdrängt und unterdrückt. Mit Samuel traut sie sich nun zum ersten Mal, in ihre inneren Abgründe hineinzuhorchen, sich der Begierde hinzugeben, sich fallen zu lassen.

Überzeugend an „Babygirl“ ist, dass kinky SM-Sex hier nicht in mundgerechte Häppchen verpackt und mainstreamtauglich à la „50 Shades of Grey“ serviert wird, sondern dass Halina Reijn vergleichsweise realistisch schildert, wie zwei mehr oder weniger erfahrene Menschen sich an eine tabuisierte Beziehung herantasten. Und das ganz unromantisch. Manche Szenen sind vor Cringe kaum auszuhalten, weil niemand, nicht Romy, nicht Samuel und auch nicht das Publikum weiß, wie es sich in so einer Situation zu verhalten gilt, was der nächste Move ist, wer hier was zu sagen und zu tun hat.

Mit dem jüngeren Samuel (Harris Dickinson) kann Romy (Nicole Kidman) endlich ihre kinky Sexfantasien ausleben. Foto: Constantin/Niko Tavernise

Dass diese Szenen so gut funktionieren, liegt zu einem großen Teil an dem überragenden Spiel von Hollywood-Star Nicole Kidman. Trotz Botox legt sie all ihre schauspielerische Kraft in die Mimik, ihr Gesicht zuckt förmlich vor innerer Zerrissenheit. Dafür gab es eine Golden Globe-Nominierung als beste Darstellerin; die Coppa Volpi hat sie für „Babygirl“ bereits in Venedig bekommen. Harris Dickinson geht neben dieser glänzenden Performance von Kidman ein bisschen unter – was auch einer nicht ganz ausgereiften Rollenentwicklung im Drehbuch geschuldet ist –, überzeugt aber trotzdem mit einem soliden Schauspiel. Nach gefeierten Auftritten in „Beach Rats“ und „Triangle of Sadness“ wird diese Hauptrolle den jungen Briten ohne Zweifel ganz nach oben katapultieren. Und Antonio Banderas ist die perfekte Besetzung für den liebevollen Ehemann, der Romys sexuelle Bedürfnisse einfach nicht versteht und sich auch nicht allzu viel Mühe dabei gibt.

„Babygirl“ ist ein Hochglanz-Hollywood-Streifen

Die Story der erfolgreichen Businessfrau, die sich auf eine riskante SM-Affäre mit einem jüngeren Praktikanten einlässt, erinnert sehr an Reijns Regiedebüt „Instinct“. In der niederländischen Indie-Produktion spielte Carice van Houten eine selbstbewusste Gefängnispsychologin, die sich von einem verurteilten Vergewaltiger angezogen fühlt und dabei immer mehr Grenzen überschreitet. „Babygirl“ liest sich nun wie die Hochglanz-Weiterentwicklung dieses Stoffes, den Reijn für Hollywood angepasst und entschärft hat. Diese Amerikanisierung eines eigentlich sehr starken Filmstoffs äußert sich unter anderem in dem forcierten Happy End, das Halina Reijn „Babygirl“ verpasst, und das dem ganzen Exkurs in menschliche, sexuelle Abgründe die Sprengkraft und die Glaubwürdigkeit nimmt.

Auch wenn „Babygirl“ besser auf diese Auflösung verzichtet hätte, zeigt Halina Reijn, wie scham- und tabubelastet das Thema Sexualität in unserer Gesellschaft immer noch ist. Und findet obendrein mit Nicole Kidman eine starke Advokatin im Unterfangen, die „orgasm gap“ zu schließen.

  • Babygirl USA 2024; 114 Min.; R: Halina Reijn; D: Nicole Kidman, Harris Dickinson, Antonio Banderas

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