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Filmkritik

„Benedetta“: Paul Verhoeven spottet mit nackten Nonnen über die Kirche

Benedetta ist eine Nonne im 17. Jahrhundert, die so mystisch mit Jesus kommuniziert, dass ihre Hände zu bluten beginnen. Vielleicht aber auch von einer Glasscherbe. Paul Verhoeven ergeht sich in seinem neuen Film „Benedetta“ lustvoll in Kirchenkritik und schwelgt in einem Erotikthriller, dessen progressive Ironie schon ein wenig unzeitgemäß wirkt. Die tipBerlin-Filmkritik von Bert Rebhandl.

„Benedetta“ von Paul Verhoeven. Bild: Koch Films

Körper als Feind: „Benedetta“ verdammt kirchliche Sexualmoral

Dass Religion etwas mit Sexualität zu tun hat, das fiel nicht erst Sigmund Freud auf. Von alters her haben die Menschen sich die göttlichen Wesen als freizügig vorgestellt, ständig auf der Suche nach neuen Abenteuern. Manche Gottheiten waren vielleicht strenger, die meisten aber wurden als Quellen der Lust gesehen. Die spätere Religionskritik fand in den hedonistischen Himmelswesen ein zentrales Motiv für ihre aufklärerischen Überlegungen: Wenn die Götter so menschlich sind, dass sie sich immer wieder als geradezu triebgesteuert zeigen, dann ist vielleicht das ganze Getöse um das Religiöse nichts anderes als eine heimliche Erotik?

Für Paul Verhoeven sind diese Angelegenheiten ein Lebensthema geworden. Er wurde 1973 mit dem Film „Türkische Früchte“ bekannt, einem wichtigen Zeugnis aus den liberalen Niederlanden. Später ging er nach Hollywood, er drehte mit „Basic Instinct“ den wahrscheinlich berühmtesten Erotikthriller, vor ein paar Jahren brachte er mit „Elle“ ein spätes Meisterwerk über Sexualität und Zivilisation heraus. In all den Jahren wollte er immer einen Film über den seiner Meinung nach wahren Jesus machen, er hatte dazu als Hobbyhistoriker ausführlich geforscht, und wir können davon ausgehen, dass er keinen leibfeindlichen Propheten zeigen würde. Der Jesus-Film kam nie zustande, immerhin aber gibt es ein Jesus-Buch von Paul Verhoeven. Und nun erzählt er stattdessen von einer Nonne namens „Benedetta“.

„Benedetta“: Laszive Nonnen und geile Mönche als Topos

Diese Geschichte aus dem 17. Jahrhundert, die auf historischen Dokumenten beruht, ist auch wieder eine Art Erotik-Thriller, in mancherlei Hinsicht streift Verhoeven sogar an ein genuines Schundkino an, in dem laszive Nonnen genauso ein geläufiger Topos sind wie geile Mönche. „Schändliche Leidenschaften“, so heißt es in dem deutschen Titel des Buches von Judith Cora Brown, das Verhoeven als Ausgangsmaterial nahm. Benedetta ist eine junge Frau, die im toskanischen Pescia in ein Kloster eintritt. In Italien wütet in diesen Jahren die Pest, entsprechend nervös sind alle, aber hinter den Mauern eines Frauenkonvents konnte man sich einigermaßen sicher fühlen.

Die Pest ist aber nur ein Symptom einer allgemeineren Verdorbenheit, die eine machtbewusste Kirche überall findet: Menschen sind körperliche Wesen, damit sind sie sowieso schon sündig. Dass ihr Körper ihr ärgster Feind ist, soll auch Benedetta glauben. Sie macht allerdings von Beginn an im Kloster sehr physische Erfahrungen, zum Beispiel in einer komischen Szene, in der es so aussieht, als würde sie mit einer Marienstatue kopulieren.

Benedetta hat eine rege religiöse Fantasie, sie träumt von den Brüsten Marias, und wäre am liebsten mit Jesus intim. Die entsprechende Vorstellung zeigte sich damals in blutigen Wunden an den Händen: Sex mit Jesus hieß, die selben Wunden zu haben, die er am Kreuz erlitt. Mit dem Phänomen der Stigmata hatte die Kirche immer schon ihre liebe Not, denn diese Psychosomatik war den meisten Dogmatikern natürlich zu körperlich.

„Benedetta“ von Paul Verhoeven. Bild: Koch Films

Unter dem Einfluss einer anderen jungen Nonne namens Bartolomea steigert Benedetta sich immer stärker in eine mystische Kommunion mit Jesus, Maria und bald auch Bartolomea hinein. Die entsprechenden lesbischen Szenen erinnerten viele an „Showgirls“, einen der umstrittensten Filme von Verhoeven, der von Fans als progressives Manifest einer offensiven, auch exhibitionistischen weiblichen Sexualität gesehen wird. Für einen progressiven Mann wie Verhoeven ist das natürlich eine günstige Konstellation: starke Stripperinnen oder ekstatische Nonnen passen sowohl zu heterosexueller Blicklust wie zu feministischen Autonomievorstellungen.

Wie schon in „Basic Instinct“, wo Sharon Stone für einen Sekundenbruchteil dem Mainstreamkino einen Blick in das Lustorgan der Frau gewährte (für echte Pornographie war die Szene zu kurz), gibt es auch in „Benedetta“ einen Moment, der sich jetzt schon in der Rezeption verselbstständigt hat: Verhoeven macht sich Gedanken, was im 17. Jahrhundert als Dildo dienlich hätte sein können, und kommt auf eine ebenso skandalöse wie naheliegende Lösung.

Dekadenter Prunk und hysterische Apokalyptik

Im Übrigen ist „Benedetta“ ein (nicht nur der erotischen Szenen wegen) visuell attraktiver Film über ein spätmittelalterliches oder frühmodernes Italien, das Verhoeven mit Lust am dekadenten Prunk und an hysterischer Apokalyptik in Szene setzt. Neben seiner Mission als Aufklärer und Bekämpfer aller Sublimierungen ist er eben auch ein versierter Genrekünstler des Kinos, der aus jedem Stoff das energetische Maximum herausholt.

Die Hauptdarstellerin Virginie Efira ist eine Entdeckung, in „Elle“ war sie in der Nebenrolle der Rebecca auch schon dabei, in Frankreich ist sie schon lange ein Star, international aber dürfte „Benedetta“ ihren Durchbruch bedeuten. Charlotte Rampling und Lambert Wilson verkörpern gut das alte Establishment einer Kirche, die Frauen notfalls auf dem Scheiterhaufen von ihren gefährlichen Vorstellungen erlöste.

„Benedetta“ führt eine Auseinandersetzung, die im wesentlichen natürlich gewonnen ist: einen Jesus-Fetisch oder Erlöser-Kink, wie man das heute nennen würde, findet man zwar weiterhin vielfach, aber das ist meist nur Spiel mit Bildern, bei denen es einst um alles ging. Paul Verhoeven versucht, den alten Ernst noch einmal zu beschwören, er tut dies aber mit der gelassenen Ironie eines alten Tabubrechers, der Skandalkino in einer Zeit macht, in der mit Kirchenthemen kein Skandal mehr zu machen ist.

F 2021; 131 Min.; R: Paul Verhoeven; D: Virginie Efira, Daphné Patakia, Charlotte Rampling, Lambert Wilson; Kinostart: 2.12.


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