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„Bird“: Barry Keoghan und Franz Rogowski spielen schräge Vögel

Mit ihrem fünften Spielfilm „Bird“ begibt sich die englische Regisseurin Andrea Arnold auf bekanntes Terrain: Nach „Fish Tank“ und „American Honey“ erzählt sie nun wieder eine Coming-of-Age-Story in der Sozialsiedlungs-Tristesse, diesmal aber mit einem Touch von magischem Realismus. tipBerlin-Kritikerin Paula Schöber ist vor allem von dem großartigen Schauspielensemble begeistert.

Newcomerin Nykiya Adams spielt die 12-jährige Protagonistin Bailey in „Bird“ herausragend. Foto: Atsushi Nishijma/MFA Film

In „Bird“ spielt „Saltburn“-Star Barry Keoghan einen jungen, arbeitslosen Vater

Zwei Songs rahmen den neuen Spielfilm von Andrea Arnold ein: „Too real“ von der irischen Post-Punk-Band Fontaines D. C. und der Britpop-Hit „The Universal“ von Blur. „Is it too real for ya?“ kreischt Barry Keoghan alias Bug in der ersten Szene, in der er mit seiner Tochter Bailey auf dem E-Scooter durch eine heruntergekommene Kleinstadt südöstlich von London rast. Blurs Klassiker mit „It really really really could happen“ zieht sich durch den ganzen Film.

Beide Songtexte bilden ganz gut ab, was den Kern von Andrea Arnolds Sozialdramen ausmacht: Mit einem realistischen Blick zeigt die englische Filmemacherin ungeschönt die Lebensrealität junger Menschen in der Unterschicht; knallhart, aber immer auf Augenhöhe. In den meisten von Arnolds Kurz- und Langfilmen sind die Protagonisten unprivilegierte Jugendliche, die ihrem von Armut und Gewalt geprägten Alltag entfliehen wollen. Wie in dem Blur-Song schwingt aber auch eine Note Optimismus mit.

Andrea Arnolds neuer Film kommt mit einer Prise magischem Realismus daher. Foto: Atsushi Nishijma/MFA Film

In „Bird“ reichert Andrea Arnold ihren üblichen Mix aus realistischem Sozialdrama und Coming-of-Age-Erzählung mit einem Element von magischem Realismus an. Protagonistin ihres fünften Spielfilms ist die zwölfjährige Bailey (wunderbar gespielt von der Newcomerin Nykiya Adams), die mit einem älteren Halbbruder bei ihrem Vater Bug in einem besetzten Abrisshaus im englischen Kent lebt. Sie fühlt sich verletzt von ihrem etwas egozentrischen Vater, der seine neue Freundin heiraten will. Bailey reißt für eine Nacht von zuhause aus und übernachtet auf einem abgelegenen Feld, wo sie auf den wortwörtlich schrägen Vogel Bird trifft.

Franz Rogowski ist die perfekte Besetzung

Perfekt besetzt mit Franz Rogowski, ist dieser Landstreicher nicht nur wegen Rogowskis charakteristischem Lispeln, einem seltsamen deutschen Akzent und dem Kilt-artigen Rock, den der Mann trägt, eine komische Erscheinung. Die Tage und Nächte verbringt er in luftiger Höhe auf Hausdächern balancierend. Er scheint nirgendwo hinzugehören, taucht immer wieder an Baileys Seite auf, und die beiden schweigsamen Außenseiter freunden sich an. Bird wird sogar zu Baileys Beschützer, als deren Konfrontation mit dem gewalttätigen Freund ihrer Mutter eskaliert, die mit Baileys Halbgeschwistern in einem noch stärker verwahrlosten Stadtviertel lebt.

Der von Franz Rogowski verkörperte Titelheld Bird ist eine komische Erscheinung. Foto: Atsushi Nishijma/MFA Film

Von dem fantastischen Element einmal abgesehen, das Andrea Arnold in Form dieses Vogelmenschen in ihren neuen Film hineinbringt, scheint „Bird“ aus derselben Blaupause zu stammen wie viele ihrer Regie-Arbeiten. Insbesondere „Fish Tank“ (2009) und „American Honey“ (2016) bilden zusammen mit „Bird“ eine Art Arnold’sche Trinitas. In ihrem zweiten Spielfilm „Fish Tank“ erzählt die Regisseurin von einer 15-jährigen Schulabbrecherin, die sich in den neuen Freund ihrer Mutter verliebt; in „American Honey“ porträtiert sie die 18-jährige Star, die ihrem lieblosen Leben im US-amerikanischen Oklahoma zusammen mit anderen perspektivlosen Jugendlichen auf einem abenteuerlichen Road Trip entflieht.

Ihr Kurzfilm „Wespen“, für den Arnold 2005 einen Oscar bekam, erzählt die Geschichte einer jungen mittellosen Mutter. Mit „Bird“ war Arnold 2024 zum fünften Mal nach Cannes eingeladen, wo sie bereits dreimal den Großen Preis der Jury erhalten hat. Warum Andrea Arnold in fast allen ihren Filmen immer wieder in dasselbe Milieu zurückkehrt, liegt auf der Hand: Es ist das, was sie aus eigener Erfahrung am besten kennt. Die 63-Jährige wuchs als Kind von zwei Teenagern in einer Sozialsiedlung in Dartford in Kent auf, brach die Schule ab und tanzte mit 17 in einer Fernsehshow.

„Bird“ mit Barry Keoghan kommt sogar mit einer „Saltburn“-Referenz daher. Foto: MFA Film

Die Filme von „Bird“-Regisseurin Andrea Arnold haben keine politische Agenda

Diesem Erfahrungshorizont ist es zu verdanken, dass die Autodidaktin Arnold ihren Figuren immer auf Augenhöhe begegnet, nie voyeuristisch von oben herab auf ihr Herkunftsmilieu schaut. Anders als etwa das sozialistisch-mahnende Kino eines Ken Loach haben Andrea Arnolds Filme keine politische Agenda, sondern erzählen berührende, persönliche Geschichten. Wie wichtig Nahbarkeit und Authentizität ihrer Protagonistinnen sind, spiegelt sich in der Besetzung der Filme. Die meisten Darsteller sind Laien, oft direkt von der Straße gecastet. An deren Seite stellt Arnold gerne einigermaßen etablierte junge Schauspieler wie Michael Fassbender in „Fish Tank“, Shia LaBeouf in „American Honey“ und nun Barry Keoghan und Franz Rogowski. Diese Mischung funktioniert jedes Mal hervorragend. So verleiht nicht nur Franz Rogowskis Figur Bird dem Film genau die richtige Portion Magie, sondern bringt der vor Spiel-Energie übersprudelnde, zu Blur und Coldplay tanzende „Saltburn“-Star Barry Keoghan auch ein bisschen Pop mit in den alternativen Indie-Stil von Arnold. Und ja, „Bird“ kommt sogar mit einer „Murder on the Dancefloor“-Referenz!

Man könnte Andrea Arnold vorhalten, dass sie immer wieder denselben Film dreht. Auch wenn die Liste an Regie-Arbeiten der 63-jährigen Regisseurin nicht sonderlich lang ist, zeigt sie doch, dass sie sehr wohl auch andere Genres beherrscht, unter anderem mit der Verfilmung von Emily Brontës „Wuthering Heights“ oder der populären, hochkarätig besetzten Fernsehserie „Little Big Lies“. Und da Arnold so eine wunderbare Beobachterin und Erzählerin ist, sieht man bei „Bird“ gerne über das ein oder andere Déjà-vu hinweg und genießt die Ausflüge in den magischen Realismus ebenso wie das grandiose Schauspielensemble.

  • Bird UK 2024; 119 Min.; R: Andrea Arnold; D: Nykiya Adams, Franz Rogowski, Barry Keoghan; Kinostart: 20.2.

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