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Steve McQueens „Blitz“ ist großes Antikriegskino mit einer neuen Perspektive

Der oscarprämierte Regisseur Steve McQueen hat mit „Blitz“ ein konventionelles Weltkriegsdrama mit einer unkonventionellen Perspektive gedreht. In Charles Dickens-Manier erzählt McQueen von der Odyssee eines Schwarzen Jungen während der deutschen Luftangriffe auf England im Zweiten Weltkrieg. tipBerlin-Kritikerin Paula Schöber hat „Blitz“ vor allem wegen seiner großartigen Schauspielleistungen überzeugt, etwa von Saoirse Ronan.

Großartiges Duo: Saoirse Ronan und Elliott Heffernan spielen Mutter und Sohn in Steve McQueens „Blitz“. Foto: Apple TV+

„Blitz“ spielt während des deutschen Luftangriffs auf England im Zweiten Weltkrieg

Die tiefste U-Bahn-Station der Welt befindet sich in Kiew; mehr als 100 Meter unter dem Erdboden verlaufen die engen Metro-Schächte. In London gräbt sich die „tube“ dagegen nur in etwa 50 Metern Tiefe unter der Stadt hindurch. In beiden Metropolen aber suchten und suchen Menschen im Krieg gleichermaßen Schutz vor Luftangriffen. Die Bilder aus Steve McQueens Weltkriegsdrama „Blitz“ von verzweifelten Londonern, die sich während des deutschen Luftwaffen-Bombardements vor über 80 Jahren in U-Bahn-Stationen flüchten, erinnern tragischerweise an diejenigen aus der Kiewer Metro nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. 

In „Blitz“ erzählt Steve McQueen von der deutschen Bombardierung Englands im Winter 1940, und zwar aus der Perspektive des neunjährigen George (Elliott Heffernan). Der wird von seiner alleinerziehenden, liebenden Mutter (Saoirse Ronan) widerwillig in einen der vielen Züge gesetzt, die über eine Million Menschen, vorrangig Kinder, während der deutschen Bombardierung (in Großbritannien werden die Luftangriffe als „The Blitz“ bezeichnet) aus den Städten aufs Land evakuierten. Auch Georges Mutter Rita fällt es schwer, ihr einziges Kind in eine ungewisse Zukunft zu verabschieden, doch ihre Sorgen werden noch größer, als sie erfährt, dass George nie im ländlichen Exil angekommen ist.

So wie viele Londoner sucht George (Elliott Heffernan) während der Luftangriffe Schutz in den U-Bahn-Schächten. Foto: Apple TV+

Dem Jungen, ein Stadtkind durch und durch, graut es mehr vor dem Land-Dasein ohne Mutter und Großvater (“auf dem Land stinken die Kühe so”) und hänselnden Gleichaltrigen als vor dem nächtlichen Londoner Bombenhagel, also springt er aus dem Zug und macht sich auf den Weg zurück nach Hause. In die Hauptstadt schafft George es noch recht problemlos, aber der Weg zurück zur Familie im ärmlichen Viertel Stepney wird für den Neunjährigen zur reinsten Dickens’schen Odyssee. 

Als Schwarzer Junge erlebt der Protagonist den „Blitz“ ungleich härter

So weit, so konventionell. Doch Steve McQueen erzählt in „Blitz“ nicht nur von den Schrecken des Krieges, denen sein Held George begegnet, sondern auch von Rassismus, Ausgrenzung und Klassismus. Denn George ist Schwarz und erlebt den Krieg so ganz anders und ungleich schwieriger als die weiße britische Mehrheitsgesellschaft. Steve McQueen zeigt diese Realität nicht nur durch die Augen des kleinen George, sondern zusätzlich in diversen Side Plots und Rückblenden, in denen der Zuschauer etwa erfährt, warum Rita ihren Sohn alleine großziehen muss: George lernt seinen Vater, der aus der britischen Kolonie Grenadinen in der Karibik stammt, nie kennen, da dieser erst von gewaltbereiten Rassisten verprügelt und dann aus England deportiert wird. 

Die Odyssee des Protagonisten George erinnert stark an Charles Dickens‘ „Oliver Twist“.Foto: Apple TV+

Von solchen Rückblenden streut der oscarprämierte Regisseur McQueen („12 Years A Slave“, „Shame“) recht viele ein, ebenso wie er in regelmäßigen Abständen immer wieder neue Nebenfiguren einführt, deren Geschichten aber nur kurz anerzählt und sie schnell wieder in den Trümmern und Rauchschwaden des kriegsgebeutelten London verschwinden lässt. Das mag etwas unübersichtlich und chaotisch erscheinen, trägt aber vor allem zu einer authentischen Erzählperspektive bei. In „Blitz“ gelingt es McQueen so ganz subtil, uns die Welt aus Kindersicht zu zeigen. Für einen Neunjährigen ist die nämlich genau das: unübersichtlich und chaotisch, abenteuerlich und gefährlich. 

Und wenn diese Handlungssprünge hin und wieder zu viel werden oder die doch sehr an Dickens’ “Oliver Twist” angelehnte Handlung etwas zu vorhersehbar scheint, macht das großartige Spiel von allen Darstellern diese kleinen Regie-Patzer wieder wett: Elliot Heffernan gibt ein grandioses Schauspieldebüt als kämpferischer George, Saoirse Ronan als liebende Mutter und selbstbewusste Fabrikarbeiterin überzeugt wie gewohnt auf ganzer Linie, und in der Nebenrolle des fast märchenhaften Helfers Ife, der George in all dem Rassismus, der ihm entgegenschlägt, ein kleines Stück Schwarzes Empowerment zurückgeben kann, glänzt der Singer-Songwriter Benjamin Clementine. 

Mit „Blitz“ ist Steve McQueen ein mehr oder weniger konventioneller Antikriegsfilm gelungen (der düstere Soundtrack von Hans Zimmer und das detailgetreue Szenenbild von Adam Stockhausen machen das Ganze nicht weniger konventionell, aber auch nicht schlechter), der den Kriegsalltag aus einer Perspektive erzählt, die so noch nicht auf der Leinwand zu sehen war. Und dafür war es längst an der Zeit.  

  • Blitz GB/USA 2024, 114 Min., R: Steve McQueen, D: Elliott Heffernan, Saoirse Ronan, Paul Weller, der Film startet am 7.11. in ausgewählten Kinos (z.B. im Xenon und in den Tilsiter Lichtspielen), ab dem 22.11. wird er bei Apple TV+gestreamt

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