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Regisseurin Constanze Klaue: „Ich will nicht den Osten erklären“

Constanze Klaue erzählt in ihrem Film „Mit der Faust in die Welt schlagen“ von einer Familie nach der Wende. Rechte Gewalt schafft sich Raum. Die Frage ist: Bleibt auch noch Hoffnung für junge Leute? Wir haben die Regisseurin zum Gespräch getroffen.

Constanze Klaue bei der Premiere von „Mit der Faust in die Welt schlagen“ im Delphi-Filmpalast. Foto: Imago/Pic One/Christian Behring

Die Familie Tschornack lebt in einem Haus ein wenig am Rand der Welt. Vater, Mutter, zwei Söhne, die gerade groß werden. Die Mutter fährt oft zur Nachtschicht in ein Krankenhaus. Der Vater ist immer wieder länger weg in Süddeutschland auf Arbeit. Philipp, der Ältere, und Tobi müssen oft allein zurechtkommen.

„Mit der Faust in die Welt schlagen“: Unter der Oberfläche ist nichts normal

Die Tschornacks sind eine typische Familie in Ostdeutschland. Die Wende ist jetzt etwas mehr als zehn Jahre her, es hat sich eine neue Normalität eingestellt. Aber unter der Oberfläche ist nichts normal. Davon erzählt der Film „Mit der Faust in die Welt schlagen“ von Constanze Klaue. Vor wenigen Wochen lief er als deutscher Beitrag in „Perpectives“, der neuen Reihe der Berlinale. Vorlage ist der gleichnamige Roman von Lukas Rietzschel, der vielfach als eine präzise Darstellung von Mentalitäten in Sachsen gelesen wurde. Das gilt nun auch für den Film, wobei Constanze Klaue nicht so sehr an einer genauen Verortung interessiert ist. Sie erzählt ein wenig allgemeiner von einer Generationenerfahrung nach der deutschen Wiedervereinigung. Sie erzählt davon, wie schwierig es für viele Menschen war, in der veränderten Welt wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Oder sich irgendwo ein Leben aufzubauen. Sinnbild für diese Probleme ist das Haus, in dem die Tschornacks leben. Eine ewige Baustelle, der Vater will alles selbst machen, wird aber nie so richtig fertig.

Manchmal hilft nur noch ein sehr lauter Schrei: Camille Moltzen spielt den kleinen Tobi in „Mit der Faust in die Welt schlagen“. Foto: Flare Film GmbH / Chromosom Film GmbH

Constanze Klaue hat zu diesem Thema eine besondere Beziehung. Denn sie hat in dem Haus gedreht, in dem sie selbst aufgewachsen ist, im Speckgürtel von Berlin. „Es war ein Grundstück von jemand, der in den Westen abgehauen ist, und es deswegen schnell und billig loswerden wollte.“ Klaues Vater war Bauleiter, „die finanzielle Möglichkeiten waren begrenzt, dadurch zog sich das sehr lange hin“. Es liegt nahe, an den Film von Wolfgang Becker zu denken: „Das Leben ist eine Baustelle“.

Für Constanze Klaue war der Umzug nach Niederschönhausen eine Art Rückkehr

Das Gespräch mit Constanze Klaue findet in einem Café im Norden Berlins statt, in Niederschönhausen. Das Kino Blauer Stern liegt gleich nebenan, der Park mit Schloss Höhenschönhausen ist nur ein paar Schritte entfernt, auch in den Volkspark Schönholzer Heide ist es nicht weit. Seit fünf Jahren lebt Constanze Klaue hier, es war eine Art Rückkehr. „Ich bin ja in Prenzlauer Berg zur Schule gegangen, aufgewachsen bin ich in Lichtenberg.“ Als sie neun Jahre alt war, zog die Familie in das Haus außerhalb der Stadt.

Auf das Buch von Lukas Rietzschel stieß sie zufällig, es wurde ihr auf einer Internet-Seite vorgeschlagen. Es war ein glücklicher Zufall, denn offensichtlich ist sie die richtige Regisseurin für diesen Stoff. Es ist ihr erster richtiger Spielfilm, nach dem kürzeren „Lychen 92“, mit dem sie 2019 ihr Studium an der Kunsthochschule in Köln abschloss und mit dem sie in der Filmwelt auf sich aufmerksam machte. Ein paar Kinder auf einem Campingplatz, ein paar nicht besonders stabile Erwachsene. In „Lychen 92“ erzählte Klaue von dem einen oder anderen Wende-Trauma in Form einer Komödie. Wenn man Pech hat im Leben, bleibt oft nicht viel mehr als schwarzer Humor.

Von einer Kindergeschichte kommt Constanze Klaue auf „eine Weiterführung bis in die Gegenwart, bis in die rechte Gewalt“

In ihren neuen Film konnte sie nun einen dramaturgischen Kniff übernehmen: „Mir gefällt die Kinderperspektive sehr.“ Die beiden Jungs in „Mit der Faust in die Welt schlagen“ nennen ihren Vater noch „Vati“, sprechen also noch in der Vertrautheit von Kleinen, die auf ihre Eltern bauen. Diese Erwartungen werden aber zunehmend enttäuscht, und in diesen Leerraum dringt die rechte Gewalt. Zuerst ist es nur blödes Gerede („Alle Lehrer sind schwul“), bald aber findet Philipp Anschluss an ein paar „Stärkere“, die schon konkrete Formen von Gewalt ausprobieren: eine Telefonzelle sprengen, Schweinefleisch vor die Haustür einer türkischdeutschen Familie werfen. Von einer Kindergeschichte kommt Constanze Klaue auf „eine Weiterführung bis in die Gegenwart, bis in die rechte Gewalt“.

Beiläufig taucht vieles auf, was auch im politischen Gespräch über „den Osten“ oder die neuen Bundesländer eine Rolle spielt: die Busverbindungen zum Beispiel, die Verbindungen schaffen zu Orten der Vielfalt, wenn sie denn bedient werden. Die Einsamkeit der Männer, der ausgeprägte Niedriglohnsektor. Constanze Klaue wollte aber nicht zu weit gehen mit dieser Form von erzählender Soziologie.

In Deutschland können wir sehr viele Probleme in den Osten reinschieben. Wir verschieben überhaupt viele Probleme auf die Anderen, auf die Migration. Ich weiß nicht, wie man das abbauen kann

Constanze Klaue

„Es soll keine reiner Ost-Erklärfilm sein. Ich habe versucht, gegenüber dem Buch ein paar dieser Bezüge rauszunehmen. Familie und Herkunftsgeschichte sind mir wichtiger, als nur die Radikalisierung zu zeigen.“ Und sie ergänzt auf einer allgemeineren Ebene: „In Deutschland können wir sehr viele Probleme in den Osten reinschieben. Wir verschieben überhaupt viele Probleme auf die Anderen, auf die Migration. Ich weiß nicht, wie man das abbauen kann.“ Ihren Film sieht sie als eine „Erinnerungssammlung“, ihre eigenen haben da genau so Platz wie die von vielen anderen. Und das Bedürfnis nach einer solchen Sammlung nimmt sie nun auch wahr, da sie Termine für Premieren organisiert.

Filmstill aus „Mit der Faust in die Welt schlagen“. Foto: Flare Film GmbH / Chromosom Film GmbH

Schon auf der Berlinale hat sie ein großes Gesprächsbedürfnis verspürt, und für die Tour durch die (nicht nur östlichen) Bundesländer zeichnet sich schon ab, dass sich alle möglichen Themen auf die Geschichte von Philipp und Tobi beziehen lassen. „Nach einer Vorführung bei der Berlinale kam eine Frau auf mich zu, die in der Kinder- und Jugendarbeit steht. Die war ganz aufgelöst. Die Politik hat leider nicht wirklich ein Auge auf diese Themen.“

Constanze Klaue hat ein wenig gebraucht, um das Kino als ihre wahre Berufung zu entdecken. Sie hat zuerst einmal Germanistik in Dresden studiert, das war noch eine konventionelle Entscheidung, weil sie früh im Schreiben eine Form von Beschäftigung fand, die ihr weiterhalf. „Das Studium hat mich gelangweilt, denn ich wollte mich unbedingt künstlerisch ausprobieren. Und dann habe ich mich lange in der Musik gefunden.“ Unter dem Namen Erna Rot nahm sie Jazz-Alben auf und tourte durch Deutschland. Bald aber folgte die ersten Schritte in Richtung Film, in Osnabrück kellnerte sie in einer Kinokneipe. Und schließlich fand sie einen Job in einer Produktionsfirma für Dokumentarfilme. „Im Medium Film habe ich alles gefunden, was ich im Schreiben und in der Musik gesucht habe. Wenn ich schreibe, bleibt das nur im Kopf. In einem Film wird es konkret. Und wenn ich einen Film schneide, ist das etwas sehr Musikalisches. Ich bin da sehr glücklich mittlerweile.“

Ein paar Jahre lebte sie dann in Köln, wo sie an der Kunsthochschule für Medien studierte. „In Köln habe ich mich sehr mit dem Thema Heimat und Identität auseinandergesetzt, und mich sehr nach Berlin und Brandenburg gesehnt. In Köln ist man ja stark mit seiner eigenen Identität konfrontiert. Ich habe mich ein wenig wie in einem Exil gefühlt, ich war nicht richtig verwurzelt.“ Nun ist sie wieder in Berlin, ihre Stadt. Sie mag hier vor allem „die Weite. Wenn ich nach Kreuzberg muss, dauert das eine Stunde, da kann ich gut lesen. Es war immer selbstverständlich, viel fahren zu müssen. In meiner Jugend sind wir nächtelang nur gelaufen. In Köln kam mir alles so absurd nahe vor.“

„Mit der Faust in die Welt schlagen“: Einen der Schauspieler fand Constanze Klaue auf einem Lichtenberger Spielplatz

In Köln konnte sie aber die Voraussetzungen schaffen, ein Projekt wie „Mit der Faust in die Welt schlagen“ überhaupt versuchen zu können. „Es war nicht schwierig, Menschen dafür zu begeistern“, erzählt Klaue von der Finanzierung. Sie fand rasch Förderung vom Fernsehen und eine Produktionsfirma. „Das Problem war das Budget, knapp 1,9 Millionen Euro. Das ist nicht wenig für einen Spielfilm, aber so, wie unser Film gemacht ist, geht das eigentlich über ein Debüt hinaus. Wir haben zwei Zeitebenen, 2000 und 2015, es gab viele Schauplätze, und dazu kamen die Kinder.“ Für Kinder gelten bei Dreharbeiten strenge Regeln, da darf nichts schief gehen, sonst läuft die Zeit davon. „13 ist ein kritisches Alter.“ Klaue fand Anton Franke, den Darsteller des Philipp, nach einer langen Suche in Lichtenberg auf einem Fußballplatz. „Er hat diesen Schlafzimmerblick und strahlt eine große Melancholie aus. Ein typischer Mittäter. Im richtigen Leben ist sehr viel cooler.“ Camille Moltzen, der den Tobi spielt, kommt aus einem Schauspielerhaushalt und ist bereits erfahren.

Eine verlorene Generation? Anton Franke spielt Philipp, der gefährlich nahe an rechte Gewalt herangerät. Foto: Flare Film GmbH / Chromosom Film GmbH

Nach „Mit der Faust in die Welt schlagen“ will Constanze Klaue „Superbusen“ adaptieren

Die Dreharbeiten fielen in die Zeit nach Corona, als die Filmbranche wieder Fahrt aufnahm. Für Constanze Klaue steht nun nach der Berlinale und der Kinotour bald das nächste Projekt an. Sie wird „Superbusen“ adaptieren, das Buch von Paula Irmschler, in dem um eine junge Frau geht, die nach Chemnitz zieht und eine Band gründet. Also wieder eine Ostgeschichte. Aber man kann davon ausgehen, dass auch in diesem Fall die Perspektive darüber hinausgeht. Denn Constanze Klaue arbeitet bevorzugt an der Überwindung von Gegensätzen. „Ich vermische gern schwarzen Humor mit Drama. Wichtig ist mir, dass man eine Energie spürt.“ In „Mit der Faust durch die Welt schlagen“ ist die Energie stark in das Innere der Figuren eingesperrt, als Sängerin weiß Klaue aber auch, wie sie Dinge nach draußen bringt. Das deutsche Kino hat eine neue, spannende Stimme.

  • Mit der Faust in die Welt schlagen D 2024; 111 Min.; R: Constanze Klaue; D: Anton Franke, Camille Moltzen, Anja Schneider, Christian Näthe; Kinostart: 3.4.

Zu den Personen

Constanze Klaue

Die gebürtige Berlinerin ist ein Multitalent: Sängerin, Schriftstellerin („Ausgerechnet Mops“ heißt ihr erster Roman), nun Filmemacherin. Sie studierte in Köln und kehrte danach nach Berlin zurück. Großes Interesse fand sie mit dem Essay „Unsere Heimat“. „Mit der Faust in die Welt schlagen“ ist ihr erster Spielfilm. Sie lebt in Niederschönhausen.

Lukas Rietzschel

Geboren 1994 in Räckelwitz. 2015 machte er als Preisträger beim „Treffen junger Autoren“ auf sich aufmerksam. Mit seinen Romanen „Mit der Faust in die Welt schlagen“ (Ullstein) und „Raumfahrer“ (dtv) gilt er als eine der wichtigsten literarischen Stimmen aus Ostdeutschland. Er lebt in Görlitz.


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