Nach dem Dreh seines neuen Films „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ hat Regisseur Mohammad Rasoulof den Iran endgültig verlassen. In seiner Heimat droht ihm eine langjährige Haftstrafe. Sein neuer Film ist ein aufgeladenes politisches Drama über eine zerrissene Familie im Umfeld der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung. tipBerlin-Filmkritiker Frank Arnold konnte mit Mohammad Rasoulof über seine Situation als Filmemacher im Iran sprechen.
Mohammad Rasoulof hat „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ im Iran gedreht, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde
„Hier verbrachte ich fünf Monate in Einzelhaft, dann war ich hier für fünf Wochen in einem Raum, nicht größer als dieser Tisch hier, danach wurde ich hierhin verlegt. Hier ist das Frauengefängnis, ich war hier und hier und hier.“ Auf seinem Handy präsentiert Mohammad Rasoulof eine Luftaufnahme des Evin-Gefängnisses in Teheran, das man hierzulande aus Dokumentarfilmen von Maryam Zaree („Born in Evin“) und Steffi Niederzoll („Sieben Winter in Teheran“) kennt. „Das ist ein großer Komplex, der aus mehreren kleinen Gefängnissen besteht, jedes gehört zu einer anderen Behörde – eines ist den Revolutionsgarden zugeordnet, ein anderes dem Sicherheitsministerium. Je nachdem, warum man verhaftet wurde, kommt man in eines der kleineren Gefängnisse und wird später in ein größeres verlegt. In den ,allgemeinen Räumen‘ ist man dann auch mit anderen Menschen zusammen.“
Das war 2022. Zwei Jahre zuvor, nachdem sein Film „Doch das Böse gibt es nicht“ bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären preisgekrönt wurde, hatte der Filmemacher auf eine Frage nach seiner anschließenden Rückkehr in den Iran noch geantwortet: „Es war für mich immer klar, dass ich Filme über den Ort machen will, den ich kenne, mit dessen Kultur ich vertraut bin, und das ist die iranische Gesellschaft.“ Rasoulof wusste, dass er mindestens eine Inhaftierung riskierte, wenn er in den Iran zurückkehrte. So eine Entscheidung muss man seinem Umfeld aber auch erklären. Die letzte Episode von „Doch das Böse gibt es nicht“ zeigte eine Begegnung am Flughafen, in der Rasoulofs Tochter Baran mitwirkte – gewissermaßen ein Brief an seine in Hamburg lebende Familie, mit dem er begründet, warum er trotz der Gefahr weiterhin Filme im Iran machen wollte. „Da war in der Tat etwas zwischen mir und meiner Tochter, mein Unwohlsein darüber, wie meine Entscheidung sich auf ihr Leben auswirken würde. Sie sieht das aber anders und glaubt nicht, dass meine Entscheidung ihr Leben so negativ beeinflusst hat.“
Beim diesjährigen Filmfest Hamburg hatte nun „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ Premiere. Rasoulof hat den Film im Iran gedreht, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde. Die Geschichte einer Familie, in der sich das Drama des Aufstands von 2022 („Frau, Leben, Freiheit“) widerspiegelt, wurde inoffiziell gedreht. Die beiden Töchter wenden sich gegen den Vater, als sie begreifen, dass gerade viele Menschen verfolgt werden. Das Private ist Szene des politischen Dramas. Seit einigen Monaten ist Mohammad Rasoulof in Deutschland, so richtig angekommen ist er aber noch nicht. „Im Augenblick reise ich vor allem zu den verschiedensten Festivals. Ich denke aber, dass ich mich in den nächsten Monaten niederlassen werde, und dass dann alles ruhiger verläuft.“ Um die Frage zu beantworten, wie seine künftigen Filme aussehen werden, ob sie sich weiterhin mit der Situation im Iran beschäftigen, ist es offenbar noch zu früh. „Diese Frage stelle ich mir fortwährend selbst, kann sie aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten. Sicher ist, dass sich meine Filme nicht plötzlich ändern werden.“
Regisseur Mohammad Rasoulof ist einer der wichtigsten Vertreter des iranischen Kinos
Geändert hat sich der Fokus seiner Filme allerdings schon, seit er 2002, dreißigjährig, nach einem Soziologiestudium sowie Kurz- und Dokumentarfilmen seinen ersten abendfüllenden Spielfilm inszenieren konnte: In „The Twilight“ wird ein Strafgefangener zwecks Rehabilitierung zur Heirat mit einer ebenfalls inhaftierten Drogenabhängigen gedrängt. Die Darsteller verkörpern sich in dem semidokumentarischen Film selbst. Marginalisierte Charaktere standen auch im Zentrum des Nachfolgers „Iron Island“, arabischstämmige Arbeiter, die in einem verlassenen Frachtschiff eine Bleibe gefunden haben und gegen ihre Vertreibung daraus protestieren. Größere internationale Aufmerksamkeit bekam Rasoulof, als drei seiner späteren Filme beim Festival von Cannes liefen und dort preisgekrönt wurden. Heute ist er, neben Jafar Panahi, der wichtigste Vertreter des iranischen Kinos.
War der Protagonist im letzten dieser drei Filme, „A Man of Integrity“, jemand, der sich auflehnte gegen die Willkür eines mächtigen Mannes und der örtlichen Behörden, zu denen dieser beste Beziehungen hatte, so verlagerte sich Rasoulofs Augenmerk in seinen beiden letzten Filmen auf Figuren, die Teil des Systems sind. „In meinen Begegnungen mit Menschen aus dem System – Ermittlern, Richtern, Mitarbeitern von Sicherheitsbehörden – habe ich mich immer wieder gefragt: Wie denken sie?“ In seinem neuen Film geht es um einen Mann, der zum System der Diktatur im Iran gehört. „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ ist auch das Produkt dieser Fragen, die Rasoulof umtreiben. „Wir sollten diesen Mann allerdings nicht als Vertreter aller Menschen sehen, die Teil dieses Apparates sind. Ich glaube, die Menschen, die eingebunden sind in diese Struktur, bewegen sich in einem gewissen Spektrum zwischen Gut und Schlecht. Man kann nicht sagen, dass dieser Charakter stellvertretend für alle steht. Aber die Frage, die wir stellen sollten, ist die: Was passiert, dass diese Menschen mitlaufen, woher kommt ihre Ergebenheit?“
Gerade zum Richter am Revolutionsgericht befördert, muss Iman bald erkennen, dass das seinen Preis hat. Urteile muss er schnell und ohne Aktenstudium fällen, weil auf den Straßen die Protestbewegung im Herbst 2022 sich rasant ausbreitet. Während seine Ehefrau versucht, die Familie zusammenzuhalten, fremdeln seine beiden Töchter immer mehr mit dem autoritären Verhalten ihres Vaters. Eines Tages ist dann seine neue Dienstwaffe aus der Schublade in ihrer Wohnung verschwunden.
„Es stimmt: dass dem Vater an seinem Arbeitsplatz ein Revolver ausgehändigt wird, ist eine Erfindung. Ich habe allerdings auch Recherchen betrieben und Informationen darüber gesammelt, was passiert, wenn so eine Dienstwaffe verloren geht, was für juristische Folgen das für den Betreffenden haben kann. Die Waffe hier hat eher eine metaphorische Rolle. Es ging mir darum, sie als Symbol des Patriarchats zu zeigen. Wenn die Macht verloren geht, ist man bereit, alles zu machen. Wir wissen aus der Vergangenheit, dass bei Mitgliedern des Apparates, die dessen Ideologie nie in Frage stellten, das häufiger zu brutalen Auseinandersetzungen mit Mitgliedern der eigenen Familie führte.“
„Die Saat des heiligen Feigenbaums“-Regisseur Mohammad Rasoulof droht im Iran eine langjährige Haftstrafe
Dass Rasoulof nach der Berlinale-Premiere und -Auszeichnung von „Doch das Böse gibt es nicht“ trotz zu erwartender Repressalien in den Iran zurückkehrte, hängt auch damit zusammen, dass er seine eigene Familie in Sicherheit wusste, so konnte diese nicht als Druckmittel gegen ihn verwendet werden. „Wichtig war, dass meine Familie nach Hamburg gehen konnte, und dass mich das sehr unterstützt hat: zu wissen, dass sie in Sicherheit ist. Ich habe dort auch viele Freunde, und das erlaubt es mir, mit einem sicheren Gefühl im Iran zu arbeiten“, sagte er damals im Interview. Zu der Hansestadt hat er überhaupt ein besonderes Verhältnis. „Das begann, als ich 2005 zum Filmfest Hamburg mit meinem Film ,Iron Island‘ eingeladen wurde. Damals habe ich zu mir gesagt: Eines Tages werde ich in Hamburg leben. Jetzt ist die Zeit gekommen. Die große iranische Community dort und die Hamburger Filmförderung waren nicht die Auslöser für meinen Entschluss, aber ihre Unterstützung ist schon wichtig.“
Dass Rasoulof den Iran nun doch verlassen hat, hängt damit zusammen, dass ihm im April 2024 die Entscheidung des Berufungsgerichts und damit der bevorstehende Antritt einer Gefängnisstrafe von acht Jahren angekündigt wurden. Es galt, schnell zu handeln, noch bevor offizielle Stellen von der Existenz seines neuen Filmes und dessen bevorstehender Uraufführung beim Festival von Cannes erfuhren. Das Land konnte er nur auf illegalem Wege verlassen, da die Behörden seinen Reisepass bereits im September 2017 konfisziert hatten. Auch andere an dem Film Beteiligte, darunter die Darstellerinnen der beiden Töchter, fassten denselben Entschluss. „Erst sieben Tage danach wusste man von der Existenz dieses Films. Daraufhin hat das Regime das Büro des Kameramannes gestürmt, der Tonmeister wurde am Flughafen verhaftet, als er ausreisen wollte. Gegen fast alle leitenden Mitglieder der Crew wurden mittlerweile Anklage erhoben“, so Rasoulof.
Wie sicher fühlt er sich nun hier, angesichts des Messerattentats auf Salman Rushdie oder auch der Entführung des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd 2020 in Dubai, der jetzt im Iran hingerichtet wurde? Unter Polizeischutz steht Rasoulof in Deutschland nicht.
„Nein, unter Polizeischutz stehe ich nicht, ich will auch frei leben können. Natürlich ist es klar, dass das Regime in Teheran keine moralischen Maßstäbe kennt und alles Mögliche passieren kann. Aber das ist etwas, über das ich keine Kontrolle habe. Ich denke dann lieber an etwas, über das ich Kontrolle habe, etwa an mein nächstes Projekt. Ich möchte nicht daran denken, wozu dieses Regime fähig ist, weil das zu einer gewissen Passivität führt – und das möchte ich nicht.“
Wie seine künftigen Filme aussehen werden, das weiß er, wie gesagt, noch nicht. Aber was Film kann und soll, davon hat er eine genaue Vorstellung: „Film ist eine Kunst, die Geschichten erzählt. Man muss zusammen mit den unterhaltsamen Narrativen auch versuchen, gewisse Ebenen von Informationen und Bewusstsein zu vermitteln. Die Szenen, die Bilder müssen ihre Aussagekraft haben, sie müssen beeindruckend sein. Die Erzählung von menschlichem Leid ist es, was Kino wichtig macht.“
- Die Saat des heiligen Feigenbaums (The Seed of the Sacred Fig) Iran/D/F 2024, 168 Min., R: Mohammad Rasoulof, D: Missagh Zareh, Soheila Golestani, Mahsa Rostami; Kinostart: 26.12
Man muss ihn in dieser Rolle gesehen haben: Daniel Craig begeistert in Luca Guadagninos Drama „Queer“. Ist die Neuverfilmung gelungen? „Nosferatu – „Nosferatu – Der Untote“ von Robert Eggers in der Filmkritik. Traumrolle: Hugh Grant begeistert in „Heretic“. Das Tier-Fake-Prequel von „Moonlight“-Regisseur Barry Jenkins: „Mufasa“ erzählt eine Teenager-Geschichte im seidigen Fell. Saoirse Ronan in Höchstform: So gut ist das Drama „The Outrun“. Französischer Oscar-Kandidat: Regisseur Jacques Audiard über sein Drogenkartell-Musical „Emilia Pérez“. Das Spielfilmdebüt der New Yorker Newcomerin Joanna Arnow: „Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist“ ist eine spezielle Komödie. Paul Mescal tritt in die Fußstapfen von Russell Crowe: Unsere Kritik zu Ridley Scotts „Gladiator“. „Mich hat Sex immer mehr interessiert als Gewalt“: „Anora“-Regisseur Sean Baker im Interview. Was läuft sonst gerade? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Mehr aus der Filmwelt lest ihr in unserer Kino-Rubrik.