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„Die Wannseekonferenz“: Sachliches Drama über die Banalität des Bösen

Regisseur Matti Geschonneck rekonstruiert „Die Wannseekonferenz“ für das ZDF. Am 20. Januar 1942 trafen sich Nazi-Größen, um die Vernichtung der europäischen Juden zu organisieren. Der Spielfilm ist nicht der erste zum Thema, aber Geschonnecks Arbeit trifft den richtigen, nämlich sachlichen Ton. tipBerlin-Autorin Katharina Dockhorn hat „Die Wannseekonferenz“ gesehen.

"Die Wannseekonferenz": Matti Geschonneck setzt auf die schauspielerische Qualität des Ensembles. Foto: ZDF und Julia Terjung
„Die Wannseekonferenz“: Matti Geschonneck setzt auf die schauspielerische Qualität des Ensembles. Foto: ZDF und Julia Terjung

„Die Wannseekonferenz“ stützt sich auf Protokolle und den Eichmann-Prozess

Jeder Platz wird von einem Offizier sorgfältig mit einem Namenskärtchen versehen. Das karge Tischarrangement ergänzt eine Sekretärin mit Notizblock und Bleistift. Die beiden treffen in einer Villa am Wannsee am Morgen des 20. Januar 1942 die letzten Vorbereitungen für die zwanglose Besprechung zur „Endlösung der Judenfrage“. Reinhard Heydrich hat die handverlesenen Teilnehmer – es waren 15 Männer – eingeladen. Sie wissen, was auf der Tagesordnung steht und sind gut vorbereitet.

Mit einer kleinen Einführung aus dem Off in den historischen Kontext beginnt Matti Geschonnecks Drama „Die Wannseekonferenz“. Er stützt sich für seinen sehenswerten Fernsehfilm, der zum 80. Gedenktag an den verbrecherischen Beschluss und dessen Opfer ausgestrahlt wird, auf das Protokoll der geheimen Besprechung, Äußerungen der Beteiligten und den neuesten Stand der Geschichtswissenschaft. Die Erläuterungen von Eichmann zur fachgerechten Anwendung von Zyklon B stammen zum Beispiel aus den Aussagen, die er im Rahmen des Prozesses gegen ihn in Jerusalem machte.

Keine Denkverbote bei der Arbeit am ZDF-Spielfilm

Die künstlerische Form für „Die Wannseekonferenz“ entwickelten der Regisseur, die Autoren Magnus Vattrodt und Paul Mommertz sowie Produzent Oliver Berben in einem mehrjährigen Annäherungsprozess an das Thema, bei dem sie sich keinerlei Denkverbote auferlegten. Sie wollten die historischen Fakten akkurat wiedergeben. Sie suchten auch nach einem aktuellen Ansatzpunkt und fanden ihn in den mörderischen Folgen einer Wortwahl, in der rassistisches Denken mitschwingt und dies widerspruchslos hingenommen wird.

Der Regisseur setzt dafür auf die nüchterne, beinahe karge Atmosphäre des Verhandlungsraums und das gesprochene Wort. Alle künstlerischen Mittel, die vom Gesagten ablenken könnten, wurden weitgehend minimiert. Visuelle Effekte fehlen ebenso wie Musik, die die Gefühle der Zuschauer manipulieren kann. Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen fiktionalen Annäherungen an die Konferenz fehlt dem Drama ein Antagonist, der dem geplanten Wahnsinn zumindest teilweise Einhalt gebieten will.

Die Wannseekonferenz wurde schon von Heinz Schirk und Kenneth Branagh verfilmt

Einzig auf der Grundlage des Protokolls, das im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts verwahrt wird, wagte sich Heinz Schirk bereits im Jahr 1984 erstmals an die Rekonstruktion dieses Ereignisses der Zeitgeschichte, bei dem die Verfolgung der Juden Europas nicht beschlossen, aber ihre Vernichtung bürokratisch und kaltschnäuzig organisiert wurde. Grundlage war ein Buch von Paul Mommertz. Neben Dietrich Mattausch als Heydrich und Gerd Böckmann als Eichmann besetzte er damals Jochen Busse, Peter Fitz, Martin Lüttge und Robert Atzorn. Der Grimme-Preis, die Silberne Nymphe beim Fernsehfilmfestival von Monte Carlo und der erste Preis beim Fernsehfestival von Tokio sprechen für die Güte dieses Films.

2001 gab Kenneth Branagh in der filmischen Version von Frank Pierson einen Heydrich, der jedem Konferenzteilnehmer im Hinterzimmer die Leviten las, der nur leise Zweifel an den mörderischen Vernichtungsplänen äußerte. An seiner Seite weiß er Adolf Eichmann, gespielt von Stanley Tucci. Colin Firth spielt einen der wenigen Widersacher, während Tom Hiddleston eine Kleinstrolle als Telefonist hatte.

Neue historische Forschungsergebnisse

Bei Geschonneck nun wagt einzig der Jurist Wilhelm Stuckart kleine Einwände, in denen er sich auf die von ihm mit verfassten Nürnberger Rassentheorien beruft und die Vernichtung sogenannter „Mischjuden“ aus Deutschland hinterfragt. Es geht ihm nie um die Betroffenen dieser irrsinnigen Einteilung, er will sein Lebenswerk retten. Grundlegender Widerspruch gegen die systematische Ermordung der Menschen jüdischen Glaubens bleibt aus. Die Männer eint einzig und allein die Absicht, eine effektivere Methode des Tötens als die Erschießungen zu finden, denen bereits Millionen in der Schlucht von Babi Jar und unzähligen Orten zum Opfer fielen. Die psychischen Belastungen für die beteiligten Soldaten, die Symptome des posttraumatischen Belastungssyndroms zeigen, werden als hoch eingeschätzt. Dass die Krankheit damals bereits erkannt und beachtet wurde, gehört zu den neuen Forschungsergebnissen der Historiker.

In dieser Villa am Großen Wannsee trafen sich am 20. Januar 1942 Vertreter der Naziregierung und der SS um die industriell organisierte Vernichtung der europäischen Juden zu planen. Heute eine Gedenkstätte Foto: ZDF und Konrad Waldmann

Das ästhetische Konzept geht dank der schauspielerischen Qualität des Ensembles – unter anderem Maximilian Brückner, Fabian Busch, Godehard Giese, Peter Jordan – auf. Das Drehbuch ist auf den Punkt durchkomponiert und gibt dem statischen Geschehen ungeheure innere Dynamik. Am winterlich verschneiten Wannsee treffen Logistiker aufeinander, für die Menschen nichts als Zahlen sind, die es effizient und systematisch zu dezimieren gilt. Von der Erfassung über den Transport bis zur Einteilung in jene, die noch arbeiten können, und jene, die sofort den Gang in die Gaskammer antreten müssen. Entsprechend bleibt der Ton sachlich. Es ist genau diese Kühle der Männer und ihre distanzierte Sprache, die ein mulmiges Gefühl hinterlassen.

Durch diese nüchterne Machart untermauert der Film die These von Hannah Arendt über die Banalität des Bösen. Das Verbrechen wird von durchschnittlichen Männern, Familienvätern, auf einer Konferenz beschlossen, wie es sie täglich Tausende in Deutschland gibt. Sie hatten zuvor verschiedene Methoden des Massenmordes ausprobiert und bündeln nun diese Erfahrungen. Sie sind sich der Dimension ihres Beschlusses bewusst, sie halten ihn für richtig und notwendig. Diese Perversion ihres Denkens zeigt sich bereits in der Sprache.

ZDF-Film „Die Wannseekonferenz“ setzt Kenntnisse voraus

Die Macher des Films setzen die Kenntnis des historischen Kontextes voraus. Lange wurde im Vorfeld des Drehs diskutiert, die Konferenzgespräche um Archivaufnahmen der Opfer und ihrer Leiden zu ergänzen. Sie verzichteten, auch weil der Film in einen Programmschwerpunkt eingebettet ist. In der auf das Drama folgenden Dokumentation „Die Wannseekonferenz“ von Jörg Müllner erinnert sich Margot Friedländer an jene Tage. Sie musste in der Nähe des Wannsee Zwangsarbeit verrichten und überlebte als einzige aus ihrer Familie den Holocaust. Weitere fundierte Dokus vervollständigen das Angebot und sind in der Mediathek für fünf Jahre abrufbar. Außerdem bietet das ZDF zahlreiche Begleitmaterialien für den Unterricht an.

  • Die Wannseekonferenz Seit 19.1.2022 in der ZDF Mediathek, Sendung mit anschl. Dokumentation am 24.1.; 105 Min, Doku 45 Min; R: Matti Geschonneck; D: Philipp Hochmair, Johannes Allmeyer, Godehard Giese, Thomas Loibl

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Das Haus der Wannseekonferenz ist besuchbar – alle Infos. Unterwegs auf den Spuren von Krieg und Totalitarismus: ein Spaziergang vom Wannsee über Cecilienhof zum Neuen Garten. Die zerstörte und die moderne Stadt gegenübergestellt: Wir zeigen Berlin-Bilder vom Kriegsende 1945 und dieselben Orte in der Gegenwart. Millionen Menschen wurden von den Nazis ermordet. 12 wichtige Denkmäler für die Opfer der NS-Zeit findet ihr hier. Mehr über die Vergangenheit erfahrt ihr in unserer Geschichts-Rubrik. Immer auf dem Laufenden bleibt ihr mit unseren Texten über Kino, Filme und Streaming.

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