Filmkritik

„Die Welt wird eine andere sein“: Geschichte einer Radikalisierung

Anne Zorah Berrached hat ein geschickt geschriebenes Drama gedreht, das eine ungewöhnliche Perspektive auf islamistischen Terror wählt. „Die Welt wird eine andere sein“, im internationalen Verleih „Copilot“ erzählt von der Radikalisierung eines Mannes aus dem Blickwinkel einer verliebten jungen Frau – und stellt dabei die Frage nach ihrer Mitverantwortung. Die tipBerlin-Filmkritik.

Canan Kir und Roger Azar im hintergründigen, geschickt konstruierten Drama "Die Welt wird eine andere sein", das auf der Berlinale 2021 Premiere hat. Foto: Christopher Aoun/Razor Film 2021
Canan Kir und Roger Azar im hintergründigen, geschickt konstruierten Drama „Die Welt wird eine andere sein“, das auf der Berlinale 2021 Premiere hat. Foto: Christopher Aoun/Razor Film 2021

Gäbe es nicht gleich zu Beginn das Exzerpt eines Abschiedsbriefs, in dem der Schreiber der Adressatin für fünf wundervolle Jahre dankt und dabei anmerkt, dass er ohne sie nicht die Kraft gehabt hätte, seinen „Weg zu gehen“, könnte man „Die Welt wird eine andere sein“ zunächst für eine hübsche Liebesgeschichte unter jungen Leuten im Deutschland der 90er-Jahre halten: Asli Bilge (Canan Kir), türkischstämmige Studentin der Humanbiologie, fällt bereits auf einem Rummelplatz ein junger Mann ins Auge, den sie wenig später bei einer Party im Studentenwohnheim näher kennenlernt. Saeed (Roger Azar) stammt aus dem Libanon und studiert auf Wunsch seiner Eltern Zahnmedizin in Deutschland. Doch das gefällt ihm eigentlich gar nicht: weder die Zahnmedizin, noch Deutschland. Lieber wäre er Pilot. 

„Die Welt wird eine andere sein“: Hinweise häufen sich

Ein verhinderter muslimischer Pilot, der der deutschen Gesellschaft skeptisch gegenübersteht und in einem Abschiedsbrief von „seinem Weg“ redet? Als Zuschauer ist man der verliebten Asli in dem geschickt geschriebenen Drama von Anne Zorah Berrached („24 Stunden“) gedanklich meist einen Schritt voraus, erkennt all die kleinen, scheinbar beiläufig eingestreuten Hinweise, die für sich genommen nicht unbedingt etwas bedeuten müssen und in der Summe doch auf eine Radikalisierung hinweisen.

Berlinale 2021: Zwischen Selbstbestimmung und Selbstverleugnung: Asli. Foto: Christopher Aoun/Razor Film 2021
Zwischen Selbstbestimmung und Selbstverleugnung: Asli. Foto: Christopher Aoun/Razor Film 2021

Aber „Die Welt wird eine andere sein“ ist kein erklärender Film über den Weg eines jungen Muslims hin zum islamistischen Attentäter des 9/11-Anschlags, sondern zäumt die Geschichte vom anderen Ende her auf: Es geht um Liebe, die blind macht, um ein Frauenleben zwischen Selbstbestimmung und Selbstverleugnung, und um die Hoffnung auf ein „normales“ Leben, die auch dann nicht stirbt, als die Lügen und Heimlichkeiten schon längst die Oberhand gewonnen haben.

An zwei Stellen bricht Berrached schließlich die Realitätsebene des Films: Einmal wacht Asli während eines Besuchs bei Saeeds säkularer Oberschichtfamilie im Libanon – während er ohne Erklärung seit Wochen im Jemen verschwunden ist – nachts auf und sieht, wie sie sich selbst prüfend betrachtet. Beim zweiten Mal schauen ihr aus den Spiegeln einer Fahrstuhlkabine gleich drei verschiedene Aslis beim Lesen von Saeeds Abschiedsbrief zu – und scheinen dabei auch die stumme Frage nach der Mitverantwortung der „Kopilotin“ („Copilot“ ist der internationale Titel des Films) zu stellen. 

Die Welt wird eine andere sein D/F 2021, 118 Min, R: Anne Zorah Berrached, D: Canan Kir, Roger Azar, Darina Al Joundi


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