Die New Yorker Newcomerin Joanna Arnow stellt mit ihrem Spielfilmdebüt „Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist“ ein vielschichtiges Experiment an. Sie spielt die Hauptrolle, hat das Drehbuch geschrieben und führt Regie. tipBerlin-Kritiker Bert Rebhandl findet: Mit Arnows Film kann man viel Spaß haben und außerdem glücklich werden.
„Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist“ ist ein Film, den man nicht leicht zu fassen kriegt
Ann hat etwas mit Allen am Laufen. Die Sache geht schon ziemlich lange, bald zehn Jahre oder so, und die Rollen sind klar verteilt: Ann ist submissiv. Sie mag es, dass es Allen vollkommen egal ist, ob sie beim Sex auch kommt. Wenn er danach schläft, reibt sie sich an seinem Oberschenkel und versucht, vielleicht noch ein wenig Lust für sich herauszuholen. Allen wacht nicht einmal auf.
Beziehungen sind immer komplex, aber bei Ann ist die Sache vielleicht noch ein wenig komplexer. Denn sie geht mit einem Gleichmut durch ihr Leben, der allen Vorstellungen von Leidenschaft oder Drama zuwiderläuft. Der Film „Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist“ ist denn auch eine Komödie. Allerdings eine sehr spezielle. Joanna Arnow spielt selbst die Hauptrolle, sie hat das Drehbuch geschrieben und auch den Schnitt selbst gemacht. Sean Baker („Anora“), die Galionsfigur des unabhängigen amerikanischen Kinos, wird als Executive Producer genannt.
Komisch ist der Film mit dem unpassend langen Titel auf eine Weise, die man nicht leicht zu fassen kriegt. Wie man eben auch Ann nicht leicht zu fassen kriegt. Dabei ist sie ständig im Bild, häufig nackt, alle ihre Partner behalten immer etwas an. Und es sind viele Partner, denn Ann bewegt sich, unterstützt von Dating Apps, durch das heutige New York und lernt alle möglichen Leute kennen. Außerdem ist sie bei der Arbeit, mit der Familie und ab und zu beim Yoga zu sehen.
Der Gleichmut von Ann hat eine Entsprechung in der Montage: Lakonisch wird Szene an Szene gereiht, alle haben etwas latent Peinliches, wobei auch da niemals der Punkt zum konsequenten Cringe überschritten wird. Klassische Komödien laufen auf einen Höhepunkt und auf Erleichterung durch Lachen hinaus. „Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist“ verweigert diese Erleichterung. Stattdessen wird man hineingenommen in ein vielschichtiges Experiment, das Joanna Arnow nicht zuletzt mit sich selbst anstellt: Eine jüdische New Yorkerin aus Brooklyn macht sich zu einer Beispielfigur für heutige, urbane Sexualität, sie macht sich zu einem Objekt, wie auch Ann in ihren Beziehungen gern Regieanweisungen bekommt. Das Ergebnis ist eine virtuose Endlosschleife, die auf eine gewisse Weise auch sehr viel Spaß macht, insgesamt aber doch eher in die Abgründe der Reflexion stürzt. Wer es dort gut aushält, kann mit „Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist“ vielleicht sogar sehr glücklich werden.
- Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist (That Feeling That the Time for Doing Something Has Passed) USA 2023; 87 Min.; R: Joanna Arnow; D: Joanna Arnow, Scott Cohen, Babak Tafti; Kinostart: 12.12.
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