Cancel Culture Club

„Drei Engel für Charlie“: Voyeurismus statt Empowerment

Die 2000er Kinoversion der legendären 1970er-Jahre-Fernsehserie „Drei Engel für Charlie“ entstand in der Generation des Gute-Laune-Feminismus der Girlpower-Ära – und wirkt heute traurig altbacken. Unsere Autorin hat ihn in nostalgischer Stimmung noch einmal gesehen. Ihr bricht das Herz: Die drei Frauen suchen eher den nächsten Boyfriend anstatt Selbsterfüllung, der Blick auf die perfekten Körper ist voyeuristisch – und bei aller Action ist der Film einfach nicht entertaining genug.

Der Artikel ist Teil der Reihe „Cancel Culture Club“, in der wir uns Filmen aus der Vergangenheit widmen – und diese aus heutiger Perspektive neu verhandeln.

Drei Engel für Charlie in Kampfposition
Die überzogenen Kampfszenen sind noch am besten gealtert. Foto: UnitedArchives05910

Hört zu, mir tut es doch auch weh, diese Zeilen zu schreiben. Was liebte ich die „Drei Engel für Charlie“, was identifizierte ich mich mit jeder einzelnen: eine Streberin wie Lucy Lius Alex, ein Outcast wie Drew Barrymores Dylan, und dann war da die ewig grinsende und sogar in ihren tollpatschigsten Momenten unfassbar gut aussehende und Charmante Cameron Diaz als Natalie. Ich verliebte mich unsterblich in Sam Rockwell, und als seine Figur Eric Knox sich als Bösewicht herausstellte, brach mir das Herz so laut, dass man es wahrscheinlich im ganzen Kino hören konnte. Und Bill Murray! Ach, Bill Murray.

„Drei Engel für Charlie“ – feministische Werte aus der Mainstream-Waschanlage

Aber als ich kürzlich, in einem Fall von Corona-induzierter Nostalgie, auf der Suche nach dem filmischen Äquivalent einer warmen Decke und einer heißen Schokolade mit extra Sahne mich dann zum Stream dieses 2000er Machwerks des Regisseurs Joseph McGinty Nichol, besser bekannt als McG klickte, wünschte ich, ich hätte es gelassen und würde mich weiter an dem warmen Strahlen der Erinnerung wärmen.

„Drei Engel für Charlie“ ist wohl eines der erfolgreichsten Beispiele der zweiten Girl-Power-Ära, als die revolutionären Inhalte der Grrrl-Power-Punks wie Bikini Kill durch die Mainstream-Waschanlage gezogen wurden. Aus Punk wurde Pop, aus Grrrl wurde Girl und die Spice Girls regierten die Welt. So weit, so gut. Aber aus heutiger Perspektive hat sogar der Spice-Girls-Film (wer erinnert sich noch?) feministischere Werte als die drei Engel.

Boyfriend statt Selbsterfüllung?

Warum? Einerseits werden wir drei Frauen vorgestellt, die jede für sich unglaublich bewundernswert sind. Sie kämpfen, sie lösen Rätsel, sie nehmen es mit den schlimmsten Ganoven auf. Aber all das tun sie nicht aus einer Position von Selbstbewusstsein heraus, oh nein. Lucy Lius Alex stellt vor ihrem Lebensgefährten ihr Licht unter den Scheffel und spielt die perfekte Hausfrau.

Gegen den Lebensentwurf als perfekte Hausfrau ist natürlich gar nichts einzuwenden, hier aber geht er einher damit, dass sie sich schwächer und dümmer stellt, als sie tatsächlich ist. Und ihre eigene Karriere natürlich verheimlicht.

Überhaupt sind alle drei Frauen eher auf der Suche nach dem nächsten Boyfriend als nach Selbsterfüllung. Partnerschaften sind ja auch eine gute Sache und können sehr erfüllend sein – aber alle drei setzen eher darauf, sich selbst zu verleugnen, als darauf jemanden zu finden, der sie um ihrer selbst Willen liebt.

„Film ohne Gehirn“ und ohne doppelten Boden

Natürlich kann man sagen: Jetzt nimm’s mal nicht so schwer, das ist doch nur buntes Popcornkino. Und ja, der Film ist quietschbunt und schwirrt nur so durch die verschiedenen Szenerien und Outfits. Er ist wunderbar camp und macht sich, so hoffe ich zumindest, auch immer wieder über sich selbst lustig. Wenn auch gerne mit rassistischen Ressentiments, aber das nur am Rande.

Aber dann wiederum nicht so sehr, als dass aus dem Abenteuerspektakel mit übertriebenen Kampfszenen, deren Ästhetik an Hongkonger Actionkino geschult ist, eine doppelbödige Satire werden könnte. Nein, nein, es ist zwar nicht alles, aber doch noch viel zu sehr daran ernst gemeint, als dass man ihn heute durchgehen lassen könnte.

Lucy Liu spielt die intelligente Alex – doch ihr Charakter bleibt trotz ihres Status als Hauptfigur in "Drei Engel für Charlie" bemerkenswert flach.
Lucy Liu spielt die intelligente Alex – doch ihr Charakter bleibt trotz ihres Status als Hauptfigur in „Drei Engel für Charlie“ bemerkenswert flach. Foto: UnitedArchives05911

Dafür ist der Film nämlich eben doch nicht entertaining genug: der legendäre Kritiker Roger Ebert nannte „Drei Engel für Charlie“ einen „Film ohne Gehirn“, der an einen Trailer für einen „Videospiel-Film“ erinnere. „Aber ohne das Videospiel und ohne den Film.“ Das klingt ziemlich lustig, ist dann aber doch traurig treffend, denn auch nur von einer Idee von Kohärenz ist nichts zu spüren.

Voyeurismus statt Charakter

Ergibt irgendetwas eigentlich Sinn? Nee, nicht wirklich. Könnte egal sein, aber dafür interessiert sich der Film dann doch nicht genug für seine Protagonist*innen. Also, außer für ihre perfekten Körper, die immer wieder in voyeuristische Nahaufnahme gesetzt werden.

Denn so flach die Charaktere der drei Hauptfiguren Alex, Natalie und Dylan gezeichnet sind, so offensichtlich ist auch: Girlpower ist höchstens eine Fassade. In Wirklichkeit regiert hier ganz altmodisch die Fleischbeschau. Die drei doch so starken, beeindruckenden Frauen sind auch nichts weiteres als Objekt der Begierde.

Auf wen richtet sich also der Film? An junge Mädchen, die lernen: du darfst alles sein, Hauptsache aber du bist dünn und suchst dir einen Mann, den du aber nicht mit deinem authentischen Selbst verschrecken darfst? Oder doch eher an pubertäre Jungs, für die die Nahaufnahme von Cameron Diaz Po das Highlight der Woche war? Es bleibt unklar.

Schlimmer wird es höchstens in der Fortsetzung aus dem Jahre 2003, die noch konfuser wird – und deren Bösewicht aus Angst vor dem Altern, nun ja, so böse wird. Und statt wie eine warme Decke aus Nostalgie zu wirken, wird aus „Drei Engel für Charlie“ dann doch eher ein abschreckender Eiszapfen.


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