Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha erzählen in „Ein kleines Stück vom Kuchen“ von einer Witwe, die sich neu verliebt. Das Regie-Paar darf derzeit den Iran nicht verlassen. tipBerlin-Autor Frank Arnold hat sich mit den beiden unterhalten. Notizen eines Zoom-Gesprächs.
„Ein kleines Stück vom Kuchen“: Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha haben keine Reiseerlaubnis
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Im Herbst 2023 wollten Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha aus dem Iran nach Paris reisen, um dort die Postproduktion ihres Films „Ein kleines Stück vom Kuchen“ fertigzustellen. Sie kamen allerdings nur bis zum Flughafen von Teheran. Dort wurden ihnen die Pässe abgenommen, sie wurden aufgefordert, sich beim Gericht in Evin, dem berüchtigten Gefängnis, zu melden. Sie erfuhren, dass ihnen die Reiseerlaubnis bereits vier Monate zuvor entzogen worden war – ohne dass man sie davon unterrichtet hatte.
Seitdem wurden sie mehrfach verhört, das Haus ihres Cutters wurde durchsucht und dort eine Kopie des Films beschlagnahmt, mitsamt aller Festplatten. Glücklicherweise befand sich bereits eine Fassung des Films in Paris. So konnte er im Februar auf der Berlinale seine Weltpremiere feiern. Drei Jahre zuvor hatten sie „Ballade von der weißen Kuh“ in Berlin noch persönlich vorgestellt. Nun musste das Interview per Zoom stattfinden.
Seit 2015 arbeiten die beiden zusammen. Auf die Frage nach ihrer Arbeitsteilung sagt Behtash Sanaeeha: „Sie hat die Idee und schreibt, ich führe Regie, aber wir sind beide immer involviert.“ Maryam Moghaddam, die in den früheren Filmen auch vor der Kamera stand, u.a. in der Hauptrolle von „Ballade von der weißen Kuh“, ergänzt: „Die meisten Entscheidungen fällen wir gemeinsam.“
„Ein kleines Stück vom Kuchen“ macht Realität im Iran deutlich
Nachdem „Ein kleines Stück vom Kuchen“ anfangs das Alltagsleben der siebzigjährigen Witwe Mahin zeigt, gibt es dann eine Szene, die die gesellschaftliche Realität im Iran deutlich macht: die Sittenpolizei ist gerade dabei, eine junge Frau festzunehmen, weil sie auf der Straße nicht verschleiert war. Das sieht nach einem direkten Verweis auf die Proteste aus, die im Herbst 2022 im Iran ausbrachen, als die junge Jina Mahsa Amini genau deswegen verhaftet wurde und im Polizeigewahrsam starb.
„Nein“, sagt Maryam Moghaddam, „das stand schon so im Drehbuch. Was mit Jina Mahsa Amini geschah, war kein Einzelfall, er ging nur viral wegen der Sozialen Medien. Die Belästigungen gerade von jungen Frauen durch die Sittenpolizei waren allgemein bekannt.“
Behtash Sanaeeha ergänzt: „Wir begannen mit dem Dreh drei Monate vor diesem Ereignis, welches ein großer Schock für uns alle war. Wir haben die Dreharbeiten unterbrochen und uns nach drei Tagen versammelt, um darüber zu sprechen. Diese Bewegung findet ihren Niederschlag ja auch in unserem Film, denn uns geht es auch um die Freiheit der Frauen. Wir beschlossen, den Film zu Ende zu drehen und damit der Bewegung zu helfen mit dem, was wir können. Die Proteste waren für uns eine zusätzliche Motivation.“
Den gleichaltrigen Taxifahrer Faramarz lernt Mahin in einem Restaurant kennen, in dem Rentner ihre Essensgutscheine einlösen können. „Die Renten sind nicht sehr hoch“, erläutert Maryam, „die Mittelklasse ist im Iran fast ganz verschwunden. Vor der Revolution machte die einen großen Teil der Bevölkerung aus, jetzt gibt es nur noch Arme und Reiche. Die Armen müssen sich etwas dazuverdienen, so wie es Faramarz als Taxifahrer macht.“
Dabei gelten für Männer und Frauen allerdings unterschiedliche Moralvorstellungen. Dass eine Witwe wieder heiratet „wird generell in unserer Kultur nicht gutgeheißen. Genau deshalb wollten wir diese Geschichte erzählen: um zu zeigen, dass auch verwitwete Frauen ein Leben haben. Denn das ist ein Tabu“, sagt Behtash Sanaeeha.
Warten auf das Urteil
Der neue Film verweist auch auf die Vergangenheit: Wenn Mahin sich von einem Taxi in ein vornehmes Hotel bringen lässt, spricht sie von einer Zeit, die vor der islamistischen Revolution 1978 liegt, als dort Tanzveranstaltungen stattfanden und westliche Musiker auftraten; sie kennt das Hotel auch noch unter dessen damaligem Namen. „Das ist etwas, was einem hier alle Leute die ganze Zeit erzählen, natürlich auch unsere Eltern. Sie erinnern sich sehr gut an eine Gesellschaft, die moderner war“, sagt Maryam Moghaddam. „Vor der Revolution war Persien eines der ersten Länder, in dem das Frauenwahlrecht eingeführt wurde – noch vor der Schweiz. Seit der Revolution dagegen werden Frauen als ,halbe Menschen‘ angesehen. Vergewaltigung in der Ehe ist kein Straftatbestand, dasselbe gilt für sogenannte Ehrenmorde.“ So verwundert es nicht, dass „die meisten älteren Menschen im Iran von der Zeit vor der Revolution mit Bedauern sprechen.“
Am Ende des Films hat Mahin etwas verloren, aber vielleicht auch etwas gewonnen: eine Ahnung von Freiheit. Für das Filmemacher-Paar bleibt die Situation ungewiss: „Die Verhöre sind mittlerweile abgeschlossen, und wir warten auf das Urteil.“
- Keyke mahboobe man (Ein kleines Stück vom Kuchen) Iran/F/SWE/D 2024; 97 Min.; R: Maryam Moqhaddam, Behtash Sanaeeha; D: Lily Farhadpour, Esmail Mehrabi; Kinostart 11.7
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