• Kino & Stream
  • Filme
  • „Emilia Pérez“-Regisseur Jacques Audiard über sein Drogenkartell-Musical

Filme

„Emilia Pérez“-Regisseur Jacques Audiard über sein Drogenkartell-Musical

Das Musical „Emilia Pérez“ um einen mexikanischen Drogenbaron, der eine Frau werden möchte, war eine der Sensationen in diesem Jahr in Cannes, nicht nur wegen der ausgezeichneten Besetzung mit Karla Sofía Gascón, Zoe Saldaña und Selena Gomez. tipBerlin-Kritiker Frank Arnold hat den französischen Regisseur Jacques Audiard beim Filmfest Hamburg getroffen.

Selena Gomez übernimmt im knalligen Musical „Emilia Pérez“ eine tragende Nebenrolle. Foto: Neue Visionen Filmverleih, Wild Bunch Germany

„Emilia Pérez“-Regisseur Jacques Audiard: „Dieser Film wurde von den Schauspielerinnen vorgegeben“

Nein, einen Plan B habe er nicht gehabt, sagt Jacques Audiard auf die letzte Frage unseres Interviews und hat sich dabei schon von seinem Sitz erhoben. Sein Flugzeug wartet, sein Aufenthalt beim Filmfest Hamburg, wo er in diesem Jahr mit dem Douglas-Sirk-Preis ausgezeichnet wurde, war kurz bemessen. Seit er für seinen jüngsten Film „Emilia Pérez“ beim Festival von Cannes im Mai den Preis der Jury entgegennehmen konnte und seine vier Hauptdarstellerinnen als bestes Ensemble mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet wurden, macht der Film die Festivalrunde, besonders intensiv in diesem Herbst, und derzeit am intensivsten in den USA, wo man auch im Blick hat, dass der Film von Frankreich für den internationalen Oscar eingereicht wurde.

Die Frage nach einem Plan B bezog sich auf die Besetzung der Hauptrolle, den mexikanischen Drogenbaron Manitas, der sich zu einer Frau umoperieren lässt, um ein neues Leben zu beginnen. Hätte er das Projekt aufgegeben, wenn er keine passende Besetzung gefunden hätte? Das sei wirklich schwierig gewesen, speziell am Anfang, denn er hätte dieser Figur zuerst das falsche Alter zugeordnet: „Im Drehbuch war Manitas ungefähr 35 Jahre alt, und die Anwältin Rita 30, das war ein großer Fehler. Als ich Karla Sofía getroffen habe, wußte ich, dass Emilia Pérez zwischen 40 und 50 Jahre alt sein musste. Also letzten Endes wurde dieser Film von den Schauspielerinnen vorgegeben.“

Starkes Schauspiel-Duo: Zoe Saldaña und Karla Sofía Gascón. Foto: Neue Visionen Filmverleih, Wild Bunch Germany

Für die Eindringlichkeit ihrer Performance wurde mit Karla Sofía Gascón erstmals beim Festival von Cannes eine trans Schauspielerin ausgezeichnet, die Berlinale hatte das mit Thea Ehre (in Christoph Hochhäuslers „Bis ans Ende der Nacht“) bereits ein Jahr zuvor geschafft. Für ihren Auftritt als Manitas in den frühen Passagen des Films muss Audiard gleich noch einer anderen Frau ein Lob aussprechen: „Unsere Ausstatterin Virginie Montel hat da sehr viel Arbeit hineingesteckt. Irgendwann hat sie mir Fotos davon gezeigt und ich sagte, ja, das wäre cool, wenn sie so aussehen könnte – woraufhin sie erwiderte: Das ist sie! Diese Verkleidung und Kostümierung hat teilweise drei, vier, fünf Stunden gedauert. Karla Sofía hat Gesichtsprothesen getragen und an den Augen kleine Tätowierungen, die aufzubringen hat ebenfalls sehr lange gedauert.“

„Emilia Pérez“ ist Audiards erster spanischsprachiger Film

Da kommt wieder die physische Konstante ins Spiel, die in den Filmen von Jacques Audiard durchgängig zentrale Bedeutung hat. In seinem vorangegangenen „Wo in Paris die Sonne aufgeht“ (2021) etwa lieferte er einen modernen Liebesdiskurs ab, in dem die Körperlichkeit eine ganz andere Rolle spielte als in Eric Rohmers 52 Jahre zuvor gedrehten „Meine Nacht bei Maud“, der einer der Ausgangspunkte des Films war. In „Der Geschmack von Rost und Knochen“ ergab sich aus den versehrten Körpern eines Mannes und einer Frau ein neuer, anderer Körper. Und in „Dämonen und Wunder“ drehte er in einer Sprache, Tamilisch, die er nicht verstand, weshalb die Kommunikation mit den Darstellern sich auf andere Ebenen fokussierte, es ging „um die Schnelligkeit in der Bewegung, um die Gesichtsausdrücke, um die Musikalität in den Bewegungen“, wie er damals im Interview sagte. Zu dem Western „The Sisters Brothers“ bemerkt er, dass er nicht gut Englisch spricht. Und dass es in „Wo in Paris die Sonne aufgeht“ auch Dialoge auf Chinesisch gab. Mit „Emilia Pérez“ hat er jetzt seinen ersten Film auf Spanisch gedreht. „Es muss wohl daran liegen, dass ich von Anfang an ein Interesse habe, den Klang der Sprache in den Vordergrund zu stellen. Für mich ist die Musikalität der Sprache wichtiger als deren Grammatik, wichtiger, als jedes einzelne Wort der Sprache verstehen zu können.“

Dazu kommt, dass das Genre von „Emilia Pérez“ das eines Musicals ist, in dem der Gesang und die Choreografie des Tanzes eine besondere Verbindung eingehen. Neben der Titelfigur nicht weniger wichtig ist die von Zoe Saldaña verkörperte Anwältin Rita, die als dunkelhäutige Frau in ihren Vierzigern ebenfalls einen Prozess der Selbstermächtigung durchmacht. Audiard bestätigt das: „Der Film heißt nach Emilia, weil diese Figur mit ihrer Verwandlung das Thema des Films vorgibt, aber Rita ist ihr gegenüber gleichberechtigt. Es gibt ein Thema im Film, das man auch sehen kann, wenn man dafür offen ist, nämlich die Liebe zwischen Rita und Emilia. Rita liebt Emilia. Das wird nicht explizit gesagt, aber man kann es fühlen. Das wird auch in dem Moment deutlich, wo Rita die Kinder von Emilia aufnimmt, Kinder, die sie selber nicht haben konnte.“

  • Emilia Pérez F/USA/MEX 2024; 130 Min.; R: Jacques Audiard; D: Karla Sofía Gascón, Zoe Saldaña, Selena Gomez; Kinostart: 28.11.

Mehr zum Thema

Unterhaltsam irre und erfrischend: Unsere Kritik zum Sci-Fi-Film „L’Empire“. Paul Mescal tritt in die Fußstapfen von Russell Crowe: Unsere Kritik zu Ridley Scotts „Gladiator“. Berlin wird provinziell regiert: Wegen der Kürzungen im Berliner Haushalt steht das Sínema Transtopia vor dem Aus. Ein Antikriegsfilm, aber aus einer anderen Perspktive: So ist Steve McQueens „Blitz“. Vor 35 Jahren fiel die Mauer: Wir empfehlen euch 12 Filme zur Wende. „Mich hat Sex immer mehr interessiert als Gewalt“: „Anora“-Regisseur Sean Baker im Interview. Für seinen neuen Film bekam Pedro Almodóvar in Venedig den Goldenen Löwen: Unsere Kritik zu „The Room Next Door“. Was läuft sonst gerade? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Mehr aus der Filmwelt lest ihr in unserer Kino-Rubrik.

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad