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Filmkritik

„Fabian oder Der Gang vor die Hunde“: Tom Schilling erlebt Berlin als Sodom und Gomorra

Eine große Literaturverfilmung nimmt es mit „Babylon Berlin“ auf: „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ von Dominik Graf nimmt den Roman von Erich Kästner aus dem Jahr 1931 als Ausgangspunkt und führt uns in die Epoche kurz vor der Machtübernahme der Nazis. Tom Schilling spielt einen sensiblen Zeitgenossen in einer chaotischen Welt.

Tom Schilling in „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ von Dominik Graf. Bild: DCM/Lupa

„Fabian“ war als weniger bitterer Titel gedacht

LITERATURVERFILMUNG Rund um 1930 herrscht in der deutschen Literatur ein gewisses Gedränge. Es häufen sich die Figuren, in denen man im Rückblick das Scheitern der Weimarer Republik als angelegt erkennen möchte: der arme Franz Biberkopf in „Berlin Alexanderplatz“, das kunstseidene Mädchen Doris in dem Roman von Irmgard Keun, oder der Literaturwissenschaftler Jakob Fabian, über den Erich Kästner einen Roman mit dem Titel „Der Gang vor die Hunde“ schrieb. Da war die Prognose schon fast mit Händen zu greifen.

Der Verleger setzte einen weniger bitteren Buchtitel durch: „Fabian“. Der Vorname, der hier ein Nachname ist, wurde zu einer Chiffre für eine intellektuelle Distanz, die wohl das Unheil kommen sieht, ihm aber nichts entgegenzusetzen weiß. Auch nach dem Krieg lasen die Deutschen fleißig „Fabian“, 1980 gab es von Wolf Gremm eine vergleichsweise groß angelegte Verfilmung. 2013 legte Sven Hanuschek eine Rekonstruktion der ursprünglichen Buchfassung vor, die natürlich nicht fehlen darf in unserer großen Liste der Berlin-Romane, die man gelesen haben sollte.

Dominik Graf geht mit dem „Fabian“-Film zur Quelle zurück

Und nun fasst Dominik Graf mit seinem Film „Fabian und Der Gang vor die Hunde“ alles zusammen: Er geht zurück zu der Quelle, also zum Text, und schöpft zugleich aus dem ganzen Faszinosum einer Epoche, die man vielleicht am besten als Berliner Moderne bezeichnen könnte. Die Fernsehserie „Babylon Berlin“ hat diese Zeit zuletzt wieder neu populär gemacht, und ihr mit der Petrischale ihrer Vorspannsequenz ein Sinnbild verschafft: 1929ff als Labor, aus dem das schrecklichste aller Viren entweicht, das Ressentiment.

Tom Schilling als Fabian, Meret Becker spielt Irene Moll. Foto: Lupa Film/Hanno Lentz / DCM

Bei Dominik Graf gibt es aber auch noch einen anderen Kontext für „Fabian“ als das Faschismusorakel. 2014 hat er einen Film über die Weimarer Klassik gemacht: „Die geliebten Schwestern“, das waren Charlotte und Caroline von Lengefeld, die beiden auf vertrautem Fuß mit Friedrich Schiller standen. Am Ende stand damals eine wenig beachtete, aber alles umwertende Pointe: aus der Zeit von Goethe und Schiller zählen nicht so sehr die kanonischen Werke, wichtiger ist vielleicht ein Zettel, auf den jemand etwas notiert hat, was erst ein kühner Kostümfilm offenlegt.

Fortgerissen vom provisorischen Charakter der Zeit

Jakob Fabian hat bei Graf auch ein Notizbuch. Er ist schließlich mit dem Leben befasst, „eine der interessantesten Beschäftigungen, trotz alledem“. Er lebt aber auch ein bisschen wie nebenbei, er will sich nicht zu stark hineinziehen lassen in den Trubel und die Dekadenz von Berlin. Das ändert sich, als er Cornelia kennenlernt, eine junge Angestellte mit großem Potential. Nicht nur Fabian sieht in ihr einen Filmstar. Er ahnt aber auch, dass er die Geliebte an das Kino verlieren könnte. In einer der schönsten Szenen von Dominik Grafs Film geht Cornelia mit einem Text zu einem Casting, den sie aus Fabians Notizbuch hat, er hat ihr eine Seite herausgerissen und geschenkt. Es ist das Gedicht ihres Abschieds, es zerreißt sie fast, als sie es vorträgt, aber sie bekommt die Rolle.

Dominik Grafs „Fabian“ geht medientechnisch aufs Ganze

Mit dieser Idee fügt Dominik Graf seiner Literaturverfilmung etwas Wichtiges hinzu. Denn der Text von Kästner ist betont ein bisschen schnoddrig, es gibt viele großartige Passagen, immer wieder von aphoristischer Brillanz. Aber es dominiert eben eine gewisse Beiläufigkeit, die nicht einmal ironisch ist, sondern einfach Selbstschutz durch Zurückhaltung. Dominik Graf aber macht aus „Fabian“ großes Kino, und zwar in einem anderen Sinn, als es die Branchenwerbung meint. Dass er die Liebesgeschichte stark überhöht, und zugleich auf eine Zettelkommunikation zwischen zwei vom Strudel des „provisorischen Charakters“ ihrer Zeit Fortgerissenen hinauslaufen lässt, ist das eine.

Er geht aber auch medientechnisch auf das Ganze dieser Jahre. Die Zeit nach dem Ersten Weltkriegs wurde oft als eine Zeit der Schocks beschrieben. An jeder Haustür konnte einem in den erleuchteten Städten damals etwas passieren, was einen durcheinander brachte. Dominik Graf fängt dieses Grundgefühl mit einer sprunghaften Montage ein, mit flirrenden Bildern, manchmal mit visuellen Reimen, die sich erst ganz vom Ende her erschließen.

Tom Schilling spielt also einen fragilen, durchlässigen Helden in einer Welt, in der vieles auf ihn einprasselt. Und in dieser Spannung zwischen einer sensiblen Empfänglichkeit, die sich durch Nonchalance zu wappnen versucht, und einer kaleidoskopisch ungreifbaren, überfordernden Welt wird „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ zu einem großen Film auch für die Jahre 2021ff.

D 2021; 180 Min.; R: Dominik Graf; D: Tom Schilling, Saskia Rosenthal, Albrecht Schuch; Kinostart: 5.8.


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