Neu im Kino

Filmstarts der Woche: Von „Matrix Resurrections“ bis „Macbeth“

Fast 20 Jahre nach der ursprünglichen „Matrix“-Trilogie kommt nun ein Update ins Kino, das am Tag vor Weihnachten den mit Abstand größten Start in dieser Woche ausmacht. Wer nach Alternativen zum Blockbusterkino sucht, findet diese Woche aber ebenfalls etwas: der großartige japanische Film „Drive my Car“ von Ryusuke Hamaguchi geht von einer Geschichte von Haruki Murakami aus. Und Apple bringt einen neuen „Macbeth“ von Joel Coen auch ein kleines bisschen ins Kino. Der tipBerlin-Überblick über die Filmstarts der Woche um Weihnachten


Matrix Resurrections

„Matrix Resurrections“ von Lana Wachowski. Foto: Warner

ACTION Auferstehung ist ein ziemlich großer Begriff für die Fortsetzung einer sehr erfolgreichen Filmreihe, vor allem, wenn es sich de facto um einen Aufguss handelt. In den bald 20 Jahren, die seit „Matrix Revolutions“, dem 2003 erschienenen dritten Teil der Saga, vergangen sind, ist der Teebeutel, aus dem die Brüder Wachowski ihre Ideen saugten, immer trockener geworden. Denn an die Stelle einer undurchdringlichen Vorgaukelung eines virtuell spannenden Lebens in einem an den Zahnarztstuhl gefesselten falschen (eigentlich dort aber richtigen) Leben trat der nackte und kalte Machtanspruch der heutigen Plattform-Giganten. Ein bisschen Zeitdiagnose hätte man da vielleicht erwarten können. Aber Thomas Anderson, besser bekannt also Neo, muss einfach noch einmal messianisch den gordischen Knoten zwischen Sein und Schein durchschlagen, einzige Pointe: es muss ihm jemand zur Hand gehen. Dafür gibt es eine berufene Kandidatin, man kennt sie unter einem Namen, der ein bisschen klingt wie Tiffany, aber mehr Theologie enthält.

Keanu Reeves und Carrie-Anne Moss sind inzwischen Mittfünfziger, sie halten sich gut in einem austauschbaren Action-Geschwurbel, das aber doch nur mühsam wieder in Gang kommt, ein paar billige Witze gegen die Konzernstrukturen, in denen man arbeitet, inklusive. Lana Wachowski zeichnet bei „Matrix Resurrections“ allein verantwortlich. Berlin war in der Herstellung eine wichtige Station, szenisch ist allerdings San Francisco wichtiger. Kann man auch Kaffee mehrfach aufgießen? Wer sich für so was interessiert, kann einen Besuch im Cafe „Simulatte“ durchaus in Erwägung ziehen, und wird dort mit zerbeulter Blockbuster-Wirklichkeit auf gut zweieinhalb Stunden gestreckter Kugelzeit abgefertigt. Bert Rebhandl

USA 2021; 148 Min.; R: Lana Wachowski; D: Keanu Reeves, Carrie-Anne Moss, Neil Patrick Harris; Kinostart: 23.12.


Drive My Car

„Drive My Car“ von Ryusuke Hamaguchi. Foto: Rapid Eye Movies

FILMKUNST Der Theaterregisseur Yûsuke Kafuku und seine von einem Festival in Hiroshima bestellte Fahrerin Misaki, die beide in der Vergangenheit seelische Verletzungen erfahren und Dramatisches erlebt haben, nähern sich bei langen Autofahrten einander langsam an, und beginnen, sich auszusprechen. Der komplexe Film von Ryûsuke Hamaguchi beruht auf einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami und verfolgt die grundsätzliche Idee, dass man sich anderen Menschen öffnen und die eigenen Verletzungen zugeben können sollte. Immer bloß stur weitermachen und so tun, als sei nichts, führt ins Unglück. Lars Penning

Japan 2021; 179 Min; R: Ryûsuke Hamaguchi; D: Hidetoshi Nishijima, Tôko Miura, Reika Kirishima, Yoo-rim Park; Kinostart: 23.12.

Hier haben wir die ausführliche tipBerlin-Filmkritik zu „Drive My Car“.


Aline

„Aline – The Voice of Love“ von Valerie Lemercier. Foto: Weltkino

FILMBIO Ein Film wie Schrödingers Katze: Gleichzeitig ein biographischer Film über Céline Dion und kein biographischer Film über Céline Dion. Aline Dieu (also Gott) heißt die Hauptfigur von Valérie Lemerciers Film, und dass die Regisseurin auch selbst die Hauptrolle übernimmt, deutet an, dass es hier nur bedingt um Authentizität geht. Denn Lemercier war bei den Dreharbeiten 55, spielt Dieu allerdings von Anfang an, auch als diese erst zwölf Jahre jung ist! Mit sagenhaften 13 Geschwistern wächst diese in ärmlichen Verhältnissen auf, was ebenso exakt der Realität entspricht, wie ihre Entdeckung durch den 26 Jahre älteren Guy-Claude (Sylvain Marcel) – in der Realität eigentlich René Angelil. Der lernte Dion/Dieu kennen, als sie 14 war, wurde zu einem Vertrauten, einer Art Ersatzvater und später ihr Ehemann. So seltsam mutet dieser Weg zu internationalem Megastarruhm an, dass Lemerciers Entscheidung, die Geschichte als Farce zu inszenieren, lange Zeit Sinn ergibt.

Gleichzeitig distanziert vom realen Vorbild, mit künstlerischen, dramaturgischen Freiheiten erzählt „Aline“ von Céline, aber im Kern doch näher, als viele vermeintlich authentische biographische Filme. Von ersten, noch lokalen Erfolgen, über den überraschenden Gewinn des European Song Contest, der den internationalen Ruhm begründete, bis hin zu „My Heart Will Go On“, dem oscarprämierten Megahit aus James Camerons „Titanic“, wird nichts ausgelassen. Dass Lemercier Dion bewundert, ist in jedem Moment zu spüren, führt gerade in der zweiten Hälfte jedoch dazu, dass aus einer zu Beginn fast schon experimentellen Annäherung an einen Weltstar dann doch ein eher normaler, dadurch hagiographischer Film wird. Michael Meyns

Frankreich/ Kanada 2021; 126 Min.; R: Valérie Lemercier; D: Valérie Lemercier, Sylvain Marcel; Kinostart: 23.12


Ein Festtag

„Ein Festtag“ von Eva Husson. Foto: Tobis

DRAMA In Deutschland hält sich hartnäckig das Gerücht, der Muttertag sei eine Erfindung Hitlers. Doch diese Tradition ist viel älter und reicht in Großbritannien mit dem „Mothering Sunday“ bis ins Mittelalter zurück. Im Wesentlichen war er dafür gedacht, dass Bedienstete in herrschaftlichen Häusern am vierten Fastensonntag einen Tag frei bekommen, um ihre Mutter zu besuchen.

Auch das Dienstmädchen Jane Fairchild (Odessa Young) bekommt am 30. März 1924 von ihrem Chef Mr. Niven (Colin Firth) den Tag zugesprochen, und das obwohl sie eine Waise ist. Und sie weiß auch schon genau, wie sie diesen Frühlingstag nutzen wird: Sie wird sich mit Paul Sheringham (Josh O’Connor) treffen, Nachbarsohn der Nivens und ebenso wohlhabend. Und da sich die Nivens mit den Sheringhams und den Hobdays zum Mittags-Picknick im Freien an der Themse verabredet haben, hat Paul „sturmfreie Villa“: Zum ersten Mal betritt Jane den Landsitz über den Vordereingang. Die beiden schlafen miteinander, Paul erzählt von der von ihm erwarteten Zukunft: Er soll Anwalt werden – und standesgemäß die Nachbarstochter Emma Hobday ehelichen. Jane und Paul sind sich der Unmöglichkeit ihrer Liebe absolut bewusst. Und nachdem Paul zum Picknick der Eltern und Nachbarn aufgebrochen ist, streift Jane nackt durch das Haus der Sheringhams, erkundet Räume und die Bibliothek.

Die dritte Regiearbeit von Eva Husson beruht auf der gleichnamigen Erzählung des gefeierten englischen Schriftstellers und Booker-Preisträgers Graham Swift („Wasserland“). Zu seinen Stilmitteln gehört zum einen die achronologische Erzählweise. Und so springt auch der Film in den Zeiten hin und her: Wir erfahren, wie Jane und Paul sich erstmals begegneten, dass Jane eine berühmte Schriftstellerin geworden ist und eine Beziehung zu dem Philosophen Donald (Sope Dirisu) hatte. Zum anderen verknüpft Swift gerne Einzelschicksale mit der großen Weltgeschichte. Die Nivens haben beide Söhne im Ersten Weltkrieg verloren – Colin Firth und die wunderbare Olivia Colman geben das traurigste Ehepaar sein langem. So zieht sich durch diese gediegene, in warmen Farben gehaltene Literaturverfilmung nicht nur das Moment des Verlustes, sondern auch der Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit, besonders durch die Hauptfigur Jane. Ihr nackter Spaziergang durch die Landvilla ist ein großer Akt der Befreiung. Und das ist durchaus feministisch zu verstehen. Martin Schwarz

GB 2021; 105 Min.; R: Eva Husson; D: Odessa Young, Josh O’Connor, Colin Firth, Olivia Colman; Kinostart: 23.12.


The Lost Leonardo

„The Lost Leonardo“ von Andreas Koefoed. Bild: Piece of Magic

DOKU Die Geschichte des „verlorenen“ Leonardos beginnt mit seiner Entdeckung: ein stark beschädigter Christus als Salvator mundi, zunächst zugeschrieben einem unbekannten Maler aus der Nachfolge des italienischen Renaissance-Genies Leonardo da Vinci, möglicherweise die Kopie eines verschollenen Originals. Zu erstehen bei einer Auktion in New Orleans im Jahr 2005 für 1175 Dollar. Zwei New Yorker Kunsthändler, spezialisiert auf Kunstwerke mit „Potenzial“, griffen zu. 

Und siehe da: Eine Restaurierung und mehrere Experten-Begutachtungen später war die preiswerte Kopie zum (so gut wie) echten Leonardo herangereift. Das Bild hing in einer großen Leonardo-Ausstellung der National Gallery in London und sein Preis schoss in schwindelerregende Höhen: Zuletzt wurde es 2017 vom Auktionshaus Christie’s für 400 Millionen Dollar plus 50 Millionen Aufgeld als teuerstes Gemälde aller Zeiten versteigert. Neuer Besitzer scheint der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman zu sein, öffentlich gesehen wurde der neue Leonardo seither nicht mehr. 

Der Dokumentarfilm des dänischen Regisseurs Andreas Koefoed geht dieser Geschichte fast wie in einem Krimi nach, mit vielen „Zeugenaussagen“ der beteiligten Personen, und bietet so einen sehr interessanten Einblick in die Interessen von Händlern, Experten, Museen, russischen Oligarchen und saudischen Prinzen. Dabei geht es oft um Geld, aber auch um Eitelkeiten, Staatsinteressen, gelungene Marketingkampagnen und ab einer bestimmten Summe auch um eine politische Machtdemonstration. Nur das Gemälde bleibt, was es ist: ein sehr stark restaurierter Vielleicht-oder vielleicht-auch-nicht-Leonardo von zweifelhafter Provenienz. Lars Penning

Dänemark/F 2021; 96 Min; R: Andreas Koefoed; Kinostart 23.12.


The Tragedy of Macbeth

„Macbeth“ von Joel Coen: Foto: AppleTV+

TRAGÖDIE Orson Welles hat ihn verfilmt, Roman Polanski auch, Akira Kurosawa die Story nach Japan verlegt. Nun wagt sich also Joel Coen, der zum ersten Mal ohne seinen Bruder Ethan einen Film inszeniert, an eine neue, eine weitere Adaption von Macbeth. Oder genauer gesagt: „The Tragedy of Macbeth“, Coen besteht auf dem langen Titel, so wie er auch in der ersten Folio-Edition von Shakespeares berühmter Tragödie auftaucht.

Ein tragischer Held soll dieser Macbeth also sein, dem anfangs von den drei Hexen die Krone von Schottland prophezeit wird – und der daraufhin alles in den Weg setzt, die Prophezeiung wahr werden zu lassen. Unschwer mag man hier eines der Leitmotive des Coenschen Ouevres erkennen: Determinismus, der das Handeln der Figuren prägt, sie zu wenig mehr macht als Spielbällen einer göttlichen Ordnung. Dementsprechend zurückgenommen spielt Denzel Washington den Macbeth, als alternden Mann, dem seine Frau Lady Macbeth (Frances McDormand) keine Kinder geschenkt hat und der nun die letzte Chance auf die Krone ergreift.

Dass komplett im Studio gedreht wurde, in spartanischen Kulissen, die an brutalistische Architektur erinnern, verleiht dem Geschehen zusätzliche Theatralik. In seiner Inszenierung hält sich Coen zurück, lässt die fast quadratischen, in brillantem schwarz-weiß gefilmten Bilder wirken und sein exquisites Ensemble spielen. Aus dem Denzel Washington herausragt, der seinen Macbeth als zerrissenen Mann spielt, der mordet, ohne es wirklich zu wollen, der Stimmen hört und Visionen hat, von seiner Frau zurechtgewiesen wird und am Ende kopflos dasteht. So gesehen tatsächlich der Held einer Tragödie. Michael Meyns

USA 2021; 105 Min.; R: Joel Coen; D: Denzel Washington, Frances McDormand; Kinostart: 26.12.


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