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Filmstarts der Woche: Von „House of Gucci“ bis „Benedetta“ von Paul Verhoeven

Zwei alte Männer dominieren die Filmstarts diese Woche: Ridley Scott zeigt sich mit „House of Gucci“ eher von der routinierten Seite, der ewige Provokateur Paul Verhoeven greift wieder einmal die Kirche an – und zwar mit nackten Nonnen in „Benedetta“. Sehenswert sind auf jeden Fall auch noch das serbische Drama“ Vater“ und der Dokumentarfilm „Die Zähmung der Bäume“. Hier der tipBerlin-Überblick über die wichtigsten Kinoneuheiten.


House of Gucci

Adam Driver und Lady Gaga in „House of Gucci“ von Ridley Scott. Bild: Universal

DRAMA Wenn heute irgendwo „House“ drauf steht, dann geht es meist nicht mehr um die Club-Musik, sondern um einen Ort der Intrige und der Leidenschaften. Häuser in diesem Sinn gibt es bei Shakespeare und in „Game of Thrones“, und natürlich in Washington, wo das „House of Cards“ spielte, das die Politik in der westlichen Supermacht als destruktiven Familienbetrieb erscheinen ließ. Ridley Scott spekuliert mit „House of Gucci“ (nach dem gleichnamigen Sensationsroman von Sarah Gay Forden) unverhohlen auf diesen Nobilitierungseffekt: Eine Modedynastie zwischen Italien und New York, das übertrifft vielleicht sogar das, was vor dreißig Jahren das englische Königs- oder das monegassische Fürstenhaus veranstalteten. Wobei es für das Format der großen Mafia-Dramen, die ja auch sozusagen in „Häusern“ spielen, dann doch nicht reicht.

Da hilft auch eine Hauptrolle für Al Pacino nichts. Er spielt Aldo Gucci, der in den frühen 1970er-Jahren den amerikanischen Zweig der Familie anführte. Auf italienischer Seite verweigert sich Rodolfo Gucci (Jeremy Irons) dem Zeitgeist. Im Zentrum der Saga steht die nächste Generation: Maurizio (Adam Driver), anfangs beflissener Student mit wenig eleganter Brille, heiratet in einem Anfall von Romantik die Tochter eines Speditionsunternehmers. Für Patrizia (Lady Gaga) mischt er sich sogar eine Weile unter die Männer, die abends die Lastwagen abspritzen, was eine krasse Porno-Persiflage ergibt, von der nicht ganz klar ist, ob Ridley Scott das nicht einfach für eine gute Szene hielt.

Patrizia hat aber durchaus gesellschaftlichen Ehrgeiz, und so ist es sehr in ihrem Sinn, dass Maurizio dann doch noch in den Familienbetrieb einsteigt. Der Rest ist Dekorationskino der schrilleren Art, routiniert heruntererzählt und angetrieben von einem 80er-Jahre-Soundtrack. Adam Driver und vor allem Lady Gaga (die an große Fellini-Frauen erinnert) sind eigentlich gut gewählt für ihre Rollen, aber Scott verrät keine Sekunde mehr als nur oberflächliches Interessen an den Charakteren. So schlingert „House of Gucci“ zwischen halber Selbstparodie und Angeberkino in Richtung Modekapitalismus. Bert Rebhandl

USA 2021; 158 Min.; R: Ridley Scott; D: Adam Driver, Lady Gaga, Al Pacino; Kinostart: 2.12.


Benedetta

„Benedetta“ von Paul Verhoeven. Bild: Koch Films

HISTORIENDRAMA Benedetta ist eine Nonne im 17. Jahrhundert, sie so mystisch mit Jesus kommuniziert, dass ihre Hände zu bluten beginnen. Vielleicht aber auch von einer Glasscherbe. Paul Verhoeven ergeht sich lustvoll in Kirchenkritik, und schwelgt in einem Erotikthriller, dessen progressive Ironie schon ein wenig unzeitgemäß wirkt. Bert Rebhandl

F 2021; 131 Min.; R: Paul Verhoeven; D: Virginie Efira, Daphné Patakia, Charlotte Rampling, Lambert Wilson; Kinostart: 2.12.

Hier lest ihr die tipBerlin-Filmkritik zu „Benedetta“.


Gunpowder Milkshake

„Gunpowder Milkshake“ von Navot Papushado. Bild: Studiocanal

ACTION Der Milchshake in dem American Diner wird für immer in der Erinnerung von Sam bleiben, denn damals sah sie ihre Mutter Scarlet zum letzten Mal. 15 Jahre ist das jetzt her, Sam ist in die Fußstapfen der Mutter getreten und arbeitet als Auftragskillerin, die ihre Aufträge von der „Firma“ erhält. Doch nachdem bei dem gerade ausgeführten Auftrag auch der Sohn eines rivalisierenden Gangsterbosses zu Tode gekommen ist, lässt die Firma Sam fallen. Fortan ist sie auf sich allein gestellt – bis ihre Mutter wieder auftaucht und zudem drei „Bibliothekarinnen“ sich als schlagkräftige Unterstützung erweisen.

Der Profikiller hat den Serienkiller vielleicht nicht abgelöst, aber wohl zahlenmäßig eingeholt als Filmfigur, was nicht zuletzt dem Kassenerfolg des „John Wick“-Franchises zu verdanken ist. Nach weiblichen Superhelden nun also weibliche Auftragskillerinnen. Keine Erfindung dieses Films, man denke nur an Quentin Tarantinos „Kill Bill“ oder darin zitierte Hongkong-Filme. An Tarantino muss man hier öfter denken, mehr noch an die ganzen Tarantino-Clones der achtziger Jahre. Nur weil hier vor der Kamera Frauen in die Männerrollen schlüpfen, ist das noch kein alternatives Filmemachen.

Als Eröffnungsfilm des diesjährigen Fantasy Film Festes erwies sich der in den Babelsberger Ateliers und an Berliner Locations gedrehte Film als publikumswirksam. Sicher tut die große Leinwand dem in Scope gedrehten Film gut, aber an Ende sind die Settings, wie die Bibliothek mit Waffen in den Büchern und einige hübsche Aufnahmen aus dem ICC mit seinem Siebziger-Jahre-Futurismus, noch das Beste. Over the top ist vieles an diesem Film, manches davon als unfreiwillig komisch einzustufen. Muss man also die beklemmenden Qualitäten der ersten beiden Filme des israelischen Regisseurs Navot Papushado, „Rabies“ und „Big Bad Wolves“, eher seinem damaligen Ko-Regisseur Aharen Keshales zuschreiben? Oder wollte sich Papushado einfach mal mit einem großen Budget austoben?  Frank Arnold

F/D/USA 2021; 116 Min.; R: Navot Papushado; D: Karen Gillan, Lena Headey, Carkla Gugino, Michelle Yeoh, Angela Bassett, Paul Giamatti; Kinostart: 2.12.


Harald Naegeli – Der Sprayer von Zürich

„Harald Naegeli – Der Sprayer von Zürich“ von Nathalie David. Bild: missingFilms

DOKU Die Züricher Stadtpolizei war 1980, zu Zeiten der legendären „Züri brännt“-Jugendunruhen, gut damit beschäftigt, fein säuberlich Buch zu führen über jedes Graffiti, das die Wände der Stadt verzierte. Dazu zählten auch 343 Fotos einfacher, aber präzise gesprühter, seltsamer Strichfiguren, die mit merkwürdig verrenkten Gliedern auf den toten Betonwänden der Schweizer Bänkerstadt zu tänzeln schienen. Die Identität des Schöpfers dieser Wesen, Harald Naegeli, blieb nicht lange geheim, aber selbst seine erste Verhaftung hielt ihn nicht davon ab, als „Sprayer von Zürich“ weiterzumachen, ohne einen Deut von seiner eindeutigen künstlerischen Handschrift abzuweichen.

„Meine Figuren provozieren die Menschen zum Nachdenken oder Wegputzen“, sagt Naegeli an einer Stelle in dem Film „Harald Naegeli – Der Sprayer von Zürich“. In seinem Fall provozierte das auch einen internationalen Haftbefehl, der dazu führte, dass er zunächst, von Joseph Beuys protegiert, nach Düsseldorf flüchtete, und nach einem weiteren Knastaufenthalt in der Schweiz politisches Asyl in Westdeutschland fand. Obwohl inzwischen Teil der anerkannten Kunstwelt, blieb er sich als „Sachbeschädiger“, Utopist und unbequemer Systemgegner treu.

Dieses sehr persönliche Film-Porträt von Nathalie David mit und über Naegeli zeigt auch dessen Rückkehr nach 30 Jahren Exil, zurück zu den Wurzeln und der wundersamen Hassliebe zwischen ihm und der Stadt Zürich, die 2020 gleich wieder mit einer neuen Serie gesprühter „Totentänze“ aufflammte. Der Film wird zum Vermächtnis eines kompromisslosen Künstlers, der unheilbar erkrankt, im hohen Alter, sich nicht still und leise vom Leben verabschieden will, sondern mit klaren Worten:„Es gilt den Barbaren, der immer wieder aufsteht, in Schranken zu halten! Die Kunst ist dabei das beste Mittel!“. Andreas Döhler

Schweiz/Deutschland 2021; 97 Min.; R: Nathalie David; Kinostart: 2.12.


Vater

„Vater“ von Srdan Golubovic. Bild: Barnsteiner

DRAMA Man mag beim Sehen von Srdan Golubovićs „Vater“ an Hiob denken, an Michael Kohlhaas oder eine Figur Kafkas. Und auch wenn das Drama durch und durch in der Realität der serbischen Gegenwart verhaftet ist, deutet die Vielzahl an Assoziationen die Universalität der Geschichte an.

Der Vater heißt Nikola (Goran Bogdan), ein rechtschaffener Mann, der wie so viele in den wirtschaftlichen schwierigen Zeiten seine Arbeit verloren hat. Eine Abfindung bekam er nicht, mit Aushilfsarbeiten versucht er sich, seine Frau und die zwei Kinder mehr schlecht als recht durchzubringen. Doch seine Frau erträgt die Ungerechtigkeit der Welt nicht mehr und versucht, sich anzuzünden. Eine Verzweiflungstat, die den Leiter des lokalen Jugendamts dazu veranlasst, Nikola seine Kinder wegzunehmen. Angeblich zu ihrem Schutz, tatsächlich aus Eigennutz, denn der Staat zahlt für jedes Kind in Pflegefamilien. Alle Versuche Nikolas, seine Kinder zurückzubekommen scheitern, der Korruption hat er, als einfacher Mann, nichts entgegenzusetzen. Und so macht er sich auf den Weg in die Hauptstadt Belgrad, um sich bei den zuständigen Behörden zu beschweren, zu Fuß, mit nichts als dem Glauben an Gerechtigkeit im Gepäck.

Wie eine Parabel mutet Srdan Golubovićs vierter Film an, der letztes Jahr auf der Berlinale mit dem Panorama-Publikumspreis ausgezeichnet wurde. Auch wenn man mit den speziellen Umständen der serbischen Realität nicht vertraut ist: „Vater“ erzählt die Geschichte eines Mannes, der gegen Widerstände kämpft und nicht mehr verlangt als sein Recht. Doch die Welt, die Golubović zeigt, ist nicht gerecht, Mitmenschlichkeit begegnet Nikola zwar sporadisch, doch auf kleine Momente der Hoffnung folgt unweigerlich eine neue Enttäuschung. Aufbauend ist das zwar nicht, aber in seiner harschen Unerbittlichkeit beeindruckendes Kino. Michael Meyns

Serbien 2020; 120 Min.; R: Srdan Golubović; D: Goran Bogdan, Boris Isakovic, Nada Sargin; Kinostart: 2.12.


Die Zähmung der Bäume

„Die Zähmung der Bäume“ von Salomé Jashi. Bild: Film Kino Text

DOKU In Georgien gibt es einen reichen Sammler mit politischer Vergangenheit und dementsprechend Einfluss, der prachtvoll gewachsene, zum Teil mehrhundertjährige Bäume aufkauft. Die lässt er dann mit großem Aufwand ausgraben und mit noch größerem Hunderte von Kilometern über Land und See in seinen sterilen Privatgarten verschleppen. Unterwegs schlagen sie eine Schneise der Verwüstung und reißen dutzendfach „im Weg stehende“ Artgenossen mit sich. Angekommen treten sie einander auf die Wurzeln und werden sehr wahrscheinlich in ein paar Jahren sterben.

Salomé Jashi dokumentiert diesen schrecklichen Vorgang in „Die Zähmung der Bäume“ äußerst gemessen. Es ist nicht der allzeit bereite Homo Sapiens, der in ihrem Film mit Erläuterungen und Rechtfertigungen wortreich die Bühne beansprucht. Der Raum gehört vielmehr Jenen, die keine Worte haben und deren Sprache wir nicht verstehen – und die wir hier auch gar nicht verstehen müssen, derart klar und deutlich zu vernehmen ist die Botschaft.

Denn in ihrem ehemaligen Zuhause hinterlassen die widernatürlich wandernden Riesen eine existenzielle Leere. Mitunter begleitet eine ganze Gemeinde ihren Abtransport, ein händeringender und heulender Zug von Trauernden, denen der identitätsstiftende Dorfbaum aus monetären Gründen abhanden kommt, und die erst im Moment des Verlustes begreifen, wer ihnen, ihren Kindern und Kindeskindern, Vorvätern und Urgroßmüttern all die Jahre Schatten spendete und Frieden.

Schlagend führt Jashis Film vor Augen, was Wurzeln sind und welchen Schmerz ihr Verlust bedeutet. Vor allem aber gelingt es ihm, die qualitative Differenz zwischen natürlichen Gegebenheiten und menschlichen Ordnungsversuchen als den Verlust von Seele offensichtlich zu machen. Alexandra Seitz

Schweiz/Deutschland/Georgien 2021; 92 Min.; R: Salomé Jashi; Kinostart: 2.12.


Mehr Kino in Berlin

Die Filmstarts der Vorwoche haben wir hier; das tipBerlin-Gespräch mit Sebastian Meise zu seinem Film „Große Freiheit“ ist hier; außerdem haben wir hier einen Hinweis auf das THF Cinema im ehemaligen Flughafen Tempelhof – das Kino punktet mit spektakulärer Location und schönem Programm.

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