Im Kino ist die Weihnachtssaison bereits eröffnet. Diese Woche bringt Disneys Superhelden-Abteilung Marvel die Fortsetzung seines Hits „Black Panther“ heraus. „Black Panther: Wakanda Forever“ hat zwar mit Weihnachten per se nicht viel zu tun, soll aber bereits von der guten (Konsum-)Laune profitieren, wenn es die im Energiesparwinter denn gibt. Außerdem: Körperkunst von David Cronenberg, ein schönes Porträt von Elfriede Jelinek und ein koreanisches Filmkunstwerk. Die Filmstarts der Woche im tipBerlin-Überblick.
Black Panther: Wakanda Forever
ACTION Kaum ein Film der letzten Jahre hat solche Spuren in der Popkultur hinterlassen wie „Black Panther“, erst recht, nachdem Hauptdarsteller Chadwick Boseman kurze Zeit später viel zu jung an Krebs verstarb. Bei all dem Jubel, all den Leitartikeln über Schwarze Ermächtigung, wurde leicht übersehen, dass „Black Panther“ im Kern ein Marvel-Film von der Stange war, der sich zudem eines recht fragwürdigen, von Stereotypen geprägten Afrika-Bildes bediente.
Nun also die angesichts des enormen Erfolges zwangsläufige Fortsetzung, die weniger ein Film ist, als zweieinhalb Stunden Trauerarbeit. Immer wieder wird des verstorbenen Boseman gedacht, beziehungsweise dessen Figur T’Challa, dem Black Panther. Einen Nachfolger gibt es zunächst noch nicht, dass er oder sie aus den Kreisen der starken Frauen Wakandas kommen wird, steht außer Frage.
Bis es so weit ist, gilt es jedoch, das fiktive, mit dem Rohstoff Vibranium gesegnete Wakanda gegen einen neuen Feind zu verteidigen: ausgerechnet ein von den Maya abstammendes, im Wasser lebendes Volk, das deutlich südamerikanisch konnotiert ist und von Prinz Namor angeführt wird. Dass hier People of Colour gegeneinander kämpfen, könnte zu ideologisch interessanten Komplikationen führen, die Regisseur und Drehbuchautor Ryan Coogler jedoch angesichts der üblichen Marvel-Exzesse ignoriert. Während die unvermeidlichen Schlachten chaotisch geschnitten sind wie eh und je, können wie im Vorgänger vor allem Produktionsdesign und Kostüme überzeugen.
Gelang es Marvel noch vor wenigen Jahren, sämtliche Filme nahtlos in ein großes Ganzes zu fügen, wird das Marvel Cinematic Universe inzwischen zunehmend zu Stückwerk. „Black Panther: Wakanda Forever“ ist dabei ein besonders langatmiges, inhaltsleeres Exemplar, das mehr von der Erinnerung an seinen verstorbenen Hauptdarsteller zehrt, als durch einen Blick nach vorne zu überzeugen. Michael Meyns
USA 2022; 161 Min.; R: Ryan Coogler; D: Angela Bassett, Letitia Wright, Martin Freedman; Kinostart: 10.11.
Crimes of the Future
DYSTOPIE „Das ist so schön!“ Der Leiter des streng geheimen Nationalen Organ Registers und seine Kollegin fuhrwerken gerade mit endoskopischen Kameras im Körper des Performancekünstlers Saul Tenser herum und sind ganz begeistert von den neuen Organen, die dieser sich wachsen lässt. Denn das ist Teil der Weiterentwicklung der Menschheit in einer vielleicht nicht allzu fernen Zukunft, in der es auch keine Infektionen und keinen Schmerz mehr gibt. Es sei denn, man will wie Tenser (Viggo Mortensen) den Schmerz als Teil seiner Performances, bei denen er sich die neuen Organe von der ehemaligen Trauma-Chirurgin Caprice (Léa Seydoux) wieder entfernen lässt. Die Registratur der Organe ist gewissermaßen sein Werkverzeichnis.
Das wiederum führt dazu, dass die Mitarbeiter:innen des Organ Registers wenig später mit einem Polizisten über Kunst diskutieren müssen. Der fragt: „Wo ist die emotionale Formgebung, das philosophische Verständnis, das aller Kunst zugrunde liegt?” Und nicht nur dem Polizisten gefällt dieser Teil der schönen neuen Welt nicht.
Die Filme von David Cronenberg haben etwas profund Ungemütliches und sind zugleich äußerst faszinierend, weil man seit den Anfängen des Kanadiers als Filmemacher in den 1970er-Jahren immer wieder diese totale Begeisterung für außer Kontrolle geratene Biologie, die Verschmelzung von Maschinen und Menschen und merkwürdige chirurgische Instrumente herausspürt. In „Crimes of the Future“ geht das vielleicht mit mehr philosophischen Fragen als blutigem Horror einher, aber schön ungemütlich ist es immer noch. Lars Penning
CDN/GR/GB 2022; 107 Min.; R: David Cronenberg; D: Viggo Mortensen, Léa Seydoux, Kristen Stewart; Kinostart: 10.11.
Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall
FILMKUNST Vom Leben, vielerlei Beziehungsproblemen und Fragen künstlerischer Integrität handeln die Filme des südkoreanischen Regisseurs Hong Sangsoo seit vielen Jahren, erzählt in gänzlich unspektakulären Geschichten, in denen es trotzdem irgendwie immer ums Ganze geht. In seinem neuen Film „Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall“ stehen vor allem die künstlerischen Fragen im Mittelpunkt. Eine berühmte Schriftstellerin, die gerade unter Schreibhemmung leidet, hat mehrere Begegnungen, die ihr in der Krise zunächst nicht unbedingt weiterhelfen: Eine Kollegin, die jetzt in einem Außenbezirk von Seoul einen Buchladen führt, mag sich zum letzten Werk der Autorin nicht äußern; ein Regisseur, der einst ein Buch von ihr verfilmen wollte, findet Ausflüchte, warum aus dem Projekt nie etwas wurde.
Erst als sie im Park einer berühmten Filmschauspielerin (Kim Min-hee) begegnet, die sich auch gerade in einer Schaffenskrise befindet, bewegt sich etwas. Die Schriftstellerin schlägt ihr ein gemeinsames Kurzfilmprojekt vor, und in der Beschreibung ihrer Ideen – sie möchte Personen in Alltagssituationen filmen, ohne dass es sich dabei um einen Dokumentarfilm handelt – wird deutlich, dass Hong hier im Grunde seine eigenen Prinzipien vorstellt. Zumal eine Szene aus dem fiktiven Film schließlich Hongs Lebensgefährtin Kim Min-hee beim Blumensammeln im Park zeigt: Dann wird der schwarzweiße Film für einige Bilder farbig und derjenige, der Kim gerade filmt (also Hong selbst), sagt ihr aus dem Off: „Ich liebe dich.“ Es ist die bislang offenherzigste autobiografische Verquickung von Leben und Arbeit in einem Hong-Film, überraschend und anrührend zugleich. Lars Penning
Zur Berlinale 2022 haben wir über „So-seol-ga-ui Yeong-hwa“, so der Originaltitel, geschrieben.
Südkorea 2022; 92 Min.; R: Hong Sangsoo,;D: Lee Hye-yeong, Kim Min-hee, Seo Younghwa; Kinostart: 10.11.
Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen
PORTRÄT „Nestbeschmutzer“ ist eine Art Ehrentitel, der österreichischen Künstler:innen verliehen wird, die mit besonderer Unnachgiebigkeit ihre Finger in die Wunden der Zweiten Republik legen und nach Möglichkeit dann noch Salz hineinstreuen. Die Aktionskünstler der Wiener Gruppe gehören dazu, selbstverständlich auch Thomas Bernhard – und natürlich Elfriede Jelinek, der zudem das Unglück widerfahren ist, für ihre Arbeit 2004 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden zu sein. Der Aufschrei war entsprechend und führte dazu, dass Jelinek sich aus der Öffentlichkeit zurückzog.
Ihr umfangreiches Werk an Lyrik, Prosa, Theater- und Hörspielen, Essays, Libretti, Drehbüchern und Übersetzungen ist ohne diesen Umstand nicht zu denken. Ja, es wohnt ihrem Werdegang – das macht Claudia Müllers ebenso materialreiches wie einfühlsames und vielschichtiges Porträt deutlich – etwas geradezu Zwangsläufiges inne. Der Untertitel des Films bringt die dabei angewandte Methode auf den Punkt. Die Jelineksche Kunst erwächst aus dem Ausloten des Potenzials der Sprache, die Verhältnisse kritisch zu beschreiben und analytisch, dabei keinesfalls ohne Witz, zu durchdringen. Die freundliche, kluge Meisterin kommt in zahlreichen älteren sowie einem aktuellen Interview ausführlich zu Wort und gewährt bereitwillig und hochreflektiert Einblick in ihren biografischen wie künstlerischen Werdegang. Ungebrochen ist ihre Produktivität – zum Glück, möchte man meinen, um mehr als einmal das Land zur Besinnung zu rufen, das seine Genies nicht zu würdigen weiß. Alexandra Seitz
D 2022; 96 Min.; R: Claudia Müller; Kinostart: 10.11.
Il Buco – Ein Höhlengleichnis
FILMKUNST Wer beim deutschen Titel von Michelangelo Frammartinos neuem Film an Plato und sein berühmtes, oft zitiertes Höhlengleichnis denkt, liegt größtenteils falsch, aber auch ein bisschen richtig. Denn als Gleichnis ist „Il Buco“ aufgebaut, setzt Motive nebeneinander, deren Verbindung sich jedoch nur schwer erschließt. Zu Beginn ist vom Pirelli-Hochhaus die Rede, dem Anfang der 1960er-Jahre höchsten Gebäudes Italiens. Ungefähr zur gleichen Zeit machte sich eine Gruppe von Geologen auf den Weg in den ländlichen Süden des Landes, nach Kalabrien, zum Abisso del Bifurto, einem der tiefsten Höhlensysteme der Welt. Diese Expedition stellt Frammartino nach, zeigt, wie die jungen Forscher immer tiefer in die Abgründe vordringen und am Ende bei 687 Metern Tiefe landen.
Auf einer weiteren, assoziativ montierten Ebene ist ein alter Mann zu sehen, der mit seinem Esel durch die raue Natur streift und Holz sammelt. Dabei handelt es sich um den inzwischen 82-jährigen Giulio Gècchele, der 1961 die erste Höhlenexpedition leitete. Eine durchaus wichtige, auch interessante Information, die sich allerdings aus dem Film selbst nicht erschließt, was dann doch ein Problem ist.
Allzu willkürlich stehen so Motive nebeneinander, die im Kopf des Regisseurs fraglos einen Sinn ergeben, für den unvorbereiteten Zuschauer allerdings oft allzu enigmatisch sind. So bleiben vor allem die atemberaubenden Bilder in Erinnerung, von der majestätischen Natur Kalabriens, Wolken, die langsam an Berghängen hinaufziehen, Nebel, der sich nur schwer lichtet. Ein passendes Bild für einen Essayfilm, der ein wenig zu rätselhaft bleibt. Michael Meyns
I 2021, 93 Min.; R: Michelangelo Frammartino; Paolo Cossia, Jacopo Elia, Denise Trombin; Kinostart: 10.11.
Meinen Hass bekommt ihr nicht
DRAMA „Meinen Hass bekommt ihr nicht!“, so nannte der französische Journalist Antoine Leiris seinen Facebook-Post, veröffentlicht am 16. November, drei Tage nach den Terroranschlägen, die 2015 in Paris 130 Menschen töteten. Viele davon im Nachtclub Bataclan, darunter Hélène, seine Frau und die Mutter des gemeinsamen Sohnes Melvil. Es sollte dauern, bis Leiris seine Frau im Chaos jener Tage fand und noch viel länger, bis er wieder ein wenig Freude am Leben empfand. Sein Facebook-Post war ein erster Versuch, das Leben, die Liebe und nicht den Hass siegen zu lassen. Doch wie schwer es war, diesen einfachen Gedanken in die Tat umzusetzen, zeigt Kilian Riedhofs Verfilmung des Posts beziehungsweise des Buches, das bald folgte.
Bekannt wurde Riedhof durch präzise recherchierte TV-Filme über Ereignisse der deutschen Geschichte wie den Tod von Uwe Barschel oder das Geiseldrama von Gladbeck, Filme, die keine zusätzliche Dramaturgie hinzufügten, sondern von der atemlosen Inszenierung und der Spannung der Ereignisse an sich lebten. Ähnlich geht er auch hier vor, mit geringerem Erfolg, denn der Versuch einer emotionalen Zustandsbeschreibung bleibt oft allzu statisch. Sehenswert ist vor allem das Vater-Sohn-Duo, gespielt von Pierre Deladonchamps und dem während der Dreharbeiten erst dreijährigen Zoé Iorio, das den Verlust von der Frau und Mutter, vor allem aber die Notwendigkeit, weiterzuleben, überzeugend und berührend darstellt. Michael Meyns
D/F/B 2022; 102 Min.; R: Kilian Riedhof; D: Pierre Deladonchamps, Zoé Iorio, Camélia Jordana; Kinostart: 10.11.
The Drover’s Wife – Die Legende von Molly Johnson
DRAMA Angespannt ist die Atmosphäre zwischen der Frau, die bereit ist, mit dem Gewehr in der Hand ihr Heim zu verteidigen, und dem Paar, das gerade aus der Kutsche gestiegen ist. Sie führen offenbar nichts Böses im Schilde, sind nur fremd hier und haben sich verirrt – Nate ist der neue Polizeichef des nahegelegenen Ortes im australischen Outback, während Louisa eine eigene Zeitung plant. Molly dagegen ist hochschwanger und allein mit ihren vier kleinen Kindern, ihr Mann Joe ist als Viehtreiber (drover) unterwegs.
Als kurz darauf ein Aborigine, der als entflohener Sträfling und mutmaßlicher Mörder einer Familie gesucht wird, auf Mollys Land auftaucht, sieht der Zuschauer ihn wie Molly zunächst als eine Bedrohung an. Dann wird er ihr jedoch zu einem unverzichtbaren Helfer bei der alltäglichen Arbeit. Weniger gefällt ihr, dass er sie mit ihrer verdrängten Familiengeschichte konfrontiert. Als dann jedoch der Arbeitgeber ihres Mannes auftaucht und brutale Gewalt gegenüber Molly und Yakada ausübt, zeigt sich, wie beide diskriminiert werden, sie als Frau, er als Aborigine.
Regisseurin Leah Purcell, die die gleichnamige Kurzgeschichte zuvor bereits für die Bühne und als Roman adaptiert hat und hier auch die Hauptrolle verkörpert, nutzt die Muster des Western für eine Emanzipationsgeschichte, eine Darstellung aus weiblicher Perspektive, die am Ende ein Stück Hoffnung vermittelt. Frank Arnold
AUS 2020, 109 Min., R: Leah Purcell, D: Leah Purcell, Rob Collins, Sam Reid, Jessica De Gouw
Spannende neue deutsche Filme gibt es jedes Jahr im Spätherbst bei den Hofer Tilmtagen – für den tipBerlin war Martin Schwarz vor Ort. Die Filmstarts der Woche vom 3. November 2022 mit David O. Russells sehr feinem „Amsteram“ wollen wir auch noch einmal in Erinnerung rufen. In unserer Reihe „Berlin verstehen“ erinnern wir an legendäre Videotheken. Immer aktuelle Texte findet ihr in unserer Rubrik zu Kino und Streaming. Was läuft wann? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin.